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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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§ 42. Die Syllogismen der Alten.
dass die in Frage kommenden Prämissen bei Elimination des Mittelbegriffs
gleichwol -- in der grossen Mehrzahl der Fälle -- noch eine gültige Kon-
klusion zu ziehen gestatten oder "liefern", wenn solche auch nicht von dem
oben in Frage gezogenen Gehalte ist; als Resultanten ergeben sich doch
meistens gewisse Existenzialurteile! --

Sehr viel einfacher wird die Untersuchung über die Vollständig-
keit unsres Syllogismensystems sich gestalten, wenn man sich hinsicht-
lich der Urteilsformen ausschliesslich an die Zeichensprache hält, wo-
rüber man weiter unten S. 234 nachsehen möge.

Weshalb wir aber in unsrer Theorie gezwungen sind, nur 15 von
den 24 Schlussformen als korrekte Syllogismen anzuerkennen, die 9
übrigen (nämlich 4 von den Hauptmodi und die 5 abgeschwächten
Formen) für Enthymeme, für Schlüsse mit einer Prämisse mehr, als
angegeben
, zu erklären, ja dieselben, wenn sie als vollständige Schlüsse
oder als "Syllogismen" hingestellt werden sollten, geradezu ungültig,
falsch zu nennen -- dies wird die rechnerische Bebandlung der tradi-
tionellen Formen unwiderleglich zeigen.

Einstweilen mag uns ein Textbeispiel das Wesen der Sache offen-
baren. Ich wähle ein solches für den ersten, der für falsch erklärten
Hauptmodi: Darapti.

Die folgenden beiden Prämissen erscheinen uns unangreifbar:
Alle gleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke (b) sind
gleichseitige Dreieke (a).

Alle gleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke (b) sind rechtwinklig (c).

Die Konklusion sollte nun lauten:
ergo: Einige gleichseitige Dreiecke (a') sind rechtwinklig (c).

War von sphärischen Dreiecken die Rede, so ist die Konklusion
auch noch (materiell) richtig. -- War aber von ebenen Dreiecken die
Rede, so ist die Konklusion augenscheinlich unwahr -- ob zwar die
Prämissen (vergl. § 9, r) noch immer gültig bleiben; der Schluss
musste daher formell unberechtigt sein. Erweist sich der Schlusssatz
auch nur in einem Falle als unrichtig, während die Prämissen wahr
sind, so ist der ganze Schluss nicht stichhaltig.

Um den Schluss zu einem gültigen zu machen, das Enthymem zu
ergänzen, muss noch eine (wie anzunehmen, von den Alten stillschweigend
gemachte) Voraussetzung den Prämissen beigefügt werden. Es ist hier
die, dass es b gebe, dass b 0 sei. Mit dieser weiteren Prämisse werden
wir den Schluss in § 44 noch systematisch in Angriff nehmen; derselbe
ist dann freilich (wie gesagt) kein Syllogismus mehr.

Die Lostrennung der inkorrekten Syllogismen auf Grund der Bemerkung
S. 220 ist wol zuerst von Miss Ladd1 vollzogen.

15*

§ 42. Die Syllogismen der Alten.
dass die in Frage kommenden Prämissen bei Elimination des Mittelbegriffs
gleichwol — in der grossen Mehrzahl der Fälle — noch eine gültige Kon-
klusion zu ziehen gestatten oder „liefern“, wenn solche auch nicht von dem
oben in Frage gezogenen Gehalte ist; als Resultanten ergeben sich doch
meistens gewisse Existenzialurteile! —

Sehr viel einfacher wird die Untersuchung über die Vollständig-
keit unsres Syllogismensystems sich gestalten, wenn man sich hinsicht-
lich der Urteilsformen ausschliesslich an die Zeichensprache hält, wo-
rüber man weiter unten S. 234 nachsehen möge.

Weshalb wir aber in unsrer Theorie gezwungen sind, nur 15 von
den 24 Schlussformen als korrekte Syllogismen anzuerkennen, die 9
übrigen (nämlich 4 von den Hauptmodi und die 5 abgeschwächten
Formen) für Enthymeme, für Schlüsse mit einer Prämisse mehr, als
angegeben
, zu erklären, ja dieselben, wenn sie als vollständige Schlüsse
oder als „Syllogismen“ hingestellt werden sollten, geradezu ungültig,
falsch zu nennen — dies wird die rechnerische Bebandlung der tradi-
tionellen Formen unwiderleglich zeigen.

Einstweilen mag uns ein Textbeispiel das Wesen der Sache offen-
baren. Ich wähle ein solches für den ersten, der für falsch erklärten
Hauptmodi: Darapti.

