Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Noemon, verließ die Freier und ging zurück in seines
Vaters Haus. Diese aber wurden bestürzt und unmuthig
bei der unerwarteten Nachricht. Sie standen von ihren
Sitzen auf und traten mitten unter die Andern, die eben,
vom Kampfspiele ruhend, im Kreise gelagert saßen. Zürnend
vor Aerger stellte sich Antinous unter sie und sprach mit
funkelnden Augen: "Dieser Telemach hat ein großes
Werk unternommen, trotzig ist er auf die Fahrt ge¬
gangen, an die wir nimmermehr glauben wollten! Möge
ihn Jupiter vertilgen, ehe er uns Schaden zufügt! Drum,
wenn ihr mir einen Schnellsegler und zwanzig Ruderer
schaffen wollt, ihr Freunde, so laure ich ihm auf der
Meerstraße, die Ithaka von Samos trennt, auf und
seine Entdeckungsreise soll mit Schrecken endigen!" Alle
riefen dem Sprecher Beifall zu, und versprachen ihm
Alles zu verschaffen, was er bedürfte. Dann brachen
die Freier auf und zogen sich von Spiel und Rath in
den Palast zurück.

Aber ihre Berathschlagung war nicht unbelauscht
geblieben. Medon, der Herold, der im Herzen den schänd¬
lichen Freiern längst abhold war, obgleich er in ihren
Diensten stand, der ausserhalb des Hofes, doch nahe
genug gestanden, hatte jedes Wörtchen gehört, das An¬
tinous sprach. Er eilte nach den Gemächern Penelope's
und erzählte seiner Herrin Alles, was er vernommen.
Herz und Knie erbebten der Fürstin, als sie die böse
Kunde gehört, und lange blieb sie sprachlos; der Athem
stockte ihr, und ihre Augen waren mit Thränen gefüllt.
Spät erst begann sie: "Herold! Warum reiset aber auch
mein Sohn? Ist ihm nicht genug, daß sein Vater
untergegangen ist? Soll der Name unseres Hauses ganz

Noëmon, verließ die Freier und ging zurück in ſeines
Vaters Haus. Dieſe aber wurden beſtürzt und unmuthig
bei der unerwarteten Nachricht. Sie ſtanden von ihren
Sitzen auf und traten mitten unter die Andern, die eben,
vom Kampfſpiele ruhend, im Kreiſe gelagert ſaßen. Zürnend
vor Aerger ſtellte ſich Antinous unter ſie und ſprach mit
funkelnden Augen: „Dieſer Telemach hat ein großes
Werk unternommen, trotzig iſt er auf die Fahrt ge¬
gangen, an die wir nimmermehr glauben wollten! Möge
ihn Jupiter vertilgen, ehe er uns Schaden zufügt! Drum,
wenn ihr mir einen Schnellſegler und zwanzig Ruderer
ſchaffen wollt, ihr Freunde, ſo laure ich ihm auf der
Meerſtraße, die Ithaka von Samos trennt, auf und
ſeine Entdeckungsreiſe ſoll mit Schrecken endigen!“ Alle
riefen dem Sprecher Beifall zu, und verſprachen ihm
Alles zu verſchaffen, was er bedürfte. Dann brachen
die Freier auf und zogen ſich von Spiel und Rath in
den Palaſt zurück.

