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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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alle Liebe, die dieser ihm, der es nicht um ihn verdient hätte,
erwiesen, und wünschte ihm und allem Volke bessern Schutz
der Götter, denn er selbst erfahren hatte.

Dann führte ihn Kreon in das Haus zurück, und
der jüngst noch verherrlichte Retter Thebe's, der mächtige
Herrscher, dem viele Tausende gehorchten, der Oedipus,
der so tiefe Räthsel erforscht und so spät erst das eigene
furchtbare Räthsel seines Lebens gelöst hatte, sollte, einem
blinden Bettler gleich, durch die Thore seiner Vaterstadt
und an die Gränzen seines Königreichs wandern.


Oedipus und Antigone.

In der ersten Stunde der Entdeckung wäre der
schnellste Tod dem Oedipus der liebste gewesen, ja er
hätte es als eine Wohlthat aufgenommen, wenn das Volk
sich gegen ihn erhoben und ihn gesteinigt hätte. Und so
erschien ihm auch die Verbannung, um welche er flehte,
und welche sein Schwager Kreon ihm bewilligte, als ein
Geschenk. Als er aber in seiner Finsterniß zu Hause saß,
und der Zorn allmählig auskochte, da fing er auch an,
das Gräßliche zu empfinden, was das Herumirren eines
blinden Verbannten in der Fremde für ihn haben mußte.
Die Liebe zur Heimath begann mit dem Gefühle wieder
zu erwachen, daß er für nicht beabsichtigte und nicht
mit Bewußtseyn begangene Verbrechen, theils durch den
Tod Jokaste's, theils durch die Blendung, die er an sich
selbst vollzogen habe, doch eigentlich genug bestraft sey,
und er scheute sich auch nicht, den Wunsch zu Hause zu
bleiben, gegen Kreon und seine eigenen Söhne Eteokles

alle Liebe, die dieſer ihm, der es nicht um ihn verdient hätte,
erwieſen, und wünſchte ihm und allem Volke beſſern Schutz
der Götter, denn er ſelbſt erfahren hatte.

Dann führte ihn Kreon in das Haus zurück, und
der jüngſt noch verherrlichte Retter Thebe's, der mächtige
Herrſcher, dem viele Tauſende gehorchten, der Oedipus,
der ſo tiefe Räthſel erforſcht und ſo ſpät erſt das eigene
furchtbare Räthſel ſeines Lebens gelöſt hatte, ſollte, einem
blinden Bettler gleich, durch die Thore ſeiner Vaterſtadt
und an die Gränzen ſeines Königreichs wandern.


Oedipus und Antigone.

In der erſten Stunde der Entdeckung wäre der
ſchnellſte Tod dem Oedipus der liebſte geweſen, ja er
hätte es als eine Wohlthat aufgenommen, wenn das Volk
ſich gegen ihn erhoben und ihn geſteinigt hätte. Und ſo
erſchien ihm auch die Verbannung, um welche er flehte,
und welche ſein Schwager Kreon ihm bewilligte, als ein
Geſchenk. Als er aber in ſeiner Finſterniß zu Hauſe ſaß,
und der Zorn allmählig auskochte, da fing er auch an,
das Gräßliche zu empfinden, was das Herumirren eines
blinden Verbannten in der Fremde für ihn haben mußte.
Die Liebe zur Heimath begann mit dem Gefühle wieder
zu erwachen, daß er für nicht beabſichtigte und nicht
mit Bewußtſeyn begangene Verbrechen, theils durch den
Tod Jokaſte's, theils durch die Blendung, die er an ſich
ſelbſt vollzogen habe, doch eigentlich genug beſtraft ſey,
und er ſcheute ſich auch nicht, den Wunſch zu Hauſe zu
bleiben, gegen Kreon und ſeine eigenen Söhne Eteokles

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[326/0352] alle Liebe, die dieſer ihm, der es nicht um ihn verdient hätte, erwieſen, und wünſchte ihm und allem Volke beſſern Schutz der Götter, denn er ſelbſt erfahren hatte. Dann führte ihn Kreon in das Haus zurück, und der jüngſt noch verherrlichte Retter Thebe's, der mächtige Herrſcher, dem viele Tauſende gehorchten, der Oedipus, der ſo tiefe Räthſel erforſcht und ſo ſpät erſt das eigene furchtbare Räthſel ſeines Lebens gelöſt hatte, ſollte, einem blinden Bettler gleich, durch die Thore ſeiner Vaterſtadt und an die Gränzen ſeines Königreichs wandern. Oedipus und Antigone. In der erſten Stunde der Entdeckung wäre der ſchnellſte Tod dem Oedipus der liebſte geweſen, ja er hätte es als eine Wohlthat aufgenommen, wenn das Volk ſich gegen ihn erhoben und ihn geſteinigt hätte. Und ſo erſchien ihm auch die Verbannung, um welche er flehte, und welche ſein Schwager Kreon ihm bewilligte, als ein Geſchenk. Als er aber in ſeiner Finſterniß zu Hauſe ſaß, und der Zorn allmählig auskochte, da fing er auch an, das Gräßliche zu empfinden, was das Herumirren eines blinden Verbannten in der Fremde für ihn haben mußte. Die Liebe zur Heimath begann mit dem Gefühle wieder zu erwachen, daß er für nicht beabſichtigte und nicht mit Bewußtſeyn begangene Verbrechen, theils durch den Tod Jokaſte's, theils durch die Blendung, die er an ſich ſelbſt vollzogen habe, doch eigentlich genug beſtraft ſey, und er ſcheute ſich auch nicht, den Wunſch zu Hauſe zu bleiben, gegen Kreon und ſeine eigenen Söhne Eteokles

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/352>, abgerufen am 28.03.2024.