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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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zurückgedrängt habe, muß dein Rath dem Volke thöricht
erscheinen, und kein einziger Trojaner wird dir gehorchen.
Vielmehr befehle ich Haufen um Haufen, die Nachtkost
unter das Heer zu vertheilen, und der Wachen nicht zu
vergessen. Härmt sich Einer um sein Gut und Vermögen,
der lasse es beim gemeinsamen Gastmahl aufgehen, besser
daß die Unsrigen sich dran erlustigen, als daß die Grie¬
chen es thun. Am Morgen wiederholen wir sodann den
Sturm auf die Schiffe; wenn wirklich Achilles wieder
auferstanden ist, so hat er sich das schlimmere Loos erkoh¬
ren; denn nicht werde ich diesen gräßlichen Kampf ver¬
lassen, ehe mich oder ihn die Siegesehre krönt!" Die
Trojaner überhörten die heilsamen Worte des Polydamas,
rauschten dem Unheilsworte Hektor's Beifall zu, und war¬
fen sich hungrig auf ihr Mahl.

Die Griechen aber jammerten die ganze Nacht über
der Leiche des Patroklus, und vor Allen erhub Achilles
die Klage, während seine mörderischen Hände auf dem
Busen des Freundes ruhten. "O eitles Wort," sprach
er, "das mir damals entfallen ist, als ich, den alten Hel¬
den Menötius im Pallaste tröstend, ihm versprach, seinen
Sohn nach Troja's Zerstörung, reich an Ruhm und
Beute, nach Opaus in seine Heimath ihm zurückzubringen!
Nun ward uns beiden bestimmt, dieselbe fremde Erde mit
unserm Blute roth zu färben, denn auch mich werden
mein grauer Vater Peleus und meine Mutter Thetis
nimmermehr im Pallast empfangen, sondern hier vor
Troja wird mich das Erdreich bedecken. Aber weil ich
doch nach dir in den Boden sinken soll, Patroklus, so will
ich dir nicht eher dein Leichenfest feiern, als bis ich dir
die Waffen und das Haupt deines Mörders, Hektor's,

zurückgedrängt habe, muß dein Rath dem Volke thöricht
erſcheinen, und kein einziger Trojaner wird dir gehorchen.
Vielmehr befehle ich Haufen um Haufen, die Nachtkoſt
unter das Heer zu vertheilen, und der Wachen nicht zu
vergeſſen. Härmt ſich Einer um ſein Gut und Vermögen,
der laſſe es beim gemeinſamen Gaſtmahl aufgehen, beſſer
daß die Unſrigen ſich dran erluſtigen, als daß die Grie¬
chen es thun. Am Morgen wiederholen wir ſodann den
Sturm auf die Schiffe; wenn wirklich Achilles wieder
auferſtanden iſt, ſo hat er ſich das ſchlimmere Loos erkoh¬
ren; denn nicht werde ich dieſen gräßlichen Kampf ver¬
laſſen, ehe mich oder ihn die Siegesehre krönt!“ Die
Trojaner überhörten die heilſamen Worte des Polydamas,
rauſchten dem Unheilsworte Hektor's Beifall zu, und war¬
fen ſich hungrig auf ihr Mahl.

Die Griechen aber jammerten die ganze Nacht über
der Leiche des Patroklus, und vor Allen erhub Achilles
die Klage, während ſeine mörderiſchen Hände auf dem
Buſen des Freundes ruhten. „O eitles Wort,“ ſprach
er, „das mir damals entfallen iſt, als ich, den alten Hel¬
den Menötius im Pallaſte tröſtend, ihm verſprach, ſeinen
Sohn nach Troja's Zerſtörung, reich an Ruhm und
Beute, nach Opûs in ſeine Heimath ihm zurückzubringen!
Nun ward uns beiden beſtimmt, dieſelbe fremde Erde mit
unſerm Blute roth zu färben, denn auch mich werden
mein grauer Vater Peleus und meine Mutter Thetis
nimmermehr im Pallaſt empfangen, ſondern hier vor
Troja wird mich das Erdreich bedecken. Aber weil ich
doch nach dir in den Boden ſinken ſoll, Patroklus, ſo will
ich dir nicht eher dein Leichenfeſt feiern, als bis ich dir
die Waffen und das Haupt deines Mörders, Hektor's,

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[246/0268] zurückgedrängt habe, muß dein Rath dem Volke thöricht erſcheinen, und kein einziger Trojaner wird dir gehorchen. Vielmehr befehle ich Haufen um Haufen, die Nachtkoſt unter das Heer zu vertheilen, und der Wachen nicht zu vergeſſen. Härmt ſich Einer um ſein Gut und Vermögen, der laſſe es beim gemeinſamen Gaſtmahl aufgehen, beſſer daß die Unſrigen ſich dran erluſtigen, als daß die Grie¬ chen es thun. Am Morgen wiederholen wir ſodann den Sturm auf die Schiffe; wenn wirklich Achilles wieder auferſtanden iſt, ſo hat er ſich das ſchlimmere Loos erkoh¬ ren; denn nicht werde ich dieſen gräßlichen Kampf ver¬ laſſen, ehe mich oder ihn die Siegesehre krönt!“ Die Trojaner überhörten die heilſamen Worte des Polydamas, rauſchten dem Unheilsworte Hektor's Beifall zu, und war¬ fen ſich hungrig auf ihr Mahl. Die Griechen aber jammerten die ganze Nacht über der Leiche des Patroklus, und vor Allen erhub Achilles die Klage, während ſeine mörderiſchen Hände auf dem Buſen des Freundes ruhten. „O eitles Wort,“ ſprach er, „das mir damals entfallen iſt, als ich, den alten Hel¬ den Menötius im Pallaſte tröſtend, ihm verſprach, ſeinen Sohn nach Troja's Zerſtörung, reich an Ruhm und Beute, nach Opûs in ſeine Heimath ihm zurückzubringen! Nun ward uns beiden beſtimmt, dieſelbe fremde Erde mit unſerm Blute roth zu färben, denn auch mich werden mein grauer Vater Peleus und meine Mutter Thetis nimmermehr im Pallaſt empfangen, ſondern hier vor Troja wird mich das Erdreich bedecken. Aber weil ich doch nach dir in den Boden ſinken ſoll, Patroklus, ſo will ich dir nicht eher dein Leichenfeſt feiern, als bis ich dir die Waffen und das Haupt deines Mörders, Hektor's,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/268>, abgerufen am 28.03.2024.