Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

oder zermalmte sie unter seinen Rädern. Während er
so auf dem Schlachtfelde Leichen auf Leichen häufte,
brachten Mnestheus und Achates im Geleite des Aska¬
nius den verwundeten Aeneas ins Lager zurück, blutend
und Schritt für Schritt auf seinen Speer gestützt. Ver¬
gebens strengte er sich an, den im Leibe haftenden Pfeil
am zerbrochenen Rohre herauszuziehen; er verlangte,
daß die Wunde ausgeschnitten werde: Japis, der Arzt,
erschien; auf seinen Speer gestützt stand vor ihm der
Held, unbewegt unter seinen weinenden Genossen. Der
Alte aber, in der Heilkunst wohlerfahren, brauchte kein
gewaltsames Mittel, sondern suchte mit wirksamen Heil¬
kräutern den Pfeil in der Wunde locker zu machen, faßte
das Eisen mit packender Zange, rüttelte mit der Hand
an dem Rohr; doch alle seine Kunst war nicht vermö¬
gend, das Geschoß herauszuziehen. Und während er
sich vergebens abmühte, sah man schon die Staubwolke
der feindlichen Reiter, dichte Geschosse fielen bereits ins
Lager und das Geschrei der Kämpfenden näherte sich.


Aeneas geheilt. Neue Schlacht. Sturm auf die Stadt.

Da erbarmte sich Venus ihres gefährdeten Sohnes.
Sie pflückte auf dem Idagebirge der Insel Aetna das
herrliche Kraut Diktamnum mit seinen saftigen Blättern
und purpurnen Blumen, brachte es, in eine dichte Wolke
gehüllt, ins Lager herbei, und träufelte von seinem Safte
heimlich und Allen ungesehen in den Kessel, in welchem
die Heilkräuter des Arztes brodelten, dazu mischte sie

oder zermalmte ſie unter ſeinen Rädern. Während er
ſo auf dem Schlachtfelde Leichen auf Leichen häufte,
brachten Mneſtheus und Achates im Geleite des Aska¬
nius den verwundeten Aeneas ins Lager zurück, blutend
und Schritt für Schritt auf ſeinen Speer geſtützt. Ver¬
gebens ſtrengte er ſich an, den im Leibe haftenden Pfeil
am zerbrochenen Rohre herauszuziehen; er verlangte,
daß die Wunde ausgeſchnitten werde: Japis, der Arzt,
erſchien; auf ſeinen Speer geſtützt ſtand vor ihm der
Held, unbewegt unter ſeinen weinenden Genoſſen. Der
Alte aber, in der Heilkunſt wohlerfahren, brauchte kein
gewaltſames Mittel, ſondern ſuchte mit wirkſamen Heil¬
kräutern den Pfeil in der Wunde locker zu machen, faßte
das Eiſen mit packender Zange, rüttelte mit der Hand
an dem Rohr; doch alle ſeine Kunſt war nicht vermö¬
gend, das Geſchoß herauszuziehen. Und während er
ſich vergebens abmühte, ſah man ſchon die Staubwolke
der feindlichen Reiter, dichte Geſchoſſe fielen bereits ins
Lager und das Geſchrei der Kämpfenden näherte ſich.


Aeneas geheilt. Neue Schlacht. Sturm auf die Stadt.

