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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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sung, und der Kampf der Rutuler und Trojaner um die
Mauern fort.

Inzwischen war Aeneas, mit seiner Heeresabthei¬
lung und der arkadischen Reiterei, in der blühenden tus¬
kischen Stadt Agylla angekommen. Diese hatte ihren
grausamen König Mezentius vertrieben, und da der Ver¬
jagte zu Turnus entflohen war, so lebten die Bewohner
der Stadt in tödtlicher Feindschaft mit Rutulern und
Latinern. Deßwegen wurde Aeneas von dem jetzigen
Beherrscher derselben, dem Könige Tarchon, sobald er
ihm Geschlecht und Namen gemeldet, und ihm von den
Kriegsrüstungen des Turnus und Mezentius erzählt
hatte, mit offenen Armen aufgenommen. Der König
vereinigte nicht nur die eigene Streitmacht mit ihm, son¬
dern rief auch alle hetrurischen Bundesstädte zur Theil¬
nahme an dem Kampfe auf. Es währte nicht lange, so
sah sich der Trojaner an der Spitze einer furchtbaren
Flotte, und segelte, nachdem er arkadische und tuskische
Reiter auf dem Landwege vorangeschickt hatte, mit dreißig
Schiffen von der hetrurischen Meeresküste ab. Wie er
nun in der Nacht aus Vorsicht selber am Steuer saß,
und den Lauf seines Schiffes, dem die andern folgten,
regierte, umringte ihn auf einmal ein Chor tanzender
Nymphen. Es waren die Schiffe der Trojaner, welche
Cybele, um sie von den Brandfackeln des Turnus zu
retten, jüngst an der Mündung der Tiber verwandelt
hatte. Sie erkannten, belebt und beseelt, ihren Herrn;
die beredteste faßte sein Schiff mit der Rechten, ragte
mit dem Rücken aus dem Wasser hervor, streichelte be¬
sänftigend die Fluth mit der Linken und sprach: "Wachst
du, Göttersohn? O wache, und laß den Wind in die

ſung, und der Kampf der Rutuler und Trojaner um die
Mauern fort.

Inzwiſchen war Aeneas, mit ſeiner Heeresabthei¬
lung und der arkadiſchen Reiterei, in der blühenden tus¬
kiſchen Stadt Agylla angekommen. Dieſe hatte ihren
grauſamen König Mezentius vertrieben, und da der Ver¬
jagte zu Turnus entflohen war, ſo lebten die Bewohner
der Stadt in tödtlicher Feindſchaft mit Rutulern und
Latinern. Deßwegen wurde Aeneas von dem jetzigen
Beherrſcher derſelben, dem Könige Tarchon, ſobald er
ihm Geſchlecht und Namen gemeldet, und ihm von den
Kriegsrüſtungen des Turnus und Mezentius erzählt
hatte, mit offenen Armen aufgenommen. Der König
vereinigte nicht nur die eigene Streitmacht mit ihm, ſon¬
dern rief auch alle hetruriſchen Bundesſtädte zur Theil¬
nahme an dem Kampfe auf. Es währte nicht lange, ſo
ſah ſich der Trojaner an der Spitze einer furchtbaren
Flotte, und ſegelte, nachdem er arkadiſche und tuskiſche
Reiter auf dem Landwege vorangeſchickt hatte, mit dreißig
Schiffen von der hetruriſchen Meeresküſte ab. Wie er
nun in der Nacht aus Vorſicht ſelber am Steuer ſaß,
und den Lauf ſeines Schiffes, dem die andern folgten,
regierte, umringte ihn auf einmal ein Chor tanzender
Nymphen. Es waren die Schiffe der Trojaner, welche
Cybele, um ſie von den Brandfackeln des Turnus zu
retten, jüngſt an der Mündung der Tiber verwandelt
hatte. Sie erkannten, belebt und beſeelt, ihren Herrn;
die beredteſte faßte ſein Schiff mit der Rechten, ragte
mit dem Rücken aus dem Waſſer hervor, ſtreichelte be¬
ſänftigend die Fluth mit der Linken und ſprach: „Wachſt
du, Götterſohn? O wache, und laß den Wind in die

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[388/0410] ſung, und der Kampf der Rutuler und Trojaner um die Mauern fort. Inzwiſchen war Aeneas, mit ſeiner Heeresabthei¬ lung und der arkadiſchen Reiterei, in der blühenden tus¬ kiſchen Stadt Agylla angekommen. Dieſe hatte ihren grauſamen König Mezentius vertrieben, und da der Ver¬ jagte zu Turnus entflohen war, ſo lebten die Bewohner der Stadt in tödtlicher Feindſchaft mit Rutulern und Latinern. Deßwegen wurde Aeneas von dem jetzigen Beherrſcher derſelben, dem Könige Tarchon, ſobald er ihm Geſchlecht und Namen gemeldet, und ihm von den Kriegsrüſtungen des Turnus und Mezentius erzählt hatte, mit offenen Armen aufgenommen. Der König vereinigte nicht nur die eigene Streitmacht mit ihm, ſon¬ dern rief auch alle hetruriſchen Bundesſtädte zur Theil¬ nahme an dem Kampfe auf. Es währte nicht lange, ſo ſah ſich der Trojaner an der Spitze einer furchtbaren Flotte, und ſegelte, nachdem er arkadiſche und tuskiſche Reiter auf dem Landwege vorangeſchickt hatte, mit dreißig Schiffen von der hetruriſchen Meeresküſte ab. Wie er nun in der Nacht aus Vorſicht ſelber am Steuer ſaß, und den Lauf ſeines Schiffes, dem die andern folgten, regierte, umringte ihn auf einmal ein Chor tanzender Nymphen. Es waren die Schiffe der Trojaner, welche Cybele, um ſie von den Brandfackeln des Turnus zu retten, jüngſt an der Mündung der Tiber verwandelt hatte. Sie erkannten, belebt und beſeelt, ihren Herrn; die beredteſte faßte ſein Schiff mit der Rechten, ragte mit dem Rücken aus dem Waſſer hervor, ſtreichelte be¬ ſänftigend die Fluth mit der Linken und ſprach: „Wachſt du, Götterſohn? O wache, und laß den Wind in die

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/410>, abgerufen am 19.04.2024.