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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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daß die Kolchierin Medea ihr Vaterland verlassen und
zu des Pelias Verderben nach Jolkos kommen sollte.

Inzwischen harrten in der Ferne die Dienerinnen
still und traurig; denn die Zeit war längst da, wo die
Fürstin nach Hause zurückkehren sollte. Sie selbst hätte
die Heimkehr ganz vergessen; denn ihre Seele erfreute
sich der trauten Rede, wenn nicht der vorsichtigere Ja¬
son, wiewohl auch dieser spät, so gesprochen hätte: "Es
ist Zeit zu scheiden, daß nicht das Sonnenlicht früher
scheide, als wir, und die Andern Alles inne werden.
Laß uns an diesem Orte wieder zusammenkommen."


Jason erfüllt des Aeetes Begehr.

So schieden sie. Jason kehrte fröhlich zu seinen
Genossen und dem Schiffe zurück. Die Jungfrau begab sich
zu ihren Dienerinnen. Diese eilten ihr alle entgegen, --
sie aber sah es nicht; denn ihre Seele schwebte hoch in
den Wolken. Mit leichten Füßen bestieg sie den Wagen,
trieb die Maulthiere an, die von selbst nach Hause rann¬
ten, und kam zum Pallaste zurück. Hier hatte Chalciope
voll banger Sorge um ihre Söhne längst auf sie ge¬
wartet. Sie saß auf einem Schemel, das gebeugte Haupt
mit der linken Hand gestützt; ihre Augen waren feucht
unter den Augenliedern, denn sie dachte daran, in wel¬
ches Uebels Genossenschaft sie verstrickt wäre.

Jason erzählte unterdessen seinen Genossen, wie ihm
die Jungfrau das herrliche Zaubermittel gereicht habe,
zugleich hielt er ihnen die Salbe entgegen. Alle freuten
sich; nur Idas, der Held, saß seitwärts und knirschte mit

daß die Kolchierin Medea ihr Vaterland verlaſſen und
zu des Pelias Verderben nach Jolkos kommen ſollte.

Inzwiſchen harrten in der Ferne die Dienerinnen
ſtill und traurig; denn die Zeit war längſt da, wo die
Fürſtin nach Hauſe zurückkehren ſollte. Sie ſelbſt hätte
die Heimkehr ganz vergeſſen; denn ihre Seele erfreute
ſich der trauten Rede, wenn nicht der vorſichtigere Ja¬
ſon, wiewohl auch dieſer ſpät, ſo geſprochen hätte: „Es
iſt Zeit zu ſcheiden, daß nicht das Sonnenlicht früher
ſcheide, als wir, und die Andern Alles inne werden.
Laß uns an dieſem Orte wieder zuſammenkommen.“


Jaſon erfüllt des Aeetes Begehr.

So ſchieden ſie. Jaſon kehrte fröhlich zu ſeinen
Genoſſen und dem Schiffe zurück. Die Jungfrau begab ſich
zu ihren Dienerinnen. Dieſe eilten ihr alle entgegen, —
ſie aber ſah es nicht; denn ihre Seele ſchwebte hoch in
den Wolken. Mit leichten Füßen beſtieg ſie den Wagen,
trieb die Maulthiere an, die von ſelbſt nach Hauſe rann¬
ten, und kam zum Pallaſte zurück. Hier hatte Chalciope
voll banger Sorge um ihre Söhne längſt auf ſie ge¬
wartet. Sie ſaß auf einem Schemel, das gebeugte Haupt
mit der linken Hand geſtützt; ihre Augen waren feucht
unter den Augenliedern, denn ſie dachte daran, in wel¬
ches Uebels Genoſſenſchaft ſie verſtrickt wäre.

Jaſon erzählte unterdeſſen ſeinen Genoſſen, wie ihm
die Jungfrau das herrliche Zaubermittel gereicht habe,
zugleich hielt er ihnen die Salbe entgegen. Alle freuten
ſich; nur Idas, der Held, ſaß ſeitwärts und knirſchte mit

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[138/0164] daß die Kolchierin Medea ihr Vaterland verlaſſen und zu des Pelias Verderben nach Jolkos kommen ſollte. Inzwiſchen harrten in der Ferne die Dienerinnen ſtill und traurig; denn die Zeit war längſt da, wo die Fürſtin nach Hauſe zurückkehren ſollte. Sie ſelbſt hätte die Heimkehr ganz vergeſſen; denn ihre Seele erfreute ſich der trauten Rede, wenn nicht der vorſichtigere Ja¬ ſon, wiewohl auch dieſer ſpät, ſo geſprochen hätte: „Es iſt Zeit zu ſcheiden, daß nicht das Sonnenlicht früher ſcheide, als wir, und die Andern Alles inne werden. Laß uns an dieſem Orte wieder zuſammenkommen.“ Jaſon erfüllt des Aeetes Begehr. So ſchieden ſie. Jaſon kehrte fröhlich zu ſeinen Genoſſen und dem Schiffe zurück. Die Jungfrau begab ſich zu ihren Dienerinnen. Dieſe eilten ihr alle entgegen, — ſie aber ſah es nicht; denn ihre Seele ſchwebte hoch in den Wolken. Mit leichten Füßen beſtieg ſie den Wagen, trieb die Maulthiere an, die von ſelbſt nach Hauſe rann¬ ten, und kam zum Pallaſte zurück. Hier hatte Chalciope voll banger Sorge um ihre Söhne längſt auf ſie ge¬ wartet. Sie ſaß auf einem Schemel, das gebeugte Haupt mit der linken Hand geſtützt; ihre Augen waren feucht unter den Augenliedern, denn ſie dachte daran, in wel¬ ches Uebels Genoſſenſchaft ſie verſtrickt wäre. Jaſon erzählte unterdeſſen ſeinen Genoſſen, wie ihm die Jungfrau das herrliche Zaubermittel gereicht habe, zugleich hielt er ihnen die Salbe entgegen. Alle freuten ſich; nur Idas, der Held, ſaß ſeitwärts und knirſchte mit

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/164>, abgerufen am 29.03.2024.