Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

tung mir unter der Bedingung bereit, daß sie ihm den
Weg zu den Nymphen zeigen sollten. Dieses waren
andere Wundergeschöpfe, die Flügelschuhe, einen Schubsack
als Tasche und einen Helm von Hundefell besaßen. Wer
sich damit bekleidete, konnte fliegen, wohin er wollte; sah,
wen er wollte, und wurde von Niemand gesehen. Die
Töchter des Phorkus zeigten dem Perseus den Weg zu
den Nymphen und erhielten Zahn und Auge von ihm zu¬
rück. Bei den Nymphen fand und nahm er, was er
wollte, warf den Schubsack um, schnallte die Flügelschuhe
an seine Knöchel und setzte den Helm aufs Haupt. Dazu
erhielt er von Merkurius eine eherne Sichel, und so aus¬
gerüstet flog er zu dem Ocean, wo die andern drei Töch¬
ter des Phorkus, die Gorgonen, hausten. Die dritte,
die Medusa hieß, war allein sterblich; darum war auch
Perseus ausgesandt worden, ihr Haupt zu holen. Er
fand die Ungeheuer schlafend; ihre Häupter waren mit
Drachenschuppen übersäet, mit Schlangen, statt Haaren
bedeckt, große Hauzähne hatten sie, wie Schweine, eherne
Hände, und goldene Flügel, mit welchen sie flogen. Jeden,
der sie ansah, verwandelte dieser Anblick in Stein. Das
wußte Perseus. Mit abgewandtem Gesichte stellte er sich
deßwegen vor die Schlafenden, und fing nur in seinem
ehernen, glänzenden Schilde ihr dreifaches Bild auf. So
erkannte er die Gorgo Medusa heraus, Minerva führte
ihm die Hand, und er schnitt dem schlafenden Ungeheuer
ohne Gefährde das Haupt ab. Kaum war dieß vollbracht,
so entsprang dem Rumpfe ein geflügeltes Roß, der Pe¬
gasus, und ein Riese, Chrysaor. Beides waren Geschöpfe
des Poseidon oder Neptunus. Perseus schob nun das
Haupt der Medusa in den Schubsack, und entfernte sich

tung mir unter der Bedingung bereit, daß ſie ihm den
Weg zu den Nymphen zeigen ſollten. Dieſes waren
andere Wundergeſchöpfe, die Flügelſchuhe, einen Schubſack
als Taſche und einen Helm von Hundefell beſaßen. Wer
ſich damit bekleidete, konnte fliegen, wohin er wollte; ſah,
wen er wollte, und wurde von Niemand geſehen. Die
Töchter des Phorkus zeigten dem Perſeus den Weg zu
den Nymphen und erhielten Zahn und Auge von ihm zu¬
rück. Bei den Nymphen fand und nahm er, was er
wollte, warf den Schubſack um, ſchnallte die Flügelſchuhe
an ſeine Knöchel und ſetzte den Helm aufs Haupt. Dazu
erhielt er von Merkurius eine eherne Sichel, und ſo aus¬
gerüſtet flog er zu dem Ocean, wo die andern drei Töch¬
ter des Phorkus, die Gorgonen, hausten. Die dritte,
die Meduſa hieß, war allein ſterblich; darum war auch
Perſeus ausgeſandt worden, ihr Haupt zu holen. Er
fand die Ungeheuer ſchlafend; ihre Häupter waren mit
Drachenſchuppen überſäet, mit Schlangen, ſtatt Haaren
bedeckt, große Hauzähne hatten ſie, wie Schweine, eherne
Hände, und goldene Flügel, mit welchen ſie flogen. Jeden,
der ſie anſah, verwandelte dieſer Anblick in Stein. Das
wußte Perſeus. Mit abgewandtem Geſichte ſtellte er ſich
deßwegen vor die Schlafenden, und fing nur in ſeinem
ehernen, glänzenden Schilde ihr dreifaches Bild auf. So
erkannte er die Gorgo Meduſa heraus, Minerva führte
ihm die Hand, und er ſchnitt dem ſchlafenden Ungeheuer
ohne Gefährde das Haupt ab. Kaum war dieß vollbracht,
ſo entſprang dem Rumpfe ein geflügeltes Roß, der Pe¬
gaſus, und ein Rieſe, Chryſaor. Beides waren Geſchöpfe
des Poſeidon oder Neptunus. Perſeus ſchob nun das
Haupt der Meduſa in den Schubſack, und entfernte ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0085" n="59"/>
tung mir unter der Bedingung bereit, daß &#x017F;ie ihm den<lb/>
Weg zu den <hi rendition="#g">Nymphen</hi> zeigen &#x017F;ollten. Die&#x017F;es waren<lb/>
andere Wunderge&#x017F;chöpfe, die Flügel&#x017F;chuhe, einen Schub&#x017F;ack<lb/>
als Ta&#x017F;che und einen Helm von Hundefell be&#x017F;aßen. Wer<lb/>
