Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

oder Cypressen ragten ihre Häupter gen Himmel, und
sie schickten der absegelnden Flotte drohende Blicke nach.

Um der Scylla und Charybdis zu entgehen, segelte
diese rückwärts, längs dem Gestade der Insel hin, von
Achemenides berathen, der diesen Weg früher mit Odys¬
seus zurückgelegt hatte. Auf dieser Fahrt traf den Aeneas
ein großer Schmerz. Sein greiser Vater Anchises, von
den Anstrengungen, Gefahren und Schrecken der Reise
ermattet, sollte Italien, das gelobte Land seiner Sehn¬
sucht, nicht mehr erreichen. Er wurde zusehends schwä¬
cher, seine Sinne schwanden, seine Zunge erlahmte, und
ohne nur ein Lebewohl sagen zu können, gab er in den
Armen seines Sohnes den Geist auf, als sie eben in
den Hafen der sicilianischen Stadt Trepanum eingelaufen
waren.

Die trojanischen Flüchtlinge veranstalteten dem ehr¬
würdigen Vater ihres Führers ein feierliches Leichen¬
begängniß. Doch hing Aeneas nicht lange der Trauer
nach. Die Verheißung der Götter trieb ihn, das Volk,
welches sich ihn zum Beschützer erkoren hatte, dem Lande
der Ahnen entgegenzuführen, und das versprochene Reich
dort zu gründen.


Aeneas nach Karthago verschlagen.

Kaum hatte die Flotte Sicilien aus dem Gesichte,
und segelte fröhlich auf der hohen See dahin, als Juno
(Here), die alte Feindin der Trojaner, die vom Olymp
auf den Schiffszug herniederblickte, bei sich selber sprach:
"Wie, sollte mein Beginnen auf halbem Wege stehen

oder Cypreſſen ragten ihre Häupter gen Himmel, und
ſie ſchickten der abſegelnden Flotte drohende Blicke nach.

Um der Scylla und Charybdis zu entgehen, ſegelte
dieſe rückwärts, längs dem Geſtade der Inſel hin, von
Achemenides berathen, der dieſen Weg früher mit Odyſ¬
ſeus zurückgelegt hatte. Auf dieſer Fahrt traf den Aeneas
ein großer Schmerz. Sein greiſer Vater Anchiſes, von
den Anſtrengungen, Gefahren und Schrecken der Reiſe
ermattet, ſollte Italien, das gelobte Land ſeiner Sehn¬
ſucht, nicht mehr erreichen. Er wurde zuſehends ſchwä¬
cher, ſeine Sinne ſchwanden, ſeine Zunge erlahmte, und
ohne nur ein Lebewohl ſagen zu können, gab er in den
Armen ſeines Sohnes den Geiſt auf, als ſie eben in
den Hafen der ſicilianiſchen Stadt Trepanum eingelaufen
waren.

Die trojaniſchen Flüchtlinge veranſtalteten dem ehr¬
würdigen Vater ihres Führers ein feierliches Leichen¬
begängniß. Doch hing Aeneas nicht lange der Trauer
nach. Die Verheißung der Götter trieb ihn, das Volk,
welches ſich ihn zum Beſchützer erkoren hatte, dem Lande
der Ahnen entgegenzuführen, und das verſprochene Reich
dort zu gründen.


Aeneas nach Karthago verſchlagen.

