Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

mir, mit welchem Rathe deine Weisheit sich trägt.
Willst du die ruhigen Einwohner Ithaka's durch Krieg
und Zwietracht züchtigen, oder gedenkst du den Streit
beider Parteien im Frieden beizulegen?" "Was willst
du schon Beschlossenes erforschen, Tochter!" antwortete
Jupiter, "hast du nicht selbst mit meinem Willen den
Beschluß gefaßt und vollzogen, daß Odysseus endlich als
ein Rächer in seine Heimath zurückkehre? Nachdem dir
dieß gewährt worden ist, so thue auch ferner, was dir
gefällt; willst du aber mein Gutdünken wissen, so ist es
dieses: nachdem Odysseus die Freier gestraft hat, werde
ein heiliger Bund beschworen, und er sey und bleibe ihr
König für immer. Uns aber laß dafür sorgen, daß aus
dem Geist aller Betheiligten die Ermordung ihrer Söhne
und ihrer Brüder vertilgt werde; gegenseitige Liebe soll
unter Allen herrschen wie zuvor; Einigkeit und Wohlstand
sollen unerschüttert bleiben."

Jupiters Entscheidung war der Göttin hochwillkom¬
men. Sie verließ das Felsenhaupt des Olymp, durch¬
flog die Luft, und ließ sich auf der Insel Ithaka nieder.


Der Sieg des Odysseus.

Auf dem Landgute des Laertes war das Mahl vor¬
über. Sie saßen noch um den Tisch gelagert, als der
Held nachdenklich zu seinen Freunden sprach: "Mir
däucht, unsere Gegner werden in der Stadt auch nicht
gefeiert haben, und es dürfte nicht überflüssig seyn,
wenn einer aus dem Hause sich aufmachte, die Straße
auszukundschaften." Auf der Stelle stand einer von

mir, mit welchem Rathe deine Weisheit ſich trägt.
Willſt du die ruhigen Einwohner Ithaka's durch Krieg
und Zwietracht züchtigen, oder gedenkſt du den Streit
beider Parteien im Frieden beizulegen?“ „Was willſt
du ſchon Beſchloſſenes erforſchen, Tochter!“ antwortete
Jupiter, „haſt du nicht ſelbſt mit meinem Willen den
Beſchluß gefaßt und vollzogen, daß Odyſſeus endlich als
ein Rächer in ſeine Heimath zurückkehre? Nachdem dir
dieß gewährt worden iſt, ſo thue auch ferner, was dir
gefällt; willſt du aber mein Gutdünken wiſſen, ſo iſt es
dieſes: nachdem Odyſſeus die Freier geſtraft hat, werde
ein heiliger Bund beſchworen, und er ſey und bleibe ihr
König für immer. Uns aber laß dafür ſorgen, daß aus
dem Geiſt aller Betheiligten die Ermordung ihrer Söhne
und ihrer Brüder vertilgt werde; gegenſeitige Liebe ſoll
unter Allen herrſchen wie zuvor; Einigkeit und Wohlſtand
ſollen unerſchüttert bleiben.“

Jupiters Entſcheidung war der Göttin hochwillkom¬
men. Sie verließ das Felſenhaupt des Olymp, durch¬
flog die Luft, und ließ ſich auf der Inſel Ithaka nieder.


Der Sieg des Odyſſeus.

