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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Kreise der Versammelten ruhen und rief: "Seyd ihr nicht
wahnsinnig, Götter zu ehren von denen man euch fabelt,
während vom Himmel begünstigtere Wesen mitten unter
euch weilen? Wenn ihr der Latona Altäre errichtet, war¬
um bleibt mein göttlicher Name ohne Weihrauch? Ist
doch mein Vater Tantalus der einzige Sterbliche, der
am Tische der Himmlischen gesessen hat, meine Mutter
Dio, die Schwester der Plejaden, die als leuchtendes
Gestirn am Himmel glänzen; mein einer Ahn ist Atlas
der Gewaltige, der das Gewölbe des Himmels auf dem
Nacken trägt; mein anderer Ahn Jupiter, der Vater der
Götter; selbst Phrygiens Völker gehorchen mir, mir und
meinem Gatten ist die Stadt des Kadmus, sind die Mauern
unterthan, die sich dem Saitenspiel Amphions gefügt ha¬
ben; jeder Theil meines Pallastes zeigt mir unermeßliche
Schätze, dazu kommt ein Antliz, wie es einer Göttin
werth ist, dazu eine Kinderschaar, wie keine Mutter sie
aufweisen kann. Sieben blühende Töchter, sieben starke
Söhne, bald eben so viele Eidame und Schwiegertöch¬
ter. Fraget nun, ob ich auch Grund habe stolz zu seyn!
waget es noch ferner, mir Latona, die unbekannte Tita¬
nentochter, vorzuziehen, welcher einst die breite Erde kei¬
nen Raum gegönnt hat, wo sie dem Jupiter gebären könnte,
bis die schwimmende Insel Delos der Umherschweifenden
aus Mitleid ihren unbefestigten Sitz darbot. Dort wur¬
de sie Mutter zweier Kinder, die Armseelige. Das ist der
siebente Theil meiner Mutterfreude! Wer läugnet, daß ich
glücklich bin, wer zweifelt daß ich glücklich bleibe? For¬
tuna hätte viel zu thun, wenn sie gründlich meinem Besitze
schaden wollte! Nehme sie mir dies oder jenes, selbst von
der Schaar meiner Gebornen, wann wird je ihr Haufe

Kreiſe der Verſammelten ruhen und rief: „Seyd ihr nicht
wahnſinnig, Götter zu ehren von denen man euch fabelt,
während vom Himmel begünſtigtere Weſen mitten unter
euch weilen? Wenn ihr der Latona Altäre errichtet, war¬
um bleibt mein göttlicher Name ohne Weihrauch? Iſt
doch mein Vater Tantalus der einzige Sterbliche, der
am Tiſche der Himmliſchen geſeſſen hat, meine Mutter
Dio, die Schweſter der Plejaden, die als leuchtendes
Geſtirn am Himmel glänzen; mein einer Ahn iſt Atlas
der Gewaltige, der das Gewölbe des Himmels auf dem
Nacken trägt; mein anderer Ahn Jupiter, der Vater der
Götter; ſelbſt Phrygiens Völker gehorchen mir, mir und
meinem Gatten iſt die Stadt des Kadmus, ſind die Mauern
unterthan, die ſich dem Saitenſpiel Amphions gefügt ha¬
ben; jeder Theil meines Pallaſtes zeigt mir unermeßliche
Schätze, dazu kommt ein Antliz, wie es einer Göttin
werth iſt, dazu eine Kinderſchaar, wie keine Mutter ſie
aufweiſen kann. Sieben blühende Töchter, ſieben ſtarke
Söhne, bald eben ſo viele Eidame und Schwiegertöch¬
ter. Fraget nun, ob ich auch Grund habe ſtolz zu ſeyn!
waget es noch ferner, mir Latona, die unbekannte Tita¬
nentochter, vorzuziehen, welcher einſt die breite Erde kei¬
nen Raum gegönnt hat, wo ſie dem Jupiter gebären könnte,
bis die ſchwimmende Inſel Delos der Umherſchweifenden
aus Mitleid ihren unbefeſtigten Sitz darbot. Dort wur¬
de ſie Mutter zweier Kinder, die Armſeelige. Das iſt der
ſiebente Theil meiner Mutterfreude! Wer läugnet, daß ich
glücklich bin, wer zweifelt daß ich glücklich bleibe? For¬
tuna hätte viel zu thun, wenn ſie gründlich meinem Beſitze
ſchaden wollte! Nehme ſie mir dies oder jenes, ſelbſt von
der Schaar meiner Gebornen, wann wird je ihr Haufe

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[192/0218] Kreiſe der Verſammelten ruhen und rief: „Seyd ihr nicht wahnſinnig, Götter zu ehren von denen man euch fabelt, während vom Himmel begünſtigtere Weſen mitten unter euch weilen? Wenn ihr der Latona Altäre errichtet, war¬ um bleibt mein göttlicher Name ohne Weihrauch? Iſt doch mein Vater Tantalus der einzige Sterbliche, der am Tiſche der Himmliſchen geſeſſen hat, meine Mutter Dio, die Schweſter der Plejaden, die als leuchtendes Geſtirn am Himmel glänzen; mein einer Ahn iſt Atlas der Gewaltige, der das Gewölbe des Himmels auf dem Nacken trägt; mein anderer Ahn Jupiter, der Vater der Götter; ſelbſt Phrygiens Völker gehorchen mir, mir und meinem Gatten iſt die Stadt des Kadmus, ſind die Mauern unterthan, die ſich dem Saitenſpiel Amphions gefügt ha¬ ben; jeder Theil meines Pallaſtes zeigt mir unermeßliche Schätze, dazu kommt ein Antliz, wie es einer Göttin werth iſt, dazu eine Kinderſchaar, wie keine Mutter ſie aufweiſen kann. Sieben blühende Töchter, ſieben ſtarke Söhne, bald eben ſo viele Eidame und Schwiegertöch¬ ter. Fraget nun, ob ich auch Grund habe ſtolz zu ſeyn! waget es noch ferner, mir Latona, die unbekannte Tita¬ nentochter, vorzuziehen, welcher einſt die breite Erde kei¬ nen Raum gegönnt hat, wo ſie dem Jupiter gebären könnte, bis die ſchwimmende Inſel Delos der Umherſchweifenden aus Mitleid ihren unbefeſtigten Sitz darbot. Dort wur¬ de ſie Mutter zweier Kinder, die Armſeelige. Das iſt der ſiebente Theil meiner Mutterfreude! Wer läugnet, daß ich glücklich bin, wer zweifelt daß ich glücklich bleibe? For¬ tuna hätte viel zu thun, wenn ſie gründlich meinem Beſitze ſchaden wollte! Nehme ſie mir dies oder jenes, ſelbſt von der Schaar meiner Gebornen, wann wird je ihr Haufe

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/218>, abgerufen am 25.04.2024.