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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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Während das äußerlich im Gehirn seine Basis
habende sinnliche Wahrnehmungsvermögen, während
der Verstand auch in dem jetzigen Daseyn der ursprüng-
lichen geistigen Natur getreu bleibt, ist demnach jener
andere Theil unseres geistigen Wesens in materieller
Wirksamkeit erloschen und unkenntlich geworden. Zwi-
schen beyden Hälften ist hierdurch die ursprüngliche
Gleichheit und Einheit aufgehoben, beyde sind sich zum
Theil unvernehmlich -- sind von einander getrennt.
Das materiell bildende Vermögen zeigt sich, so bald
es geistig frey wird, ganz in jenem zerstörend selbst-
füchtigen Charakter, und durchs ganze Leben hindurch
als eine der Vernunft und dem besseren Willen entge-
gengesetzte Stimme, als eine zweyte, von der Ver-
nunft verschiedene Sprache in uns. Jenes reißt, wie
uns schon Erscheinungen des jetzigen Daseyns lehren,
sobald es nur einigermaßen seiner selbst mächtig ge-
worden, als der ungleich mächtigere Theil unserer Na-
tur, auch die andere, schwächere Hälfte mit sich fort,
obgleich es in den Schranken der Materie nie zu dem
ganzen Gebrauch seiner Kraft gelangen, nie sich selbst
umfassen kann. Aber den hieraus entstehenden Gefah-
ren vermag der Mensch zu entgehen, und, seitdem die
anfängliche Vereinigung zwischen ihm und dem ursprüng-
lichen Gegenstand seiner Liebe wieder gefunden, seitdem
selbst die äußere Natur wieder zur leitenden Kette ge-
worden, durch die sich ihm der höhere Einfluß mit-
theilet, (der Gott aus der Maschine auf ihn wirkt)
vermag er das zur Mördergrube gewordene Organ wie-
der zu einem reinen Tempel zu weihen, welcher noch
in dem jetzigen Leben, tief im Innern, unter Schmer-
zen und Freuden gegründet und gebaut wird.

Das

Waͤhrend das aͤußerlich im Gehirn ſeine Baſis
habende ſinnliche Wahrnehmungsvermoͤgen, waͤhrend
der Verſtand auch in dem jetzigen Daſeyn der urſpruͤng-
lichen geiſtigen Natur getreu bleibt, iſt demnach jener
andere Theil unſeres geiſtigen Weſens in materieller
Wirkſamkeit erloſchen und unkenntlich geworden. Zwi-
ſchen beyden Haͤlften iſt hierdurch die urſpruͤngliche
Gleichheit und Einheit aufgehoben, beyde ſind ſich zum
Theil unvernehmlich — ſind von einander getrennt.
Das materiell bildende Vermoͤgen zeigt ſich, ſo bald
es geiſtig frey wird, ganz in jenem zerſtoͤrend ſelbſt-
fuͤchtigen Charakter, und durchs ganze Leben hindurch
als eine der Vernunft und dem beſſeren Willen entge-
gengeſetzte Stimme, als eine zweyte, von der Ver-
nunft verſchiedene Sprache in uns. Jenes reißt, wie
uns ſchon Erſcheinungen des jetzigen Daſeyns lehren,
ſobald es nur einigermaßen ſeiner ſelbſt maͤchtig ge-
worden, als der ungleich maͤchtigere Theil unſerer Na-
tur, auch die andere, ſchwaͤchere Haͤlfte mit ſich fort,
obgleich es in den Schranken der Materie nie zu dem
ganzen Gebrauch ſeiner Kraft gelangen, nie ſich ſelbſt
umfaſſen kann. Aber den hieraus entſtehenden Gefah-
ren vermag der Menſch zu entgehen, und, ſeitdem die
anfaͤngliche Vereinigung zwiſchen ihm und dem urſpruͤng-
lichen Gegenſtand ſeiner Liebe wieder gefunden, ſeitdem
ſelbſt die aͤußere Natur wieder zur leitenden Kette ge-
worden, durch die ſich ihm der hoͤhere Einfluß mit-
theilet, (der Gott aus der Maſchine auf ihn wirkt)
vermag er das zur Moͤrdergrube gewordene Organ wie-
der zu einem reinen Tempel zu weihen, welcher noch
in dem jetzigen Leben, tief im Innern, unter Schmer-
zen und Freuden gegruͤndet und gebaut wird.

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[203/0213] Waͤhrend das aͤußerlich im Gehirn ſeine Baſis habende ſinnliche Wahrnehmungsvermoͤgen, waͤhrend der Verſtand auch in dem jetzigen Daſeyn der urſpruͤng- lichen geiſtigen Natur getreu bleibt, iſt demnach jener andere Theil unſeres geiſtigen Weſens in materieller Wirkſamkeit erloſchen und unkenntlich geworden. Zwi- ſchen beyden Haͤlften iſt hierdurch die urſpruͤngliche Gleichheit und Einheit aufgehoben, beyde ſind ſich zum Theil unvernehmlich — ſind von einander getrennt. Das materiell bildende Vermoͤgen zeigt ſich, ſo bald es geiſtig frey wird, ganz in jenem zerſtoͤrend ſelbſt- fuͤchtigen Charakter, und durchs ganze Leben hindurch als eine der Vernunft und dem beſſeren Willen entge- gengeſetzte Stimme, als eine zweyte, von der Ver- nunft verſchiedene Sprache in uns. Jenes reißt, wie uns ſchon Erſcheinungen des jetzigen Daſeyns lehren, ſobald es nur einigermaßen ſeiner ſelbſt maͤchtig ge- worden, als der ungleich maͤchtigere Theil unſerer Na- tur, auch die andere, ſchwaͤchere Haͤlfte mit ſich fort, obgleich es in den Schranken der Materie nie zu dem ganzen Gebrauch ſeiner Kraft gelangen, nie ſich ſelbſt umfaſſen kann. Aber den hieraus entſtehenden Gefah- ren vermag der Menſch zu entgehen, und, ſeitdem die anfaͤngliche Vereinigung zwiſchen ihm und dem urſpruͤng- lichen Gegenſtand ſeiner Liebe wieder gefunden, ſeitdem ſelbſt die aͤußere Natur wieder zur leitenden Kette ge- worden, durch die ſich ihm der hoͤhere Einfluß mit- theilet, (der Gott aus der Maſchine auf ihn wirkt) vermag er das zur Moͤrdergrube gewordene Organ wie- der zu einem reinen Tempel zu weihen, welcher noch in dem jetzigen Leben, tief im Innern, unter Schmer- zen und Freuden gegruͤndet und gebaut wird. Das

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/213>, abgerufen am 19.04.2024.