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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Makaria.

Jetzt entstand ein solches Wehklagen nicht nur unter
den Herakliden, sondern auch unter den Bürgern Athens,
daß das laute Jammergeschrei empordrang bis zur Kö¬
nigsburg. Dort waren bald nach dem Einzuge der
Flüchtlinge die greise Mutter des Herkules, Alkmene, von
Alter und Leid gebeugt, und seine blühende Tochter Ma¬
karia, die ihm Deianira geboren hatte, vor den Blicken
der Neugierigen von Demophoon geborgen worden, und
lebten in stiller Erwartung dessen, das da kommen sollte.
Alkmene, hochbejahrt und in sich gekehrt, vernahm von
dem, was draußen vorging, nichts. Ihre Enkelin aber
horchte auf die Jammerlaute, die aus der Tiefe empor¬
stiegen. Es ergriff sie eine Angst um das Schicksal ihrer
Brüder, und sie eilte, nicht bedenkend, daß sie allein und
eine in tiefer Zurückgezogenheit aufgewachsene Jungfrau
sey, in das Gewühl des Marktes hinunter. Die ver¬
sammelten Bürger mit ihrem Könige und nicht weni¬
ger Iolaus mit seinem Schützlingen erstaunten, als sie
die Jungfrau in ihre Mitte treten sahen. Diese hatte
sich eine Weile unter dem Haufen verborgen gehalten
und auf diese Weise erlauscht, in welcher Noth sich Athen
und die Herakliden befänden, und welch ein verhängni߬
voller Orakelspruch einem glücklichen Erfolge jeden Aus¬
weg zu versperren schien. Mit festen Schritten trat sie
daher vor den König Demophoon und sprach: "Ihr
suchet ein Opfer, das euch den glücklichen Ausgang des
Krieges verbürge, und durch dessen Tod meine armen
Brüder vor der Wuth des Tyrannen geschützt werden

Makaria.

Jetzt entſtand ein ſolches Wehklagen nicht nur unter
den Herakliden, ſondern auch unter den Bürgern Athens,
daß das laute Jammergeſchrei empordrang bis zur Kö¬
nigsburg. Dort waren bald nach dem Einzuge der
Flüchtlinge die greiſe Mutter des Herkules, Alkmene, von
Alter und Leid gebeugt, und ſeine blühende Tochter Ma¬
karia, die ihm Deïanira geboren hatte, vor den Blicken
der Neugierigen von Demophoon geborgen worden, und
lebten in ſtiller Erwartung deſſen, das da kommen ſollte.
Alkmene, hochbejahrt und in ſich gekehrt, vernahm von
dem, was draußen vorging, nichts. Ihre Enkelin aber
horchte auf die Jammerlaute, die aus der Tiefe empor¬
ſtiegen. Es ergriff ſie eine Angſt um das Schickſal ihrer
Brüder, und ſie eilte, nicht bedenkend, daß ſie allein und
eine in tiefer Zurückgezogenheit aufgewachſene Jungfrau
ſey, in das Gewühl des Marktes hinunter. Die ver¬
ſammelten Bürger mit ihrem Könige und nicht weni¬
ger Iolaus mit ſeinem Schützlingen erſtaunten, als ſie
die Jungfrau in ihre Mitte treten ſahen. Dieſe hatte
ſich eine Weile unter dem Haufen verborgen gehalten
und auf dieſe Weiſe erlauſcht, in welcher Noth ſich Athen
und die Herakliden befänden, und welch ein verhängni߬
voller Orakelſpruch einem glücklichen Erfolge jeden Aus¬
weg zu verſperren ſchien. Mit feſten Schritten trat ſie
daher vor den König Demophoon und ſprach: „Ihr
ſuchet ein Opfer, das euch den glücklichen Ausgang des
Krieges verbürge, und durch deſſen Tod meine armen
Brüder vor der Wuth des Tyrannen geſchützt werden

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[393/0419] Makaria. Jetzt entſtand ein ſolches Wehklagen nicht nur unter den Herakliden, ſondern auch unter den Bürgern Athens, daß das laute Jammergeſchrei empordrang bis zur Kö¬ nigsburg. Dort waren bald nach dem Einzuge der Flüchtlinge die greiſe Mutter des Herkules, Alkmene, von Alter und Leid gebeugt, und ſeine blühende Tochter Ma¬ karia, die ihm Deïanira geboren hatte, vor den Blicken der Neugierigen von Demophoon geborgen worden, und lebten in ſtiller Erwartung deſſen, das da kommen ſollte. Alkmene, hochbejahrt und in ſich gekehrt, vernahm von dem, was draußen vorging, nichts. Ihre Enkelin aber horchte auf die Jammerlaute, die aus der Tiefe empor¬ ſtiegen. Es ergriff ſie eine Angſt um das Schickſal ihrer Brüder, und ſie eilte, nicht bedenkend, daß ſie allein und eine in tiefer Zurückgezogenheit aufgewachſene Jungfrau ſey, in das Gewühl des Marktes hinunter. Die ver¬ ſammelten Bürger mit ihrem Könige und nicht weni¬ ger Iolaus mit ſeinem Schützlingen erſtaunten, als ſie die Jungfrau in ihre Mitte treten ſahen. Dieſe hatte ſich eine Weile unter dem Haufen verborgen gehalten und auf dieſe Weiſe erlauſcht, in welcher Noth ſich Athen und die Herakliden befänden, und welch ein verhängni߬ voller Orakelſpruch einem glücklichen Erfolge jeden Aus¬ weg zu verſperren ſchien. Mit feſten Schritten trat ſie daher vor den König Demophoon und ſprach: „Ihr ſuchet ein Opfer, das euch den glücklichen Ausgang des Krieges verbürge, und durch deſſen Tod meine armen Brüder vor der Wuth des Tyrannen geſchützt werden

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/419>, abgerufen am 28.03.2024.