Da erbarmte ſich Venus ihres gefährdeten Sohnes.
Sie pflückte auf dem Idagebirge der Inſel Aetna das
herrliche Kraut Diktamnum mit ſeinen ſaftigen Blättern
und purpurnen Blumen, brachte es, in eine dichte Wolke
gehüllt, ins Lager herbei, und träufelte von ſeinem Safte
heimlich und Allen ungeſehen in den Keſſel, in welchem
die Heilkräuter des Arztes brodelten, dazu miſchte ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0449" n="427"/>
oder zermalmte &#x017F;ie unter &#x017F;einen Rädern. Während er<lb/>
&#x017F;o auf dem Schlachtfelde Leichen auf Leichen häufte,<lb/>
brachten Mne&#x017F;theus und Achates im Geleite des Aska¬<lb/>
nius den verwundeten Aeneas ins Lager zurück, blutend<lb/>
und Schritt für Schritt auf &#x017F;einen Speer ge&#x017F;tützt. Ver¬<lb/>
gebens &#x017F;trengte er &#x017F;ich an, den im Leibe haftenden Pfeil<lb/>
am zerbrochenen Rohre herauszuziehen; er verlangte,<lb/>
daß die Wunde ausge&#x017F;chnitten werde: Japis, der Arzt,<lb/>
er&#x017F;chien; auf &#x017F;einen Speer ge&#x017F;tützt &#x017F;tand vor ihm der<lb/>
Held, unbewegt unter &#x017F;einen weinenden Geno&#x017F;&#x017F;en. Der<lb/>
Alte aber, in der Heilkun&#x017F;t wohlerfahren, brauchte kein<lb/>
gewalt&#x017F;ames Mittel, &#x017F;ondern &#x017F;uchte mit wirk&#x017F;amen Heil¬<lb/>
kräutern den Pfeil in der Wunde locker zu machen, faßte<lb/>
das Ei&#x017F;en mit packender Zange, rüttelte mit der Hand<lb/>
an dem Rohr; doch alle &#x017F;eine Kun&#x017F;t war nicht vermö¬<lb/>
gend, das Ge&#x017F;choß herauszuziehen. Und während er<lb/>
&#x017F;ich vergebens abmühte, &#x017F;ah man &#x017F;chon die Staubwolke<lb/>
der feindlichen Reiter, dichte Ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;e fielen bereits ins<lb/>
Lager und das Ge&#x017F;chrei der Kämpfenden näherte &#x017F;ich.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Aeneas geheilt. Neue Schlacht. Sturm auf die Stadt.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Da erbarmte &#x017F;ich Venus ihres gefährdeten Sohnes.<lb/>
Sie pflückte auf dem Idagebirge der In&#x017F;el Aetna das<lb/>
herrliche Kraut Diktamnum mit &#x017F;einen &#x017F;aftigen Blättern<lb/>
und purpurnen Blumen, brachte es, in eine dichte Wolke<lb/>
gehüllt, ins Lager herbei, und träufelte von &#x017F;einem Safte<lb/>
heimlich und Allen unge&#x017F;ehen in den Ke&#x017F;&#x017F;el, in welchem<lb/>
die Heilkräuter des Arztes brodelten, dazu mi&#x017F;chte &#x017F;ie<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0449] oder zermalmte ſie unter ſeinen Rädern. Während er ſo auf dem Schlachtfelde Leichen auf Leichen häufte, brachten Mneſtheus und Achates im Geleite des Aska¬ nius den verwundeten Aeneas ins Lager zurück, blutend und Schritt für Schritt auf ſeinen Speer geſtützt. Ver¬ gebens ſtrengte er ſich an, den im Leibe haftenden Pfeil am zerbrochenen Rohre herauszuziehen; er verlangte, daß die Wunde ausgeſchnitten werde: Japis, der Arzt, erſchien; auf ſeinen Speer geſtützt ſtand vor ihm der Held, unbewegt unter ſeinen weinenden Genoſſen. Der Alte aber, in der Heilkunſt wohlerfahren, brauchte kein gewaltſames Mittel, ſondern ſuchte mit wirkſamen Heil¬ kräutern den Pfeil in der Wunde locker zu machen, faßte das Eiſen mit packender Zange, rüttelte mit der Hand an dem Rohr; doch alle ſeine Kunſt war nicht vermö¬ gend, das Geſchoß herauszuziehen. Und während er ſich vergebens abmühte, ſah man ſchon die Staubwolke der feindlichen Reiter, dichte Geſchoſſe fielen bereits ins Lager und das Geſchrei der Kämpfenden näherte ſich. Aeneas geheilt. Neue Schlacht. Sturm auf die Stadt. Da erbarmte ſich Venus ihres gefährdeten Sohnes. Sie pflückte auf dem Idagebirge der Inſel Aetna das herrliche Kraut Diktamnum mit ſeinen ſaftigen Blättern und purpurnen Blumen, brachte es, in eine dichte Wolke gehüllt, ins Lager herbei, und träufelte von ſeinem Safte heimlich und Allen ungeſehen in den Keſſel, in welchem die Heilkräuter des Arztes brodelten, dazu miſchte ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/449
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/449>, abgerufen am 28.03.2024.