Aber ihre Berathſchlagung war nicht unbelauſcht
geblieben. Medon, der Herold, der im Herzen den ſchänd¬
lichen Freiern längſt abhold war, obgleich er in ihren
Dienſten ſtand, der auſſerhalb des Hofes, doch nahe
genug geſtanden, hatte jedes Wörtchen gehört, das An¬
tinous ſprach. Er eilte nach den Gemächern Penelope's
und erzählte ſeiner Herrin Alles, was er vernommen.
Herz und Knie erbebten der Fürſtin, als ſie die böſe
Kunde gehört, und lange blieb ſie ſprachlos; der Athem
ſtockte ihr, und ihre Augen waren mit Thränen gefüllt.
Spät erſt begann ſie: „Herold! Warum reiſet aber auch
mein Sohn? Iſt ihm nicht genug, daß ſein Vater
untergegangen iſt? Soll der Name unſeres Hauſes ganz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0115" n="93"/>
Noëmon, verließ die Freier und ging zurück in &#x017F;eines<lb/>
Vaters Haus. Die&#x017F;e aber wurden be&#x017F;türzt und unmuthig<lb/>
bei der unerwarteten Nachricht. Sie &#x017F;tanden von ihren<lb/>
Sitzen auf und traten mitten unter die Andern, die eben,<lb/>
vom Kampf&#x017F;piele ruhend, im Krei&#x017F;e gelagert &#x017F;aßen. Zürnend<lb/>
vor Aerger &#x017F;tellte &#x017F;ich Antinous unter &#x017F;ie und &#x017F;prach mit<lb/>
funkelnden Augen: &#x201E;Die&#x017F;er Telemach hat ein großes<lb/>
Werk unternommen, trotzig i&#x017F;t er auf die Fahrt ge¬<lb/>
gangen, an die wir nimmermehr glauben wollten! Möge<lb/>
ihn Jupiter vertilgen, ehe er uns Schaden zufügt! Drum,<lb/>
wenn ihr mir einen Schnell&#x017F;egler und zwanzig Ruderer<lb/>
&#x017F;chaffen wollt, ihr Freunde, &#x017F;o laure ich ihm auf der<lb/>
Meer&#x017F;traße, die Ithaka von Samos trennt, auf und<lb/>
&#x017F;eine Entdeckungsrei&#x017F;e &#x017F;oll mit Schrecken endigen!&#x201C; Alle<lb/>
riefen dem Sprecher Beifall zu, und ver&#x017F;prachen ihm<lb/>
Alles zu ver&#x017F;chaffen, was er bedürfte. Dann brachen<lb/>
die Freier auf und zogen &#x017F;ich von Spiel und Rath in<lb/>
den Pala&#x017F;t zurück.</p><lb/>
            <p>Aber ihre Berath&#x017F;chlagung war nicht unbelau&#x017F;cht<lb/>
geblieben. Medon, der Herold, der im Herzen den &#x017F;chänd¬<lb/>
lichen Freiern läng&#x017F;t abhold war, obgleich er in ihren<lb/>
Dien&#x017F;ten &#x017F;tand, der au&#x017F;&#x017F;erhalb des Hofes, doch nahe<lb/>
genug ge&#x017F;tanden, hatte jedes Wörtchen gehört, das An¬<lb/>
tinous &#x017F;prach. Er eilte nach den Gemächern Penelope's<lb/>
und erzählte &#x017F;einer Herrin Alles, was er vernommen.<lb/>
Herz und Knie erbebten der Für&#x017F;tin, als &#x017F;ie die bö&#x017F;e<lb/>
Kunde gehört, und lange blieb &#x017F;ie &#x017F;prachlos; der Athem<lb/>
&#x017F;tockte ihr, und ihre Augen waren mit Thränen gefüllt.<lb/>
Spät er&#x017F;t begann &#x017F;ie: &#x201E;Herold! Warum rei&#x017F;et aber auch<lb/>
mein Sohn? I&#x017F;t ihm nicht genug, daß &#x017F;ein Vater<lb/>
untergegangen i&#x017F;t? Soll der Name un&#x017F;eres Hau&#x017F;es ganz<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0115] Noëmon, verließ die Freier und ging zurück in ſeines Vaters Haus. Dieſe aber wurden beſtürzt und unmuthig bei der unerwarteten Nachricht. Sie ſtanden von ihren Sitzen auf und traten mitten unter die Andern, die eben, vom Kampfſpiele ruhend, im Kreiſe gelagert ſaßen. Zürnend vor Aerger ſtellte ſich Antinous unter ſie und ſprach mit funkelnden Augen: „Dieſer Telemach hat ein großes Werk unternommen, trotzig iſt er auf die Fahrt ge¬ gangen, an die wir nimmermehr glauben wollten! Möge ihn Jupiter vertilgen, ehe er uns Schaden zufügt! Drum, wenn ihr mir einen Schnellſegler und zwanzig Ruderer ſchaffen wollt, ihr Freunde, ſo laure ich ihm auf der Meerſtraße, die Ithaka von Samos trennt, auf und ſeine Entdeckungsreiſe ſoll mit Schrecken endigen!“ Alle riefen dem Sprecher Beifall zu, und verſprachen ihm Alles zu verſchaffen, was er bedürfte. Dann brachen die Freier auf und zogen ſich von Spiel und Rath in den Palaſt zurück. Aber ihre Berathſchlagung war nicht unbelauſcht geblieben. Medon, der Herold, der im Herzen den ſchänd¬ lichen Freiern längſt abhold war, obgleich er in ihren Dienſten ſtand, der auſſerhalb des Hofes, doch nahe genug geſtanden, hatte jedes Wörtchen gehört, das An¬ tinous ſprach. Er eilte nach den Gemächern Penelope's und erzählte ſeiner Herrin Alles, was er vernommen. Herz und Knie erbebten der Fürſtin, als ſie die böſe Kunde gehört, und lange blieb ſie ſprachlos; der Athem ſtockte ihr, und ihre Augen waren mit Thränen gefüllt. Spät erſt begann ſie: „Herold! Warum reiſet aber auch mein Sohn? Iſt ihm nicht genug, daß ſein Vater untergegangen iſt? Soll der Name unſeres Hauſes ganz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/115
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/115>, abgerufen am 29.03.2024.