Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Weise konnten. Deßwegen verließen sie den schon einge¬
nommenen Peloponnes wieder, kehrten ins attische Ge¬
biet zurück und wohnten dort auf den Feldern von Ma¬
rathon. Hyllus hatte inzwischen, nach dem Willen seines
sterbenden Vaters die schöne Jungfrau Jole, um welche einst
Herkules selbst sich beworben hatte, geheirathet, und dachte
unaufhörlich auf Mittel, in den Besitz des angestammten
Vatererbes zu kommen. Er wandte sich daher abermals
an das Orakel zu Delphi, und dieses gab ihm zur Ant¬
wort: "Erwartet ihr die dritte Frucht, so wird euch die
Rückkehr gelingen." Hyllus deutete dieses, wie es am
natürlichsten schien, von den Feldfrüchten des dritten
Jahres, wartete geduldig den dritten Sommer ab, und fiel
dann auf's Neue mit Heeresmacht in den Peloponnes ein.

Zu Mycene war nach dem Tode des Eurystheus der
Enkel des Tantalus und Sohn des Pelops, Atreus, Kö¬
nig geworden; dieser schloß bei der feindlichen Annäherung
der Herakliden einen Bund mit den Einwohnern der Stadt
Tegea und andrer Nachbarstädte, und ging den Heranrü¬
ckenden entgegen. An der Landenge von Corinth standen
beide Heere einander gegenüber. Aber Hyllus, der immer
gerne Griechenblut schonte, war hier wieder der Erste,
der den Streit durch einen Zweikampf zu schlichten be¬
müht war. Er forderte Einen der Feinde, wer da wollte,
zum Streite heraus, und stellte, auf seine vom Orakel ge¬
billigte Unternehmung vertrauend, die Bedingung, wenn
Hyllus seinen Gegner besiegte, so sollten die Herakliden
das alte Reich des Eurystheus ohne Schwertstreich ein¬
nehmen; würde dagegen Hyllus überwunden, so sollten
die Nachkommen des Herkules fünfzig Jahre lang den
Peloponnes nicht mehr betreten dürfen. Als diese Aus¬

Weiſe konnten. Deßwegen verließen ſie den ſchon einge¬
nommenen Peloponnes wieder, kehrten ins attiſche Ge¬
biet zurück und wohnten dort auf den Feldern von Ma¬
rathon. Hyllus hatte inzwiſchen, nach dem Willen ſeines
ſterbenden Vaters die ſchöne Jungfrau Jole, um welche einſt
Herkules ſelbſt ſich beworben hatte, geheirathet, und dachte
unaufhörlich auf Mittel, in den Beſitz des angeſtammten
Vatererbes zu kommen. Er wandte ſich daher abermals
an das Orakel zu Delphi, und dieſes gab ihm zur Ant¬
wort: „Erwartet ihr die dritte Frucht, ſo wird euch die
Rückkehr gelingen.“ Hyllus deutete dieſes, wie es am
natürlichſten ſchien, von den Feldfrüchten des dritten
Jahres, wartete geduldig den dritten Sommer ab, und fiel
dann auf's Neue mit Heeresmacht in den Peloponnes ein.

