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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Ich könnte am Fuße des Hügels dort den Weg nach
dem Tuskerlande und den Berg von Pallanteum wohl
finden!"

Euryalus wurde von Staunen bei dem Vorschlage
seines Freundes ergriffen, denn auch ihn beseelte jugend¬
liche Ruhmbegierde. "Also wolltest du," sprach er zu
seinem feurigen Genossen, "mich, den unbärtigen Kna¬
ben, als Theilnehmer an der herrlichen That verschmähen?
Wie könnte ich auch dich allein in eine solche Gefahr
hinauslassen! Nein, so hat mich mein Vater Opheltes
nicht erzogen, und auch du hast mich bisher nicht so
kennen gelernt. Auch ich achte das Leben gering,
und erkaufe willig mit ihm den Ruhm!" "Nie habe
ich so etwas von dir befürchtet," erwiederte Nisus, "aber
wenn mich irgend ein Unfall, oder ein Gott, wie es
bei solchen Entschlüssen wohl zu gehen pflegt, ins Ver¬
derben risse, so wünschte ich, daß du mich überlebest.
Deine Jugend ist des Lebens werther, als ich. Auch
hätte ich gern einen, der meinen Leichnam, aus der
Schlacht gerettet, oder mit Lösegeld erkauft, in den Bo¬
den verscharrt, oder wenn dieß Glück mir nicht beschie¬
den wäre, wenigstens dem Abwesenden ein Todtenopfer
brächte und einen Denkstein errichtete. Wie könnt' ich
auch deiner armen Mutter, die allein von so vielen
Müttern es verschmäht hat, in Sicilien zurückzubleiben,
und dir auf die weite Wanderung gefolgt ist, so bitteren
Schmerz bereiten?" Aber Euryalus erwiederte: "Du
hältst mir umsonst nichtige Beweggründe vor, mein Vor¬
satz ist unerschütterlich, laß uns eilen." So sprach er,
und weckte sogleich die nächsten Wachtposten, die zur
Ablösung bestimmt waren. Nachdem sie diesen das

Ich könnte am Fuße des Hügels dort den Weg nach
dem Tuskerlande und den Berg von Pallanteum wohl
finden!“

Euryalus wurde von Staunen bei dem Vorſchlage
ſeines Freundes ergriffen, denn auch ihn beſeelte jugend¬
liche Ruhmbegierde. „Alſo wollteſt du,“ ſprach er zu
ſeinem feurigen Genoſſen, „mich, den unbärtigen Kna¬
ben, als Theilnehmer an der herrlichen That verſchmähen?
Wie könnte ich auch dich allein in eine ſolche Gefahr
hinauslaſſen! Nein, ſo hat mich mein Vater Opheltes
nicht erzogen, und auch du haſt mich bisher nicht ſo
kennen gelernt. Auch ich achte das Leben gering,
und erkaufe willig mit ihm den Ruhm!“ „Nie habe
ich ſo etwas von dir befürchtet,“ erwiederte Niſus, „aber
wenn mich irgend ein Unfall, oder ein Gott, wie es
bei ſolchen Entſchlüſſen wohl zu gehen pflegt, ins Ver¬
derben riſſe, ſo wünſchte ich, daß du mich überlebeſt.
Deine Jugend iſt des Lebens werther, als ich. Auch
hätte ich gern einen, der meinen Leichnam, aus der
Schlacht gerettet, oder mit Löſegeld erkauft, in den Bo¬
den verſcharrt, oder wenn dieß Glück mir nicht beſchie¬
den wäre, wenigſtens dem Abweſenden ein Todtenopfer
brächte und einen Denkſtein errichtete. Wie könnt' ich
auch deiner armen Mutter, die allein von ſo vielen
Müttern es verſchmäht hat, in Sicilien zurückzubleiben,
und dir auf die weite Wanderung gefolgt iſt, ſo bitteren
Schmerz bereiten?“ Aber Euryalus erwiederte: „Du
hältſt mir umſonſt nichtige Beweggründe vor, mein Vor¬
ſatz iſt unerſchütterlich, laß uns eilen.“ So ſprach er,
und weckte ſogleich die nächſten Wachtpoſten, die zur
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[376/0398] Ich könnte am Fuße des Hügels dort den Weg nach dem Tuskerlande und den Berg von Pallanteum wohl finden!“ Euryalus wurde von Staunen bei dem Vorſchlage ſeines Freundes ergriffen, denn auch ihn beſeelte jugend¬ liche Ruhmbegierde. „Alſo wollteſt du,“ ſprach er zu ſeinem feurigen Genoſſen, „mich, den unbärtigen Kna¬ ben, als Theilnehmer an der herrlichen That verſchmähen? Wie könnte ich auch dich allein in eine ſolche Gefahr hinauslaſſen! Nein, ſo hat mich mein Vater Opheltes nicht erzogen, und auch du haſt mich bisher nicht ſo kennen gelernt. Auch ich achte das Leben gering, und erkaufe willig mit ihm den Ruhm!“ „Nie habe ich ſo etwas von dir befürchtet,“ erwiederte Niſus, „aber wenn mich irgend ein Unfall, oder ein Gott, wie es bei ſolchen Entſchlüſſen wohl zu gehen pflegt, ins Ver¬ derben riſſe, ſo wünſchte ich, daß du mich überlebeſt. Deine Jugend iſt des Lebens werther, als ich. Auch hätte ich gern einen, der meinen Leichnam, aus der Schlacht gerettet, oder mit Löſegeld erkauft, in den Bo¬ den verſcharrt, oder wenn dieß Glück mir nicht beſchie¬ den wäre, wenigſtens dem Abweſenden ein Todtenopfer brächte und einen Denkſtein errichtete. Wie könnt' ich auch deiner armen Mutter, die allein von ſo vielen Müttern es verſchmäht hat, in Sicilien zurückzubleiben, und dir auf die weite Wanderung gefolgt iſt, ſo bitteren Schmerz bereiten?“ Aber Euryalus erwiederte: „Du hältſt mir umſonſt nichtige Beweggründe vor, mein Vor¬ ſatz iſt unerſchütterlich, laß uns eilen.“ So ſprach er, und weckte ſogleich die nächſten Wachtpoſten, die zur Ablöſung beſtimmt waren. Nachdem ſie dieſen das

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/398>, abgerufen am 29.03.2024.