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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795.

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pelte Reihe von jüdischen Buden, in welchen
baumwollene Zeuge, Tücher, Glas, Brod
und andere Dinge feil geboten werden. So
wie die Juden in Polen eine Art von Vater-
land gefunden haben, so ist hier auch ihr Aeu-
ßeres und ihre ganze Bildung reinlicher und
feiner, als anderwärts, und man trifft, beson-
ders unter den Weibern, mehr als eine ächt
morgenländische Bildung an. Schwarzes Haar,
Habichtsnase, schöne schwarze Augen, sind fast
allgemein, und die Farbe hat eine gewisse, fast
kränkliche, Zartheit, die man bei den christli-
chen Bewohnern von Lithauen nicht findet.
Daß eine Menge von diesen Leuten um mei-
nen Wagen wimmelte und mir ihren guten
Willen zu kleinen Diensten und Gewinn zeigte,
versteht sich von selbst. Jch fand auch einige
mit Handarbeiten beschäftigt, die sie sonst selten
an sich kommen lassen. Mein Postknecht selbst
war ein Jude. Jch schätze diese Stadt auf
300 Häuser und Hütten, und ihre Einwohner
auf 3500 ungefähr.

pelte Reihe von juͤdiſchen Buden, in welchen
baumwollene Zeuge, Tuͤcher, Glas, Brod
und andere Dinge feil geboten werden. So
wie die Juden in Polen eine Art von Vater-
land gefunden haben, ſo iſt hier auch ihr Aeu-
ßeres und ihre ganze Bildung reinlicher und
feiner, als anderwaͤrts, und man trifft, beſon-
ders unter den Weibern, mehr als eine aͤcht
morgenlaͤndiſche Bildung an. Schwarzes Haar,
Habichtsnaſe, ſchoͤne ſchwarze Augen, ſind faſt
allgemein, und die Farbe hat eine gewiſſe, faſt
kraͤnkliche, Zartheit, die man bei den chriſtli-
chen Bewohnern von Lithauen nicht findet.
Daß eine Menge von dieſen Leuten um mei-
nen Wagen wimmelte und mir ihren guten
Willen zu kleinen Dienſten und Gewinn zeigte,
verſteht ſich von ſelbſt. Jch fand auch einige
mit Handarbeiten beſchaͤftigt, die ſie ſonſt ſelten
an ſich kommen laſſen. Mein Poſtknecht ſelbſt
war ein Jude. Jch ſchaͤtze dieſe Stadt auf
300 Haͤuſer und Huͤtten, und ihre Einwohner
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[12/0030] pelte Reihe von juͤdiſchen Buden, in welchen baumwollene Zeuge, Tuͤcher, Glas, Brod und andere Dinge feil geboten werden. So wie die Juden in Polen eine Art von Vater- land gefunden haben, ſo iſt hier auch ihr Aeu- ßeres und ihre ganze Bildung reinlicher und feiner, als anderwaͤrts, und man trifft, beſon- ders unter den Weibern, mehr als eine aͤcht morgenlaͤndiſche Bildung an. Schwarzes Haar, Habichtsnaſe, ſchoͤne ſchwarze Augen, ſind faſt allgemein, und die Farbe hat eine gewiſſe, faſt kraͤnkliche, Zartheit, die man bei den chriſtli- chen Bewohnern von Lithauen nicht findet. Daß eine Menge von dieſen Leuten um mei- nen Wagen wimmelte und mir ihren guten Willen zu kleinen Dienſten und Gewinn zeigte, verſteht ſich von ſelbſt. Jch fand auch einige mit Handarbeiten beſchaͤftigt, die ſie ſonſt ſelten an ſich kommen laſſen. Mein Poſtknecht ſelbſt war ein Jude. Jch ſchaͤtze dieſe Stadt auf 300 Haͤuſer und Huͤtten, und ihre Einwohner auf 3500 ungefaͤhr.

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/30>, abgerufen am 23.04.2024.