&#x017F;ich damit bekleidete, konnte fliegen, wohin er wollte; &#x017F;ah,<lb/>
wen er wollte, und wurde von Niemand ge&#x017F;ehen. Die<lb/>
Töchter des Phorkus zeigten dem Per&#x017F;eus den Weg zu<lb/>
den Nymphen und erhielten Zahn und Auge von ihm zu¬<lb/>
rück. Bei den Nymphen fand und nahm er, was er<lb/>
wollte, warf den Schub&#x017F;ack um, &#x017F;chnallte die Flügel&#x017F;chuhe<lb/>
an &#x017F;eine Knöchel und &#x017F;etzte den Helm aufs Haupt. Dazu<lb/>
erhielt er von Merkurius eine eherne Sichel, und &#x017F;o aus¬<lb/>
gerü&#x017F;tet flog er zu dem Ocean, wo die andern drei Töch¬<lb/>
ter des Phorkus, die <hi rendition="#g">Gorgonen</hi>, hausten. Die dritte,<lb/>
die <hi rendition="#g">Medu&#x017F;a</hi> hieß, war allein &#x017F;terblich; darum war auch<lb/>
Per&#x017F;eus ausge&#x017F;andt worden, <hi rendition="#g">ihr</hi> Haupt zu holen. Er<lb/>
fand die Ungeheuer &#x017F;chlafend; ihre Häupter waren mit<lb/>
Drachen&#x017F;chuppen über&#x017F;äet, mit Schlangen, &#x017F;tatt Haaren<lb/>
bedeckt, große Hauzähne hatten &#x017F;ie, wie Schweine, eherne<lb/>
Hände, und goldene Flügel, mit welchen &#x017F;ie flogen. Jeden,<lb/>
der &#x017F;ie an&#x017F;ah, verwandelte die&#x017F;er Anblick in Stein. Das<lb/>
wußte Per&#x017F;eus. Mit abgewandtem Ge&#x017F;ichte &#x017F;tellte er &#x017F;ich<lb/>
deßwegen vor die Schlafenden, und fing nur in &#x017F;einem<lb/>
ehernen, glänzenden Schilde ihr dreifaches Bild auf. So<lb/>
erkannte er die Gorgo Medu&#x017F;a heraus, Minerva führte<lb/>
ihm die Hand, und er &#x017F;chnitt dem &#x017F;chlafenden Ungeheuer<lb/>
ohne Gefährde das Haupt ab. Kaum war dieß vollbracht,<lb/>
&#x017F;o ent&#x017F;prang dem Rumpfe ein geflügeltes Roß, der Pe¬<lb/>
ga&#x017F;us, und ein Rie&#x017F;e, Chry&#x017F;aor. Beides waren Ge&#x017F;chöpfe<lb/>
des Po&#x017F;eidon oder Neptunus. Per&#x017F;eus &#x017F;chob nun das<lb/>
Haupt der Medu&#x017F;a in den Schub&#x017F;ack, und entfernte &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0085] tung mir unter der Bedingung bereit, daß ſie ihm den Weg zu den Nymphen zeigen ſollten. Dieſes waren andere Wundergeſchöpfe, die Flügelſchuhe, einen Schubſack als Taſche und einen Helm von Hundefell beſaßen. Wer ſich damit bekleidete, konnte fliegen, wohin er wollte; ſah, wen er wollte, und wurde von Niemand geſehen. Die Töchter des Phorkus zeigten dem Perſeus den Weg zu den Nymphen und erhielten Zahn und Auge von ihm zu¬ rück. Bei den Nymphen fand und nahm er, was er wollte, warf den Schubſack um, ſchnallte die Flügelſchuhe an ſeine Knöchel und ſetzte den Helm aufs Haupt. Dazu erhielt er von Merkurius eine eherne Sichel, und ſo aus¬ gerüſtet flog er zu dem Ocean, wo die andern drei Töch¬ ter des Phorkus, die Gorgonen, hausten. Die dritte, die Meduſa hieß, war allein ſterblich; darum war auch Perſeus ausgeſandt worden, ihr Haupt zu holen. Er fand die Ungeheuer ſchlafend; ihre Häupter waren mit Drachenſchuppen überſäet, mit Schlangen, ſtatt Haaren bedeckt, große Hauzähne hatten ſie, wie Schweine, eherne Hände, und goldene Flügel, mit welchen ſie flogen. Jeden, der ſie anſah, verwandelte dieſer Anblick in Stein. Das wußte Perſeus. Mit abgewandtem Geſichte ſtellte er ſich deßwegen vor die Schlafenden, und fing nur in ſeinem ehernen, glänzenden Schilde ihr dreifaches Bild auf. So erkannte er die Gorgo Meduſa heraus, Minerva führte ihm die Hand, und er ſchnitt dem ſchlafenden Ungeheuer ohne Gefährde das Haupt ab. Kaum war dieß vollbracht, ſo entſprang dem Rumpfe ein geflügeltes Roß, der Pe¬ gaſus, und ein Rieſe, Chryſaor. Beides waren Geſchöpfe des Poſeidon oder Neptunus. Perſeus ſchob nun das Haupt der Meduſa in den Schubſack, und entfernte ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/85
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/85>, abgerufen am 25.04.2024.