Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

König, es fehlt nur Eines noch! Du solltest zu den
herrlichen Geschenken, die Du den Trojanern zu senden
befiehlst, auch noch die Hand deiner Tochter Lavinia
hinzufügen, und so den Frieden mit einem ewigen Bund
versiegeln!" Jetzt entbrannte das Herz dem Turnus,
der eben erst von seiner Vaterstadt zurückgekehrt, sich
unter die Volksversammlung gemischt hatte. Aus der
tiefsten Brust emporathmend, rief er: "O Drances, so
oft der Krieg Fäuste verlangt, bist du mit der Zunge
da! Jetzt aber gilt es nicht, den Rathsaal mit Worten
anzufüllen: die Feinde umringen unsere Stadt, gefochten
will es seyn! Was wird uns der Aetolier Diomedes
und seine Pflanzstadt helfen, wenn unser eigener Arm
wenn Latium, wenn ganz Volskerland, das sich für
uns erhoben hat, es nicht vermag? Wenn es sich aber
nur um meine Seele handelt, die ist euch längst ge¬
weiht; wenn es wahr ist, daß Aeneas mich allein heraus¬
fordert, ich bin Turnus, er soll mich finden!"

Während die Latiner so sich über die Lage ihres
Reichs zankten, kam Aeneas mit seinem ganzen Ge¬
folge heran, und plötzlich stürmte die Botschaft durch
den Palast, daß Trojaner und Etrusker vom Tiber¬
strome hergezogen kommen.



König, es fehlt nur Eines noch! Du ſollteſt zu den
herrlichen Geſchenken, die Du den Trojanern zu ſenden
befiehlſt, auch noch die Hand deiner Tochter Lavinia
hinzufügen, und ſo den Frieden mit einem ewigen Bund
verſiegeln!“ Jetzt entbrannte das Herz dem Turnus,
der eben erſt von ſeiner Vaterſtadt zurückgekehrt, ſich
unter die Volksverſammlung gemiſcht hatte. Aus der
tiefſten Bruſt emporathmend, rief er: „O Drances, ſo
oft der Krieg Fäuſte verlangt, biſt du mit der Zunge
da! Jetzt aber gilt es nicht, den Rathſaal mit Worten
anzufüllen: die Feinde umringen unſere Stadt, gefochten
will es ſeyn! Was wird uns der Aetolier Diomedes
und ſeine Pflanzſtadt helfen, wenn unſer eigener Arm
wenn Latium, wenn ganz Volskerland, das ſich für
uns erhoben hat, es nicht vermag? Wenn es ſich aber
nur um meine Seele handelt, die iſt euch längſt ge¬
weiht; wenn es wahr iſt, daß Aeneas mich allein heraus¬
fordert, ich bin Turnus, er ſoll mich finden!“

Während die Latiner ſo ſich über die Lage ihres
Reichs zankten, kam Aeneas mit ſeinem ganzen Ge¬
folge heran, und plötzlich ſtürmte die Botſchaft durch
den Palaſt, daß Trojaner und Etrusker vom Tiber¬
ſtrome hergezogen kommen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0434" n="412"/>
König, es fehlt nur Eines noch! Du &#x017F;ollte&#x017F;t zu den<lb/>
herrlichen Ge&#x017F;chenken, die Du den Trojanern zu &#x017F;enden<lb/>
befiehl&#x017F;t, auch noch die Hand deiner Tochter Lavinia<lb/>
hinzufügen, und &#x017F;o den Frieden mit einem ewigen Bund<lb/>
ver&#x017F;iegeln!&#x201C; Jetzt entbrannte das Herz dem Turnus,<lb/>
der eben er&#x017F;t von &#x017F;einer Vater&#x017F;tadt zurückgekehrt, &#x017F;ich<lb/>
unter die Volksver&#x017F;ammlung gemi&#x017F;cht hatte. Aus der<lb/>
tief&#x017F;ten Bru&#x017F;t emporathmend, rief er: &#x201E;O Drances, &#x017F;o<lb/>
oft der Krieg Fäu&#x017F;te verlangt, bi&#x017F;t du mit der Zunge<lb/>
da! Jetzt aber gilt es nicht, den Rath&#x017F;aal mit Worten<lb/>
anzufüllen: die Feinde umringen un&#x017F;ere Stadt, gefochten<lb/>
will es &#x017F;eyn! Was wird uns der Aetolier Diomedes<lb/>
und &#x017F;eine Pflanz&#x017F;tadt helfen, wenn un&#x017F;er eigener Arm<lb/>
wenn Latium, wenn ganz Volskerland, das &#x017F;ich für<lb/>
uns erhoben hat, es nicht vermag? Wenn es &#x017F;ich aber<lb/>
nur um <hi rendition="#g">meine</hi> Seele handelt, die i&#x017F;t euch läng&#x017F;t ge¬<lb/>
weiht; wenn es wahr i&#x017F;t, daß Aeneas mich allein heraus¬<lb/>
fordert, ich bin Turnus, er &#x017F;oll mich finden!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Während die Latiner &#x017F;o &#x017F;ich über die Lage ihres<lb/>
Reichs zankten, kam Aeneas mit &#x017F;einem ganzen Ge¬<lb/>
folge heran, und plötzlich &#x017F;türmte die Bot&#x017F;chaft durch<lb/>
den Pala&#x017F;t, daß Trojaner und Etrusker vom Tiber¬<lb/>
&#x017F;trome hergezogen kommen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412/0434] König, es fehlt nur Eines noch! Du ſollteſt zu den herrlichen Geſchenken, die Du den Trojanern zu ſenden befiehlſt, auch noch die Hand deiner Tochter Lavinia hinzufügen, und ſo den Frieden mit einem ewigen Bund verſiegeln!“ Jetzt entbrannte das Herz dem Turnus, der eben erſt von ſeiner Vaterſtadt zurückgekehrt, ſich unter die Volksverſammlung gemiſcht hatte. Aus der tiefſten Bruſt emporathmend, rief er: „O Drances, ſo oft der Krieg Fäuſte verlangt, biſt du mit der Zunge da! Jetzt aber gilt es nicht, den Rathſaal mit Worten anzufüllen: die Feinde umringen unſere Stadt, gefochten will es ſeyn! Was wird uns der Aetolier Diomedes und ſeine Pflanzſtadt helfen, wenn unſer eigener Arm wenn Latium, wenn ganz Volskerland, das ſich für uns erhoben hat, es nicht vermag? Wenn es ſich aber nur um meine Seele handelt, die iſt euch längſt ge¬ weiht; wenn es wahr iſt, daß Aeneas mich allein heraus¬ fordert, ich bin Turnus, er ſoll mich finden!“ Während die Latiner ſo ſich über die Lage ihres Reichs zankten, kam Aeneas mit ſeinem ganzen Ge¬ folge heran, und plötzlich ſtürmte die Botſchaft durch den Palaſt, daß Trojaner und Etrusker vom Tiber¬ ſtrome hergezogen kommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/434
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/434>, abgerufen am 19.04.2024.