Auf dem Landgute des Laertes war das Mahl vor¬
über. Sie ſaßen noch um den Tiſch gelagert, als der
Held nachdenklich zu ſeinen Freunden ſprach: „Mir
däucht, unſere Gegner werden in der Stadt auch nicht
gefeiert haben, und es dürfte nicht überflüſſig ſeyn,
wenn einer aus dem Hauſe ſich aufmachte, die Straße
auszukundſchaften.“ Auf der Stelle ſtand einer von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0308" n="286"/>
mir, mit welchem Rathe deine Weisheit &#x017F;ich trägt.<lb/>
Will&#x017F;t du die ruhigen Einwohner Ithaka's durch Krieg<lb/>
und Zwietracht züchtigen, oder gedenk&#x017F;t du den Streit<lb/>
beider Parteien im Frieden beizulegen?&#x201C; &#x201E;Was will&#x017F;t<lb/>
du &#x017F;chon Be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes erfor&#x017F;chen, Tochter!&#x201C; antwortete<lb/>
Jupiter, &#x201E;ha&#x017F;t du nicht &#x017F;elb&#x017F;t mit meinem Willen den<lb/>
Be&#x017F;chluß gefaßt und vollzogen, daß Ody&#x017F;&#x017F;eus endlich als<lb/>
ein Rächer in &#x017F;eine Heimath zurückkehre? Nachdem dir<lb/>
dieß gewährt worden i&#x017F;t, &#x017F;o thue auch ferner, was dir<lb/>
gefällt; will&#x017F;t du aber mein Gutdünken wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
die&#x017F;es: nachdem Ody&#x017F;&#x017F;eus die Freier ge&#x017F;traft hat, werde<lb/>
ein heiliger Bund be&#x017F;chworen, und er &#x017F;ey und bleibe ihr<lb/>
König für immer. Uns aber laß dafür &#x017F;orgen, daß aus<lb/>
dem Gei&#x017F;t aller Betheiligten die Ermordung ihrer Söhne<lb/>
und ihrer Brüder vertilgt werde; gegen&#x017F;eitige Liebe &#x017F;oll<lb/>
unter Allen herr&#x017F;chen wie zuvor; Einigkeit und Wohl&#x017F;tand<lb/>
&#x017F;ollen uner&#x017F;chüttert bleiben.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Jupiters Ent&#x017F;cheidung war der Göttin hochwillkom¬<lb/>
men. Sie verließ das Fel&#x017F;enhaupt des Olymp, durch¬<lb/>
flog die Luft, und ließ &#x017F;ich auf der In&#x017F;el Ithaka nieder.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der Sieg des Ody&#x017F;&#x017F;eus.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Auf dem Landgute des Laertes war das Mahl vor¬<lb/>
über. Sie &#x017F;aßen noch um den Ti&#x017F;ch gelagert, als der<lb/>
Held nachdenklich zu &#x017F;einen Freunden &#x017F;prach: &#x201E;Mir<lb/>
däucht, un&#x017F;ere Gegner werden in der Stadt auch nicht<lb/>
gefeiert haben, und es dürfte nicht überflü&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;eyn,<lb/>
wenn einer aus dem Hau&#x017F;e &#x017F;ich aufmachte, die Straße<lb/>
auszukund&#x017F;chaften.&#x201C; Auf der Stelle &#x017F;tand einer von<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0308] mir, mit welchem Rathe deine Weisheit ſich trägt. Willſt du die ruhigen Einwohner Ithaka's durch Krieg und Zwietracht züchtigen, oder gedenkſt du den Streit beider Parteien im Frieden beizulegen?“ „Was willſt du ſchon Beſchloſſenes erforſchen, Tochter!“ antwortete Jupiter, „haſt du nicht ſelbſt mit meinem Willen den Beſchluß gefaßt und vollzogen, daß Odyſſeus endlich als ein Rächer in ſeine Heimath zurückkehre? Nachdem dir dieß gewährt worden iſt, ſo thue auch ferner, was dir gefällt; willſt du aber mein Gutdünken wiſſen, ſo iſt es dieſes: nachdem Odyſſeus die Freier geſtraft hat, werde ein heiliger Bund beſchworen, und er ſey und bleibe ihr König für immer. Uns aber laß dafür ſorgen, daß aus dem Geiſt aller Betheiligten die Ermordung ihrer Söhne und ihrer Brüder vertilgt werde; gegenſeitige Liebe ſoll unter Allen herrſchen wie zuvor; Einigkeit und Wohlſtand ſollen unerſchüttert bleiben.“ Jupiters Entſcheidung war der Göttin hochwillkom¬ men. Sie verließ das Felſenhaupt des Olymp, durch¬ flog die Luft, und ließ ſich auf der Inſel Ithaka nieder. Der Sieg des Odyſſeus. Auf dem Landgute des Laertes war das Mahl vor¬ über. Sie ſaßen noch um den Tiſch gelagert, als der Held nachdenklich zu ſeinen Freunden ſprach: „Mir däucht, unſere Gegner werden in der Stadt auch nicht gefeiert haben, und es dürfte nicht überflüſſig ſeyn, wenn einer aus dem Hauſe ſich aufmachte, die Straße auszukundſchaften.“ Auf der Stelle ſtand einer von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/308
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/308>, abgerufen am 19.04.2024.