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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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erzählenden Aeneas, vernahm seine Schicksale mit pochen¬
dem Herzen, und schlürfte in langen Zügen das Gift
der süßen Liebe ein.


Dido's Liebe bethört den Aeneas.

Die Mienen, die Worte des Helden gruben sich der
Königin tief ins Herz. Als die Gäste den Palast längst
verlassen hatten, und sie wenige schlaflose Stunden auf
ihrem Lager zugebracht, suchte sie das Gemach ihrer ge¬
liebten Schwester und vertrautesten Freundin Anna auf,
und begann dieser ihr ganzes Herz aufzuschließen.
"Schwester Anna," sprach sie, "mich ängstigen wunder¬
bare Träume. Welch ein seltener Gast hat unsere Woh¬
nungen betreten, welche Waffen, welcher Muth, welche
Blicke! Man sieht ihm wohl an, daß er von den Göt¬
tern abstammt! Und welches Geschick hat er erfahren,
welche Kriege durchgekämpft, welche Fahrten bestanden!
Wahrhaftig, Schwester, wenn ich nicht unwiderruflich
beschlossen hätte, mich durch das Band der Ehe keinem
Manne mehr zu gesellen, seit der Tod mich um meine
Erstlingsliebe betrogen hat: dieser einzigen Schwäche
könnte ich vielleicht unterliegen. Aber eher soll mich die
Erde verschlingen, eher der Blitz mich treffen, ehe ich
meinem ermordeten Gemahl die Treue breche; er hat
meine Liebe mit sich fortgenommen, er behalte sie auch
im Grabe!" Thränen erstickten ihre Stimme, und sie
vermochte nicht weiter zu sprechen.

Ihre Schwester blickte sie mitleidig an, und erwiederte:

erzählenden Aeneas, vernahm ſeine Schickſale mit pochen¬
dem Herzen, und ſchlürfte in langen Zügen das Gift
der ſüßen Liebe ein.


Dido's Liebe bethört den Aeneas.

Die Mienen, die Worte des Helden gruben ſich der
Königin tief ins Herz. Als die Gäſte den Palaſt längſt
verlaſſen hatten, und ſie wenige ſchlafloſe Stunden auf
ihrem Lager zugebracht, ſuchte ſie das Gemach ihrer ge¬
liebten Schweſter und vertrauteſten Freundin Anna auf,
und begann dieſer ihr ganzes Herz aufzuſchließen.
„Schweſter Anna,“ ſprach ſie, „mich ängſtigen wunder¬
bare Träume. Welch ein ſeltener Gaſt hat unſere Woh¬
nungen betreten, welche Waffen, welcher Muth, welche
Blicke! Man ſieht ihm wohl an, daß er von den Göt¬
tern abſtammt! Und welches Geſchick hat er erfahren,
welche Kriege durchgekämpft, welche Fahrten beſtanden!
Wahrhaftig, Schweſter, wenn ich nicht unwiderruflich
beſchloſſen hätte, mich durch das Band der Ehe keinem
Manne mehr zu geſellen, ſeit der Tod mich um meine
Erſtlingsliebe betrogen hat: dieſer einzigen Schwäche
könnte ich vielleicht unterliegen. Aber eher ſoll mich die
Erde verſchlingen, eher der Blitz mich treffen, ehe ich
meinem ermordeten Gemahl die Treue breche; er hat
meine Liebe mit ſich fortgenommen, er behalte ſie auch
im Grabe!“ Thränen erſtickten ihre Stimme, und ſie
vermochte nicht weiter zu ſprechen.

Ihre Schweſter blickte ſie mitleidig an, und erwiederte:

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[330/0352] erzählenden Aeneas, vernahm ſeine Schickſale mit pochen¬ dem Herzen, und ſchlürfte in langen Zügen das Gift der ſüßen Liebe ein. Dido's Liebe bethört den Aeneas. Die Mienen, die Worte des Helden gruben ſich der Königin tief ins Herz. Als die Gäſte den Palaſt längſt verlaſſen hatten, und ſie wenige ſchlafloſe Stunden auf ihrem Lager zugebracht, ſuchte ſie das Gemach ihrer ge¬ liebten Schweſter und vertrauteſten Freundin Anna auf, und begann dieſer ihr ganzes Herz aufzuſchließen. „Schweſter Anna,“ ſprach ſie, „mich ängſtigen wunder¬ bare Träume. Welch ein ſeltener Gaſt hat unſere Woh¬ nungen betreten, welche Waffen, welcher Muth, welche Blicke! Man ſieht ihm wohl an, daß er von den Göt¬ tern abſtammt! Und welches Geſchick hat er erfahren, welche Kriege durchgekämpft, welche Fahrten beſtanden! Wahrhaftig, Schweſter, wenn ich nicht unwiderruflich beſchloſſen hätte, mich durch das Band der Ehe keinem Manne mehr zu geſellen, ſeit der Tod mich um meine Erſtlingsliebe betrogen hat: dieſer einzigen Schwäche könnte ich vielleicht unterliegen. Aber eher ſoll mich die Erde verſchlingen, eher der Blitz mich treffen, ehe ich meinem ermordeten Gemahl die Treue breche; er hat meine Liebe mit ſich fortgenommen, er behalte ſie auch im Grabe!“ Thränen erſtickten ihre Stimme, und ſie vermochte nicht weiter zu ſprechen. Ihre Schweſter blickte ſie mitleidig an, und erwiederte:

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/352>, abgerufen am 19.04.2024.