Das hörbare Zeichen, flüchtig wie der Augenblick*), wird durch die Schrift sichtbar und bleibend, den Verkehr der Vorstellungen zwischen räumlich Entfernten anknüpfend, selbst den -- allerdings nur einseitigen -- Verkehr der Gegenwart mit längst vergangenen und mit den zukünftigen Geschlechtern vermittelnd.
Sofern das Leben des Menschen ein historisches Leben ist, ein Leben in einer überkommenen durch die Geschichte gebildeten geistigen Substanz, so ist die Schrift das Organ dieses sich fortsetzenden und erweiternden Lebens und Wirkens. Der geschichtliche Geist der Menschheit gestaltet und mehrt sich in der Schrift.
Darum fühlten die Menschen auch seit der ersten Erfindung die Wichtigkeit der Schrift für menschliches Leben. Gesetze, schon seit Jahr- hunderten, verpönen ihre Fälschung.
Von den ältesten schriftlichen Urkunden aber, in welchen Glaube und Willensmeinung unter ihren Zeitgenossen hervorragender Persönlichkeiten sich einst verewigte und die als etwas Ausserordentliches dem kindlichen Geist einer früheren Kulturepoche begreiflich imponirten, sehen wir auch manche bis auf den heutigen Tag noch in übermässigem autoritativen An- sehen sich erhalten.
Seit bald einem halben Jahrtausend steigert die Schrift im Druck ihre Fähigkeit verbreiteter Mitteilung und an der Aufgabe, die Zeichen der Schrift in kürzester Zeit und grösster Vervielfältigung auf kleinem Raume so herzustellen, dass sie dem Auge sichtbar bleiben, wird immer noch fortgearbeitet. Endlich dürfen wir es rühmen, dass das Menschen verbindende Zeichen schon als ein unsichtbarer Blitz von Land zu Land, von Weltteil zu Weltteil fliegt, den ganzen Erdball mit seiner Herrschaft umspannend.
So hat das Zeichen in Sprache und Schrift schon für den Menschen überhaupt eine Bedeutung, wie gar nichts anderes. In Hinsicht seines Nutzens für die Gesellschaft erstanden allerdings ihm schon Rivalen oder Konkurrenten, wie Steinkohle und Eisen, wie die Dampfmaschine. Je mehr wir aber von dem Leben überhaupt den Gebieten geistiger Thätigkeit uns zuwenden, eine um so hervorragendere Rolle sehen wir dem Zeichen zufallen, und die bedeutendste in den Wissenschaften, vor- nehmlich den exakten. Erfindungen, auch Entdeckungen, die sachlichen Errungenschaften, welche sich der Menschengeist erwirbt, stehen fast ohne Ausnahme auf der Voraussetzung des verständlichen und konse- quent gehandhabten Zeichens, welches gleicherweise den einsamen Um- gang des Gedankens mit sich selbst und den Gedankenverkehr in der Menschheit bedingt.
*) Nach dieser Seite scheint indess Edison's Erfindung des Phonographen schon eine neue Aera zu inauguriren.
Einleitung.
Das hörbare Zeichen, flüchtig wie der Augenblick*), wird durch die Schrift sichtbar und bleibend, den Verkehr der Vorstellungen zwischen räumlich Entfernten anknüpfend, selbst den — allerdings nur einseitigen — Verkehr der Gegenwart mit längst vergangenen und mit den zukünftigen Geschlechtern vermittelnd.
Sofern das Leben des Menschen ein historisches Leben ist, ein Leben in einer überkommenen durch die Geschichte gebildeten geistigen Substanz, so ist die Schrift das Organ dieses sich fortsetzenden und erweiternden Lebens und Wirkens. Der geschichtliche Geist der Menschheit gestaltet und mehrt sich in der Schrift.
Darum fühlten die Menschen auch seit der ersten Erfindung die Wichtigkeit der Schrift für menschliches Leben. Gesetze, schon seit Jahr- hunderten, verpönen ihre Fälschung.
Von den ältesten schriftlichen Urkunden aber, in welchen Glaube und Willensmeinung unter ihren Zeitgenossen hervorragender Persönlichkeiten sich einst verewigte und die als etwas Ausserordentliches dem kindlichen Geist einer früheren Kulturepoche begreiflich imponirten, sehen wir auch manche bis auf den heutigen Tag noch in übermässigem autoritativen An- sehen sich erhalten.