Zu Mycene war nach dem Tode des Euryſtheus der
Enkel des Tantalus und Sohn des Pelops, Atreus, Kö¬
nig geworden; dieſer ſchloß bei der feindlichen Annäherung
der Herakliden einen Bund mit den Einwohnern der Stadt
Tegea und andrer Nachbarſtädte, und ging den Heranrü¬
ckenden entgegen. An der Landenge von Corinth ſtanden
beide Heere einander gegenüber. Aber Hyllus, der immer
gerne Griechenblut ſchonte, war hier wieder der Erſte,
der den Streit durch einen Zweikampf zu ſchlichten be¬
müht war. Er forderte Einen der Feinde, wer da wollte,
zum Streite heraus, und ſtellte, auf ſeine vom Orakel ge¬
billigte Unternehmung vertrauend, die Bedingung, wenn
Hyllus ſeinen Gegner beſiegte, ſo ſollten die Herakliden
das alte Reich des Euryſtheus ohne Schwertſtreich ein¬
nehmen; würde dagegen Hyllus überwunden, ſo ſollten
die Nachkommen des Herkules fünfzig Jahre lang den
Peloponnes nicht mehr betreten dürfen. Als dieſe Aus¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0428" n="402"/>
Wei&#x017F;e konnten. Deßwegen verließen &#x017F;ie den &#x017F;chon einge¬<lb/>
nommenen Peloponnes wieder, kehrten ins atti&#x017F;che Ge¬<lb/>
biet zurück und wohnten dort auf den Feldern von Ma¬<lb/>
rathon. Hyllus hatte inzwi&#x017F;chen, nach dem Willen &#x017F;eines<lb/>
&#x017F;terbenden Vaters die &#x017F;chöne Jungfrau Jole, um welche ein&#x017F;t<lb/>
Herkules &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich beworben hatte, geheirathet, und dachte<lb/>
unaufhörlich auf Mittel, in den Be&#x017F;itz des ange&#x017F;tammten<lb/>
Vatererbes zu kommen. Er wandte &#x017F;ich daher abermals<lb/>
an das Orakel zu Delphi, und die&#x017F;es gab ihm zur Ant¬<lb/>
wort: &#x201E;Erwartet ihr die dritte Frucht, &#x017F;o wird euch die<lb/>
Rückkehr gelingen.&#x201C; Hyllus deutete die&#x017F;es, wie es am<lb/>
natürlich&#x017F;ten &#x017F;chien, von den Feldfrüchten des dritten<lb/>
Jahres, wartete geduldig den dritten Sommer ab, und fiel<lb/>
dann auf's Neue mit Heeresmacht in den Peloponnes ein.</p><lb/>
            <p>Zu Mycene war nach dem Tode des Eury&#x017F;theus der<lb/>
Enkel des Tantalus und Sohn des Pelops, Atreus, Kö¬<lb/>
nig geworden; die&#x017F;er &#x017F;chloß bei der feindlichen Annäherung<lb/>
der Herakliden einen Bund mit den Einwohnern der Stadt<lb/>
Tegea und andrer Nachbar&#x017F;tädte, und ging den Heranrü¬<lb/>
ckenden entgegen. An der Landenge von Corinth &#x017F;tanden<lb/>
beide Heere einander gegenüber. Aber Hyllus, der immer<lb/>
gerne Griechenblut &#x017F;chonte, war hier wieder der Er&#x017F;te,<lb/>
der den Streit durch einen Zweikampf zu &#x017F;chlichten be¬<lb/>
müht war. Er forderte Einen der Feinde, wer da wollte,<lb/>
zum Streite heraus, und &#x017F;tellte, auf &#x017F;eine vom Orakel ge¬<lb/>
billigte Unternehmung vertrauend, die Bedingung, wenn<lb/>
Hyllus &#x017F;einen Gegner be&#x017F;iegte, &#x017F;o &#x017F;ollten die Herakliden<lb/>
das alte Reich des Eury&#x017F;theus ohne Schwert&#x017F;treich ein¬<lb/>
nehmen; würde dagegen Hyllus überwunden, &#x017F;o &#x017F;ollten<lb/>
die Nachkommen des Herkules fünfzig Jahre lang den<lb/>
Peloponnes nicht mehr betreten dürfen. Als die&#x017F;e Aus¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0428] Weiſe konnten. Deßwegen verließen ſie den ſchon einge¬ nommenen Peloponnes wieder, kehrten ins attiſche Ge¬ biet zurück und wohnten dort auf den Feldern von Ma¬ rathon. Hyllus hatte inzwiſchen, nach dem Willen ſeines ſterbenden Vaters die ſchöne Jungfrau Jole, um welche einſt Herkules ſelbſt ſich beworben hatte, geheirathet, und dachte unaufhörlich auf Mittel, in den Beſitz des angeſtammten Vatererbes zu kommen. Er wandte ſich daher abermals an das Orakel zu Delphi, und dieſes gab ihm zur Ant¬ wort: „Erwartet ihr die dritte Frucht, ſo wird euch die Rückkehr gelingen.“ Hyllus deutete dieſes, wie es am natürlichſten ſchien, von den Feldfrüchten des dritten Jahres, wartete geduldig den dritten Sommer ab, und fiel dann auf's Neue mit Heeresmacht in den Peloponnes ein. Zu Mycene war nach dem Tode des Euryſtheus der Enkel des Tantalus und Sohn des Pelops, Atreus, Kö¬ nig geworden; dieſer ſchloß bei der feindlichen Annäherung der Herakliden einen Bund mit den Einwohnern der Stadt Tegea und andrer Nachbarſtädte, und ging den Heranrü¬ ckenden entgegen. An der Landenge von Corinth ſtanden beide Heere einander gegenüber. Aber Hyllus, der immer gerne Griechenblut ſchonte, war hier wieder der Erſte, der den Streit durch einen Zweikampf zu ſchlichten be¬ müht war. Er forderte Einen der Feinde, wer da wollte, zum Streite heraus, und ſtellte, auf ſeine vom Orakel ge¬ billigte Unternehmung vertrauend, die Bedingung, wenn Hyllus ſeinen Gegner beſiegte, ſo ſollten die Herakliden das alte Reich des Euryſtheus ohne Schwertſtreich ein¬ nehmen; würde dagegen Hyllus überwunden, ſo ſollten die Nachkommen des Herkules fünfzig Jahre lang den Peloponnes nicht mehr betreten dürfen. Als dieſe Aus¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/428
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/428>, abgerufen am 28.03.2024.