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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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noch Tropfen Ambrosias und das duftende Panaceenkraut.
Japis ahnete hiervon nichts, aber als er noch einmal
die Wunde mit seinem Kräutersafte wusch, siehe da ent¬
floh plötzlich der Schmerz aus dem Leibe des Helden,
zu innerst in der Wunde versiegte das Blut; der
Pfeil folgte von selbst und zwanglos der berührenden
Hand und fiel aus dem Leibe heraus. Sichtlich waren
dem geheilten Aeneas die Kräfte zurückgekehrt. "Was
zögert ihr?" rief der Arzt ganz "schnell dem
Helden die Waffen gebracht! das ist nicht aus mensch¬
licher Macht, nicht nach den Gesetzen der Heilkunst er¬
folgt, das hat ein Größerer gethan, denn ich, und zu
größeren Thaten treibt er dich an, o König!"

Aeneas, nach Kampfe lechzend, legte schnell Schie¬
nen und Panzer an, zürnte allem Verzug und war froh,
als er endlich den Helm auf dem Haupte sitzen hatte,
und den Speer in den Händen schwang. In voller
Waffenrüstung umarmte er seinen Sohn Askanius, küßte
ihn streifend durch das Helmgitter und sprach: "Lerne
von mir die Tapferkeit, mein Kind, und die wahre Be¬
harrlichkeit, das Glück aber lerne von Andern!" Dann
schritt die gewaltige Heldengestalt aus den Lagerthoren;
Antheus und Mnestheus mit dichter Reiterschaar dräng¬
ten sich ihm nach; alles Volk strömte aus dem Lager
und ein wolkiger Staub verkündigte dem Turnus die
Nahenden. Ein Schauder lief ihm durch Mark und
Beine. Auch seine Schwester Juturna wandte sich mit
ihm bebend vor Furcht, zur Flucht, und bald tobte der
Trojanerheld in der Schlacht wie eine Windsbraut. Da
fiel auch der Seher Tolumnius, der zuerst das Geschoß
in die Reihen der Feinde geschleudert hatte.

noch Tropfen Ambroſias und das duftende Panaceenkraut.
Japis ahnete hiervon nichts, aber als er noch einmal
die Wunde mit ſeinem Kräuterſafte wuſch, ſiehe da ent¬
floh plötzlich der Schmerz aus dem Leibe des Helden,
zu innerſt in der Wunde verſiegte das Blut; der
Pfeil folgte von ſelbſt und zwanglos der berührenden
Hand und fiel aus dem Leibe heraus. Sichtlich waren
dem geheilten Aeneas die Kräfte zurückgekehrt. „Was
zögert ihr?“ rief der Arzt ganz „ſchnell dem
Helden die Waffen gebracht! das iſt nicht aus menſch¬
licher Macht, nicht nach den Geſetzen der Heilkunſt er¬
folgt, das hat ein Größerer gethan, denn ich, und zu
größeren Thaten treibt er dich an, o König!“

Aeneas, nach Kampfe lechzend, legte ſchnell Schie¬
nen und Panzer an, zürnte allem Verzug und war froh,
als er endlich den Helm auf dem Haupte ſitzen hatte,
und den Speer in den Händen ſchwang. In voller
Waffenrüſtung umarmte er ſeinen Sohn Askanius, küßte
ihn ſtreifend durch das Helmgitter und ſprach: „Lerne
von mir die Tapferkeit, mein Kind, und die wahre Be¬
harrlichkeit, das Glück aber lerne von Andern!“ Dann
ſchritt die gewaltige Heldengeſtalt aus den Lagerthoren;
Antheus und Mneſtheus mit dichter Reiterſchaar dräng¬
ten ſich ihm nach; alles Volk ſtrömte aus dem Lager
und ein wolkiger Staub verkündigte dem Turnus die
Nahenden. Ein Schauder lief ihm durch Mark und
Beine. Auch ſeine Schweſter Juturna wandte ſich mit
ihm bebend vor Furcht, zur Flucht, und bald tobte der
Trojanerheld in der Schlacht wie eine Windsbraut. Da
fiel auch der Seher Tolumnius, der zuerſt das Geſchoß
in die Reihen der Feinde geſchleudert hatte.

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[428/0450] noch Tropfen Ambroſias und das duftende Panaceenkraut. Japis ahnete hiervon nichts, aber als er noch einmal die Wunde mit ſeinem Kräuterſafte wuſch, ſiehe da ent¬ floh plötzlich der Schmerz aus dem Leibe des Helden, zu innerſt in der Wunde verſiegte das Blut; der Pfeil folgte von ſelbſt und zwanglos der berührenden Hand und fiel aus dem Leibe heraus. Sichtlich waren dem geheilten Aeneas die Kräfte zurückgekehrt. „Was zögert ihr?“ rief der Arzt ganz „ſchnell dem Helden die Waffen gebracht! das iſt nicht aus menſch¬ licher Macht, nicht nach den Geſetzen der Heilkunſt er¬ folgt, das hat ein Größerer gethan, denn ich, und zu größeren Thaten treibt er dich an, o König!“ Aeneas, nach Kampfe lechzend, legte ſchnell Schie¬ nen und Panzer an, zürnte allem Verzug und war froh, als er endlich den Helm auf dem Haupte ſitzen hatte, und den Speer in den Händen ſchwang. In voller Waffenrüſtung umarmte er ſeinen Sohn Askanius, küßte ihn ſtreifend durch das Helmgitter und ſprach: „Lerne von mir die Tapferkeit, mein Kind, und die wahre Be¬ harrlichkeit, das Glück aber lerne von Andern!“ Dann ſchritt die gewaltige Heldengeſtalt aus den Lagerthoren; Antheus und Mneſtheus mit dichter Reiterſchaar dräng¬ ten ſich ihm nach; alles Volk ſtrömte aus dem Lager und ein wolkiger Staub verkündigte dem Turnus die Nahenden. Ein Schauder lief ihm durch Mark und Beine. Auch ſeine Schweſter Juturna wandte ſich mit ihm bebend vor Furcht, zur Flucht, und bald tobte der Trojanerheld in der Schlacht wie eine Windsbraut. Da fiel auch der Seher Tolumnius, der zuerſt das Geſchoß in die Reihen der Feinde geſchleudert hatte.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/450>, abgerufen am 20.04.2024.