Seit bald einem halben Jahrtausend steigert die Schrift im Druck ihre Fähigkeit verbreiteter Mitteilung und an der Aufgabe, die Zeichen der Schrift in kürzester Zeit und grösster Vervielfältigung auf kleinem Raume so herzustellen, dass sie dem Auge sichtbar bleiben, wird immer noch fortgearbeitet. Endlich dürfen wir es rühmen, dass das Menschen verbindende Zeichen schon als ein unsichtbarer Blitz von Land zu Land, von Weltteil zu Weltteil fliegt, den ganzen Erdball mit seiner Herrschaft umspannend.
So hat das Zeichen in Sprache und Schrift schon für den Menschen überhaupt eine Bedeutung, wie gar nichts anderes. In Hinsicht seines Nutzens für die Gesellschaft erstanden allerdings ihm schon Rivalen oder Konkurrenten, wie Steinkohle und Eisen, wie die Dampfmaschine. Je mehr wir aber von dem Leben überhaupt den Gebieten geistiger Thätigkeit uns zuwenden, eine um so hervorragendere Rolle sehen wir dem Zeichen zufallen, und die bedeutendste in den Wissenschaften, vor- nehmlich den exakten. Erfindungen, auch Entdeckungen, die sachlichen Errungenschaften, welche sich der Menschengeist erwirbt, stehen fast ohne Ausnahme auf der Voraussetzung des verständlichen und konse- quent gehandhabten Zeichens, welches gleicherweise den einsamen Um- gang des Gedankens mit sich selbst und den Gedankenverkehr in der Menschheit bedingt.
*) Nach dieser Seite scheint indess Edison's Erfindung des Phonographen schon eine neue Aera zu inauguriren.
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[39/0059]
Einleitung.
Das hörbare Zeichen, flüchtig wie der Augenblick *), wird durch
die Schrift sichtbar und bleibend, den Verkehr der Vorstellungen
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einseitigen — Verkehr der Gegenwart mit längst vergangenen und
mit den zukünftigen Geschlechtern vermittelnd.
Sofern das Leben des Menschen ein historisches Leben ist, ein Leben
in einer überkommenen durch die Geschichte gebildeten geistigen Substanz,
so ist die Schrift das Organ dieses sich fortsetzenden und erweiternden
Lebens und Wirkens. Der geschichtliche Geist der Menschheit gestaltet
und mehrt sich in der Schrift.
Darum fühlten die Menschen auch seit der ersten Erfindung die
Wichtigkeit der Schrift für menschliches Leben. Gesetze, schon seit Jahr-
hunderten, verpönen ihre Fälschung.
Von den ältesten schriftlichen Urkunden aber, in welchen Glaube und
Willensmeinung unter ihren Zeitgenossen hervorragender Persönlichkeiten
sich einst verewigte und die als etwas Ausserordentliches dem kindlichen
Geist einer früheren Kulturepoche begreiflich imponirten, sehen wir auch
manche bis auf den heutigen Tag noch in übermässigem autoritativen An-
sehen sich erhalten.
Seit bald einem halben Jahrtausend steigert die Schrift im Druck
ihre Fähigkeit verbreiteter Mitteilung und an der Aufgabe, die Zeichen
der Schrift in kürzester Zeit und grösster Vervielfältigung auf kleinem
Raume so herzustellen, dass sie dem Auge sichtbar bleiben, wird immer
noch fortgearbeitet. Endlich dürfen wir es rühmen, dass das Menschen
verbindende Zeichen schon als ein unsichtbarer Blitz von Land zu
Land, von Weltteil zu Weltteil fliegt, den ganzen Erdball mit seiner
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So hat das Zeichen in Sprache und Schrift schon für den Menschen
überhaupt eine Bedeutung, wie gar nichts anderes. In Hinsicht seines
Nutzens für die Gesellschaft erstanden allerdings ihm schon Rivalen
oder Konkurrenten, wie Steinkohle und Eisen, wie die Dampfmaschine.
Je mehr wir aber von dem Leben überhaupt den Gebieten geistiger
Thätigkeit uns zuwenden, eine um so hervorragendere Rolle sehen wir
dem Zeichen zufallen, und die bedeutendste in den Wissenschaften, vor-
nehmlich den exakten. Erfindungen, auch Entdeckungen, die sachlichen
Errungenschaften, welche sich der Menschengeist erwirbt, stehen fast
ohne Ausnahme auf der Voraussetzung des verständlichen und konse-
quent gehandhabten Zeichens, welches gleicherweise den einsamen Um-
gang des Gedankens mit sich selbst und den Gedankenverkehr in der
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*) Nach dieser Seite scheint indess Edison's Erfindung des Phonographen
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/59>, abgerufen am 25.04.2024.
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