Die folgenden beiden Prämissen erscheinen uns unangreifbar:
Alle gleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke (b) sind
gleichseitige Dreieke (a).

Alle gleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke (b) sind rechtwinklig (c).

Die Konklusion sollte nun lauten:
ergo: Einige gleichseitige Dreiecke (a') sind rechtwinklig (c).

War von sphärischen Dreiecken die Rede, so ist die Konklusion
auch noch (materiell) richtig. — War aber von ebenen Dreiecken die
Rede, so ist die Konklusion augenscheinlich unwahr — ob zwar die
Prämissen (vergl. § 9, ϱ) noch immer gültig bleiben; der Schluss
musste daher formell unberechtigt sein. Erweist sich der Schlusssatz
auch nur in einem Falle als unrichtig, während die Prämissen wahr
sind, so ist der ganze Schluss nicht stichhaltig.

Um den Schluss zu einem gültigen zu machen, das Enthymem zu
ergänzen, muss noch eine (wie anzunehmen, von den Alten stillschweigend
gemachte) Voraussetzung den Prämissen beigefügt werden. Es ist hier
die, dass es b gebe, dass b ≠ 0 sei. Mit dieser weiteren Prämisse werden
wir den Schluss in § 44 noch systematisch in Angriff nehmen; derselbe
ist dann freilich (wie gesagt) kein Syllogismus mehr.

Die Lostrennung der inkorrekten Syllogismen auf Grund der Bemerkung
S. 220 ist wol zuerst von Miss Ladd1 vollzogen.

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[227/0251] § 42. Die Syllogismen der Alten. dass die in Frage kommenden Prämissen bei Elimination des Mittelbegriffs gleichwol — in der grossen Mehrzahl der Fälle — noch eine gültige Kon- klusion zu ziehen gestatten oder „liefern“, wenn solche auch nicht von dem oben in Frage gezogenen Gehalte ist; als Resultanten ergeben sich doch meistens gewisse Existenzialurteile! — Sehr viel einfacher wird die Untersuchung über die Vollständig- keit unsres Syllogismensystems sich gestalten, wenn man sich hinsicht- lich der Urteilsformen ausschliesslich an die Zeichensprache hält, wo- rüber man weiter unten S. 234 nachsehen möge. Weshalb wir aber in unsrer Theorie gezwungen sind, nur 15 von den 24 Schlussformen als korrekte Syllogismen anzuerkennen, die 9 übrigen (nämlich 4 von den Hauptmodi und die 5 abgeschwächten Formen) für Enthymeme, für Schlüsse mit einer Prämisse mehr, als angegeben, zu erklären, ja dieselben, wenn sie als vollständige Schlüsse oder als „Syllogismen“ hingestellt werden sollten, geradezu ungültig, falsch zu nennen — dies wird die rechnerische Bebandlung der tradi- tionellen Formen unwiderleglich zeigen. Einstweilen mag uns ein Textbeispiel das Wesen der Sache offen- baren. Ich wähle ein solches für den ersten, der für falsch erklärten Hauptmodi: Darapti. Die folgenden beiden Prämissen erscheinen uns unangreifbar: Alle gleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke (b) sind gleichseitige Dreieke (a). Alle gleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke (b) sind rechtwinklig (c). Die Konklusion sollte nun lauten: ergo: Einige gleichseitige Dreiecke (a') sind rechtwinklig (c). War von sphärischen Dreiecken die Rede, so ist die Konklusion auch noch (materiell) richtig. — War aber von ebenen Dreiecken die Rede, so ist die Konklusion augenscheinlich unwahr — ob zwar die Prämissen (vergl. § 9, ϱ) noch immer gültig bleiben; der Schluss musste daher formell unberechtigt sein. Erweist sich der Schlusssatz auch nur in einem Falle als unrichtig, während die Prämissen wahr sind, so ist der ganze Schluss nicht stichhaltig. Um den Schluss zu einem gültigen zu machen, das Enthymem zu ergänzen, muss noch eine (wie anzunehmen, von den Alten stillschweigend gemachte) Voraussetzung den Prämissen beigefügt werden. Es ist hier die, dass es b gebe, dass b ≠ 0 sei. Mit dieser weiteren Prämisse werden wir den Schluss in § 44 noch systematisch in Angriff nehmen; derselbe ist dann freilich (wie gesagt) kein Syllogismus mehr. Die Lostrennung der inkorrekten Syllogismen auf Grund der Bemerkung S. 220 ist wol zuerst von Miss Ladd1 vollzogen. 15*

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/251>, abgerufen am 25.04.2024.