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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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hängt eng zusammen mit der nach der Stellung der
Sprachwissenschaft im Kreise der Wissenschaften,
und so sind denn auch beide von Brugmann3 unter
einem Titel behandelt worden. Auch in Bezug auf
die letztere stehe ich in vollkommenem Widerspruch
zu ihm und glaube nicht dass die von ihm ersehnte
Verständigung möglich sein wird, ehe wir uns nicht
des Namens "Philologie" entäussert haben. Die Ein-
theilung der Wissenschaften hat aus der Betrachtung
der Dinge hervorzugehen, nicht aus der Definition von
Namen, am wenigsten von Namen ursprünglich so un-
bestimmten Sinnes und daher fortwährend so schwan-
kender Deutung, die aus Zeiten stammen wo es fast
noch keine Wissenschaft gab. Warum in aller Welt
können wir uns nicht entschliessen nur von Sprach-
wissenschaft, Litteraturwissenschaft, Culturwissenschaft
zu sprechen? Was nun die Sache selbst anlangt, so
meine ich dass immer Sprache und Sprache, mögen
sie auch noch so weit auseinander liegen, in wissen-
schaftlichem Sinn enger zusammengehören als Sprache
und Litteratur, seien es auch die desselben Volkes.
Die Identität der Forschungsmethode fällt schwerer
in's Gewicht als der Zusammenhang heterogener Un-
tersuchungsobjecte. Die Wechselbeziehung zwischen
Sprachwissenschaft und Litteraturwissenschaft mag eine
so lebhafte sein wie sie wolle; die eine spielt der
anderen gegenüber immer nur die Rolle einer Hülfs-
wissenschaft. Ich sehe mich vergebens auf anderen
Gebieten nach einem Analogon für das um was unter
"Philologie" verstanden werden soll. Fasst man etwa
die Fauna und die Flora einer bestimmten Gegend
in einer eigenen Disciplin zusammen? Wenn man jede
der verschiedenen "Philologieen" als ein praktisches

hängt eng zusammen mit der nach der Stellung der
Sprachwissenschaft im Kreise der Wissenschaften,
und so sind denn auch beide von Brugmann3 unter
einem Titel behandelt worden. Auch in Bezug auf
die letztere stehe ich in vollkommenem Widerspruch
zu ihm und glaube nicht dass die von ihm ersehnte
Verständigung möglich sein wird, ehe wir uns nicht
des Namens „Philologie“ entäussert haben. Die Ein-
theilung der Wissenschaften hat aus der Betrachtung
der Dinge hervorzugehen, nicht aus der Definition von
Namen, am wenigsten von Namen ursprünglich so un-
bestimmten Sinnes und daher fortwährend so schwan-
kender Deutung, die aus Zeiten stammen wo es fast
noch keine Wissenschaft gab. Warum in aller Welt
können wir uns nicht entschliessen nur von Sprach-
wissenschaft, Litteraturwissenschaft, Culturwissenschaft
zu sprechen? Was nun die Sache selbst anlangt, so
meine ich dass immer Sprache und Sprache, mögen
sie auch noch so weit auseinander liegen, in wissen-
schaftlichem Sinn enger zusammengehören als Sprache
und Litteratur, seien es auch die desselben Volkes.
Die Identität der Forschungsmethode fällt schwerer
in's Gewicht als der Zusammenhang heterogener Un-
tersuchungsobjecte. Die Wechselbeziehung zwischen
Sprachwissenschaft und Litteraturwissenschaft mag eine
so lebhafte sein wie sie wolle; die eine spielt der
anderen gegenüber immer nur die Rolle einer Hülfs-
wissenschaft. Ich sehe mich vergebens auf anderen
Gebieten nach einem Analogon für das um was unter
„Philologie“ verstanden werden soll. Fasst man etwa
die Fauna und die Flora einer bestimmten Gegend
in einer eigenen Disciplin zusammen? Wenn man jede
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[37/0049] hängt eng zusammen mit der nach der Stellung der Sprachwissenschaft im Kreise der Wissenschaften, und so sind denn auch beide von Brugmann3 unter einem Titel behandelt worden. Auch in Bezug auf die letztere stehe ich in vollkommenem Widerspruch zu ihm und glaube nicht dass die von ihm ersehnte Verständigung möglich sein wird, ehe wir uns nicht des Namens „Philologie“ entäussert haben. Die Ein- theilung der Wissenschaften hat aus der Betrachtung der Dinge hervorzugehen, nicht aus der Definition von Namen, am wenigsten von Namen ursprünglich so un- bestimmten Sinnes und daher fortwährend so schwan- kender Deutung, die aus Zeiten stammen wo es fast noch keine Wissenschaft gab. Warum in aller Welt können wir uns nicht entschliessen nur von Sprach- wissenschaft, Litteraturwissenschaft, Culturwissenschaft zu sprechen? Was nun die Sache selbst anlangt, so meine ich dass immer Sprache und Sprache, mögen sie auch noch so weit auseinander liegen, in wissen- schaftlichem Sinn enger zusammengehören als Sprache und Litteratur, seien es auch die desselben Volkes. Die Identität der Forschungsmethode fällt schwerer in's Gewicht als der Zusammenhang heterogener Un- tersuchungsobjecte. Die Wechselbeziehung zwischen Sprachwissenschaft und Litteraturwissenschaft mag eine so lebhafte sein wie sie wolle; die eine spielt der anderen gegenüber immer nur die Rolle einer Hülfs- wissenschaft. Ich sehe mich vergebens auf anderen Gebieten nach einem Analogon für das um was unter „Philologie“ verstanden werden soll. Fasst man etwa die Fauna und die Flora einer bestimmten Gegend in einer eigenen Disciplin zusammen? Wenn man jede der verschiedenen „Philologieen“ als ein praktisches

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/49>, abgerufen am 29.03.2024.