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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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wundet bei den Schiffen umher; wund ist Diomedes; lan¬
zenwund Odysseus und Agamemnon; den Eurypylus traf
ein Pfeil in den Schenkel: sie alle sind den Aerzten zur
Heilung übergeben, statt daß sie in unsern Reihen kämpfen
sollten. Du aber bleibst unerbittlich; nicht Peleus und
Thetis, der Mensch und die Göttin, können deine Eltern
seyn; dich muß das finstre Meer oder ein starrer Fels
geboren haben, so unfreundlich ist dein Herz! Nun denn,
wenn die Worte deiner Mutter und ein Bescheid der Göt¬
ter dich zurückhalten: so sende wenigstens mich und deine
Krieger ab, ob wir den Griechen nicht vielleicht
Trost bringen. Laß mich deine eigene Rüstung anlegen:
leicht mag es seyn, wenn die Trojaner mich sehen und
dich zu erblicken glauben, daß sie vom Kampf abstehen
und den Danaern Zeit lassen, sich zu erholen!"

Aber Achilles erwiederte unmuthig: "Wehe mir,
Freund! Nicht das Wort meiner Mutter, auch kein
Götterausspruch hindert mich; nur der bittere Schmerz, daß
ein Grieche es gewagt hat, mich, den Ebenbürtigen, des
Ehrengeschenks zu berauben, frißt mir an der Seele.
Dennoch habe ich mir nicht vorgesetzt, ewig zu grollen,
und war von jeher entschlossen, wenn das Schlachtgetüm¬
mel bis zu den Schiffen gelangen sollte, meinem Groll
Abschied zu sagen. Selber Antheil am Kampfe zu nehmen,
kann ich mich zwar noch nicht entschließen; du aber hülle
immerhin deine Schultern in meine Rüstung, und führe
auch unser streitbares Volk zum Kampfe. Stürze mit
aller Macht auf die Trojaner, und treibe sie aus den
Schiffen fort! Nur an Einen lege die Hände nicht, und
dieß ist Hektor; auch hüte dich, daß du nicht einem Gott
in die Hände fallest: denn Apollo liebt unsre Feinde!

wundet bei den Schiffen umher; wund iſt Diomedes; lan¬
zenwund Odyſſeus und Agamemnon; den Eurypylus traf
ein Pfeil in den Schenkel: ſie alle ſind den Aerzten zur
Heilung übergeben, ſtatt daß ſie in unſern Reihen kämpfen
ſollten. Du aber bleibſt unerbittlich; nicht Peleus und
Thetis, der Menſch und die Göttin, können deine Eltern
ſeyn; dich muß das finſtre Meer oder ein ſtarrer Fels
geboren haben, ſo unfreundlich iſt dein Herz! Nun denn,
wenn die Worte deiner Mutter und ein Beſcheid der Göt¬
ter dich zurückhalten: ſo ſende wenigſtens mich und deine
Krieger ab, ob wir den Griechen nicht vielleicht
Troſt bringen. Laß mich deine eigene Rüſtung anlegen:
leicht mag es ſeyn, wenn die Trojaner mich ſehen und
dich zu erblicken glauben, daß ſie vom Kampf abſtehen
und den Danaern Zeit laſſen, ſich zu erholen!“

Aber Achilles erwiederte unmuthig: „Wehe mir,
Freund! Nicht das Wort meiner Mutter, auch kein
Götterausſpruch hindert mich; nur der bittere Schmerz, daß
ein Grieche es gewagt hat, mich, den Ebenbürtigen, des
Ehrengeſchenks zu berauben, frißt mir an der Seele.
Dennoch habe ich mir nicht vorgeſetzt, ewig zu grollen,
und war von jeher entſchloſſen, wenn das Schlachtgetüm¬
mel bis zu den Schiffen gelangen ſollte, meinem Groll
Abſchied zu ſagen. Selber Antheil am Kampfe zu nehmen,
kann ich mich zwar noch nicht entſchließen; du aber hülle
immerhin deine Schultern in meine Rüſtung, und führe
auch unſer ſtreitbares Volk zum Kampfe. Stürze mit
aller Macht auf die Trojaner, und treibe ſie aus den
Schiffen fort! Nur an Einen lege die Hände nicht, und
dieß iſt Hektor; auch hüte dich, daß du nicht einem Gott
in die Hände falleſt: denn Apollo liebt unſre Feinde!

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[216/0238] wundet bei den Schiffen umher; wund iſt Diomedes; lan¬ zenwund Odyſſeus und Agamemnon; den Eurypylus traf ein Pfeil in den Schenkel: ſie alle ſind den Aerzten zur Heilung übergeben, ſtatt daß ſie in unſern Reihen kämpfen ſollten. Du aber bleibſt unerbittlich; nicht Peleus und Thetis, der Menſch und die Göttin, können deine Eltern ſeyn; dich muß das finſtre Meer oder ein ſtarrer Fels geboren haben, ſo unfreundlich iſt dein Herz! Nun denn, wenn die Worte deiner Mutter und ein Beſcheid der Göt¬ ter dich zurückhalten: ſo ſende wenigſtens mich und deine Krieger ab, ob wir den Griechen nicht vielleicht Troſt bringen. Laß mich deine eigene Rüſtung anlegen: leicht mag es ſeyn, wenn die Trojaner mich ſehen und dich zu erblicken glauben, daß ſie vom Kampf abſtehen und den Danaern Zeit laſſen, ſich zu erholen!“ Aber Achilles erwiederte unmuthig: „Wehe mir, Freund! Nicht das Wort meiner Mutter, auch kein Götterausſpruch hindert mich; nur der bittere Schmerz, daß ein Grieche es gewagt hat, mich, den Ebenbürtigen, des Ehrengeſchenks zu berauben, frißt mir an der Seele. Dennoch habe ich mir nicht vorgeſetzt, ewig zu grollen, und war von jeher entſchloſſen, wenn das Schlachtgetüm¬ mel bis zu den Schiffen gelangen ſollte, meinem Groll Abſchied zu ſagen. Selber Antheil am Kampfe zu nehmen, kann ich mich zwar noch nicht entſchließen; du aber hülle immerhin deine Schultern in meine Rüſtung, und führe auch unſer ſtreitbares Volk zum Kampfe. Stürze mit aller Macht auf die Trojaner, und treibe ſie aus den Schiffen fort! Nur an Einen lege die Hände nicht, und dieß iſt Hektor; auch hüte dich, daß du nicht einem Gott in die Hände falleſt: denn Apollo liebt unſre Feinde!

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/238>, abgerufen am 24.04.2024.