Kaum hatte die Flotte Sicilien aus dem Geſichte,
und ſegelte fröhlich auf der hohen See dahin, als Juno
(Here), die alte Feindin der Trojaner, die vom Olymp
auf den Schiffszug herniederblickte, bei ſich ſelber ſprach:
„Wie, ſollte mein Beginnen auf halbem Wege ſtehen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0333" n="311"/>
oder Cypre&#x017F;&#x017F;en ragten ihre Häupter gen Himmel, und<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chickten der ab&#x017F;egelnden Flotte drohende Blicke nach.</p><lb/>
            <p>Um der Scylla und Charybdis zu entgehen, &#x017F;egelte<lb/>
die&#x017F;e rückwärts, längs dem Ge&#x017F;tade der In&#x017F;el hin, von<lb/>
Achemenides berathen, der die&#x017F;en Weg früher mit Ody&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;eus zurückgelegt hatte. Auf die&#x017F;er Fahrt traf den Aeneas<lb/>
ein großer Schmerz. Sein grei&#x017F;er Vater Anchi&#x017F;es, von<lb/>
den An&#x017F;trengungen, Gefahren und Schrecken der Rei&#x017F;e<lb/>
ermattet, &#x017F;ollte Italien, das gelobte Land &#x017F;einer Sehn¬<lb/>
&#x017F;ucht, nicht mehr erreichen. Er wurde zu&#x017F;ehends &#x017F;chwä¬<lb/>
cher, &#x017F;eine Sinne &#x017F;chwanden, &#x017F;eine Zunge erlahmte, und<lb/>
ohne nur ein Lebewohl &#x017F;agen zu können, gab er in den<lb/>
Armen &#x017F;eines Sohnes den Gei&#x017F;t auf, als &#x017F;ie eben in<lb/>
den Hafen der &#x017F;iciliani&#x017F;chen Stadt Trepanum eingelaufen<lb/>
waren.</p><lb/>
            <p>Die trojani&#x017F;chen Flüchtlinge veran&#x017F;talteten dem ehr¬<lb/>
würdigen Vater ihres Führers ein feierliches Leichen¬<lb/>
begängniß. Doch hing Aeneas nicht lange der Trauer<lb/>
nach. Die Verheißung der Götter trieb ihn, das Volk,<lb/>
welches &#x017F;ich ihn zum Be&#x017F;chützer erkoren hatte, dem Lande<lb/>
der Ahnen entgegenzuführen, und das ver&#x017F;prochene Reich<lb/>
dort zu gründen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Aeneas nach Karthago ver&#x017F;chlagen.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Kaum hatte die Flotte Sicilien aus dem Ge&#x017F;ichte,<lb/>
und &#x017F;egelte fröhlich auf der hohen See dahin, als Juno<lb/>
(Here), die alte Feindin der Trojaner, die vom Olymp<lb/>
auf den Schiffszug herniederblickte, bei &#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;prach:<lb/>
&#x201E;Wie, &#x017F;ollte mein Beginnen auf halbem Wege &#x017F;tehen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0333] oder Cypreſſen ragten ihre Häupter gen Himmel, und ſie ſchickten der abſegelnden Flotte drohende Blicke nach. Um der Scylla und Charybdis zu entgehen, ſegelte dieſe rückwärts, längs dem Geſtade der Inſel hin, von Achemenides berathen, der dieſen Weg früher mit Odyſ¬ ſeus zurückgelegt hatte. Auf dieſer Fahrt traf den Aeneas ein großer Schmerz. Sein greiſer Vater Anchiſes, von den Anſtrengungen, Gefahren und Schrecken der Reiſe ermattet, ſollte Italien, das gelobte Land ſeiner Sehn¬ ſucht, nicht mehr erreichen. Er wurde zuſehends ſchwä¬ cher, ſeine Sinne ſchwanden, ſeine Zunge erlahmte, und ohne nur ein Lebewohl ſagen zu können, gab er in den Armen ſeines Sohnes den Geiſt auf, als ſie eben in den Hafen der ſicilianiſchen Stadt Trepanum eingelaufen waren. Die trojaniſchen Flüchtlinge veranſtalteten dem ehr¬ würdigen Vater ihres Führers ein feierliches Leichen¬ begängniß. Doch hing Aeneas nicht lange der Trauer nach. Die Verheißung der Götter trieb ihn, das Volk, welches ſich ihn zum Beſchützer erkoren hatte, dem Lande der Ahnen entgegenzuführen, und das verſprochene Reich dort zu gründen. Aeneas nach Karthago verſchlagen. Kaum hatte die Flotte Sicilien aus dem Geſichte, und ſegelte fröhlich auf der hohen See dahin, als Juno (Here), die alte Feindin der Trojaner, die vom Olymp auf den Schiffszug herniederblickte, bei ſich ſelber ſprach: „Wie, ſollte mein Beginnen auf halbem Wege ſtehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/333
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/333>, abgerufen am 28.03.2024.