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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Sorge in den Krieg hatte ziehen lassen, nicht wieder
erblicken.

Noch war Achilles vom Kampfplatz entfernt. Er
hatte dem Mysier, den er einst mit dem Speere verwundet
und jetzt mit dem Speere geheilt hatte, das Geleite ans
Meer gegeben, und sah nachdenklich dem Schiffe nach,
das sich in die ferne Fluth vertiefte. Da kam sein Freund
und Kampfgeselle Patroklus auf ihn zugeeilt, faßte ihn
bei der Schulter und rief: "Wo weilst du, Freund, die
Griechen bedürfen deiner. Der erste Kampf ist entbrannt:
des Königes Priamus ältester Sohn, Hektor, rast an der
Spitze der feindlichen Schaaren, wie ein Löwe, dessen
Höhle Jäger umstellt haben. Aeneas, der Eidam des
Königes, hat aus der Mitte unserer Fürsten den edlen
Protesilaus, der an Jugend und Muthe dir glich, doch an
Kraft dir nicht gleich war, erschlagen. Wenn du nicht
kommst, so wird der Mord unter unsern Helden einreißen!"
Aus seinen Träumen erwacht, blickte Achilles hinter sich,
sah den mahnenden Freund, und in diesem Augenblicke
drang auch der Hall des Kampfgetümmels in sein Ohr.
Da sprang er, ohne ein Wort zu erwiedern, durch die Gas¬
sen des Schiffslagers seinem Zelte zu. Hier erst fand er
die Sprache wieder, rief mit lauter Stimme seine Myrmi¬
donen unter die Waffen und erschien mit ihnen wie ein
donnerndes Wetter in der Schlacht. Seinem stürmischen
Angriffe hielt selbst Hektor nicht Stand. Zwei Söhne des
Priamus erschlug er, und der Vater sah wehklagend von
den Mauern herab den Tod seiner Kinder von des fürch¬
terlichen Heldenjünglings Hand. Dicht an der Seite des
Peliden kämpfte der Telamonier Ajax, dessen Riesenleib
alle andern Danaer überragte; vor den Streichen der bei¬

Sorge in den Krieg hatte ziehen laſſen, nicht wieder
erblicken.

Noch war Achilles vom Kampfplatz entfernt. Er
hatte dem Myſier, den er einſt mit dem Speere verwundet
und jetzt mit dem Speere geheilt hatte, das Geleite ans
Meer gegeben, und ſah nachdenklich dem Schiffe nach,
das ſich in die ferne Fluth vertiefte. Da kam ſein Freund
und Kampfgeſelle Patroklus auf ihn zugeeilt, faßte ihn
bei der Schulter und rief: „Wo weilſt du, Freund, die
Griechen bedürfen deiner. Der erſte Kampf iſt entbrannt:
des Königes Priamus älteſter Sohn, Hektor, rast an der
Spitze der feindlichen Schaaren, wie ein Löwe, deſſen
Höhle Jäger umſtellt haben. Aeneas, der Eidam des
Königes, hat aus der Mitte unſerer Fürſten den edlen
Proteſilaus, der an Jugend und Muthe dir glich, doch an
Kraft dir nicht gleich war, erſchlagen. Wenn du nicht
kommſt, ſo wird der Mord unter unſern Helden einreißen!“
Aus ſeinen Träumen erwacht, blickte Achilles hinter ſich,
ſah den mahnenden Freund, und in dieſem Augenblicke
drang auch der Hall des Kampfgetümmels in ſein Ohr.
Da ſprang er, ohne ein Wort zu erwiedern, durch die Gaſ¬
ſen des Schiffslagers ſeinem Zelte zu. Hier erſt fand er
die Sprache wieder, rief mit lauter Stimme ſeine Myrmi¬
donen unter die Waffen und erſchien mit ihnen wie ein
donnerndes Wetter in der Schlacht. Seinem ſtürmiſchen
Angriffe hielt ſelbſt Hektor nicht Stand. Zwei Söhne des
Priamus erſchlug er, und der Vater ſah wehklagend von
den Mauern herab den Tod ſeiner Kinder von des fürch¬
terlichen Heldenjünglings Hand. Dicht an der Seite des
Peliden kämpfte der Telamonier Ajax, deſſen Rieſenleib
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[66/0088] Sorge in den Krieg hatte ziehen laſſen, nicht wieder erblicken. Noch war Achilles vom Kampfplatz entfernt. Er hatte dem Myſier, den er einſt mit dem Speere verwundet und jetzt mit dem Speere geheilt hatte, das Geleite ans Meer gegeben, und ſah nachdenklich dem Schiffe nach, das ſich in die ferne Fluth vertiefte. Da kam ſein Freund und Kampfgeſelle Patroklus auf ihn zugeeilt, faßte ihn bei der Schulter und rief: „Wo weilſt du, Freund, die Griechen bedürfen deiner. Der erſte Kampf iſt entbrannt: des Königes Priamus älteſter Sohn, Hektor, rast an der Spitze der feindlichen Schaaren, wie ein Löwe, deſſen Höhle Jäger umſtellt haben. Aeneas, der Eidam des Königes, hat aus der Mitte unſerer Fürſten den edlen Proteſilaus, der an Jugend und Muthe dir glich, doch an Kraft dir nicht gleich war, erſchlagen. Wenn du nicht kommſt, ſo wird der Mord unter unſern Helden einreißen!“ Aus ſeinen Träumen erwacht, blickte Achilles hinter ſich, ſah den mahnenden Freund, und in dieſem Augenblicke drang auch der Hall des Kampfgetümmels in ſein Ohr. Da ſprang er, ohne ein Wort zu erwiedern, durch die Gaſ¬ ſen des Schiffslagers ſeinem Zelte zu. Hier erſt fand er die Sprache wieder, rief mit lauter Stimme ſeine Myrmi¬ donen unter die Waffen und erſchien mit ihnen wie ein donnerndes Wetter in der Schlacht. Seinem ſtürmiſchen Angriffe hielt ſelbſt Hektor nicht Stand. Zwei Söhne des Priamus erſchlug er, und der Vater ſah wehklagend von den Mauern herab den Tod ſeiner Kinder von des fürch¬ terlichen Heldenjünglings Hand. Dicht an der Seite des Peliden kämpfte der Telamonier Ajax, deſſen Rieſenleib alle andern Danaer überragte; vor den Streichen der bei¬

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/88>, abgerufen am 28.03.2024.