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Schwenter, Daniel: Deliciae physico-mathematicae oder mathematische und philosophische Erquickstunden. Nürnberg, 1636.

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Ander Theil der Erquickstunden.


Die I. Auffgab.
Ob schwerer sey einen Circkel von freyer Hand zu machen/ oder
so der Circkel gerissen/ das
Centrum von freyer Hand
darein zu verzeichnen?

Wir machen billich vom Punct vnnd Circkel den anfang/ weil der
Punct eines Geometrae erstes principium, der Circkel aber vnter allen
flachen Figuren die vollkommeneste: Von dieser Frag aber führet der Fran-
tzösische Author folgenden discurs: Ob nun nicht ein schwer ding sey/
ein vollkommenen justen Circkelriß von freyer Hand zu machen/ vnd noch
schwerer das centrum darein zu stellen/ gibt eine schöne disputation Man
sagt Apelles der allerkünstlichste Mahler/ habe es so weit gebracht/ daß er
einen Circkel von freyer Hand gerissen: Dann er keinen Tag vorüber ge-
lassen/ an welchem er nicht sich exerciret, biß ers endlich in eine übung ge-
bracht/ daher das Sprichwort erwachsen: Nulla dies sine linea, oder

Nulla dies abit, quin linea ducta supersit.
Kein Tag Apelles hingehn ließ.
Daran er nicht ein Lini riß.

Nun gesetzt Protogenes der auch über auß berühmte Griechische Mah-
ler/ hätte zu deß Apellis Circkel das centrum gefunden/ so were nun wol di-
sputirlich/ welcher vnter beeden das gröste Werck gethan? Es scheinet Apel-
les
hab mehr geleistet als Protogenes: Dann ein Circkel Lini zu beschreiben/
hat Apelles vil ja vnendlich vil Punct/ so alle in gleicher weite vom centro,
betrachten vnd in acht nemen müssen; Protogenes hingegen/ hat nur einen
Punct gesetzt; Zum andern/ Apelles hat eine gantze Figur gerissen/ vnd zwar
die allervollkommeneste/ hingegen Protogenes nur einen Punct gesetzt. Es
möchte aber einer hingegen Protogenem mit seinem Punct dem Apelli
vorziehen/ vnd jhme den Preiß geben: Dann mit was vielfältiger Betrach-
tung/ subtiligen nach sinnen/ tieffen Verstand vnnd schärffe deß Gesichts/
ja mit was gewißheit der Hand/ hat Protogenes eben den rechten Punct/
vnter so viel tausenden/ ja vnzehlichen/ gesunden/ welcher auch von vnzehlich

viel
Ander Theil der Erquickſtunden.


Die I. Auffgab.
Ob ſchwerer ſey einen Circkel von freyer Hand zu machen/ oder
ſo der Circkel geriſſen/ das
Centrum von freyer Hand
darein zu verzeichnen?

Wir machen billich vom Punct vnnd Circkel den anfang/ weil der
Punct eines Geometræ erſtes principium, der Circkel aber vnter allen
flachen Figuren die vollkommeneſte: Von dieſer Frag aber fuͤhret der Fran-
tzoͤſiſche Author folgenden diſcurs: Ob nun nicht ein ſchwer ding ſey/
ein vollkommenen juſten Circkelriß von freyer Hand zu machen/ vnd noch
ſchwerer das centrum darein zu ſtellen/ gibt eine ſchoͤne diſputation Man
ſagt Apelles der allerkuͤnſtlichſte Mahler/ habe es ſo weit gebracht/ daß er
einen Circkel von freyer Hand geriſſen: Dann er keinen Tag voruͤber ge-
laſſen/ an welchem er nicht ſich exerciret, biß ers endlich in eine uͤbung ge-
bracht/ daher das Sprichwort erwachſen: Nulla dies ſine linea, oder

Nulla dies abit, quin linea ducta ſuperſit.
Kein Tag Apelles hingehn ließ.
Daran er nicht ein Lini riß.

Nun geſetzt Protogenes der auch uͤber auß beruͤhmte Griechiſche Mah-
ler/ haͤtte zu deß Apellis Circkel das centrum gefunden/ ſo were nun wol di-
ſputirlich/ welcher vnter beedẽ das groͤſte Werck gethan? Es ſcheinet Apel-
les
hab mehr geleiſtet als Protogenes: Dañ ein Circkel Lini zu beſchreibẽ/
hat Apelles vil ja vnendlich vil Punct/ ſo alle in gleicher weite vom centro,
betrachten vnd in acht nemen muͤſſen; Protogenes hingegen/ hat nur einen
Punct geſetzt; Zum andern/ Apelles hat eine gantze Figur geriſſen/ vñ zwar
die allervollkommeneſte/ hingegen Protogenes nur einen Punct geſetzt. Es
moͤchte aber einer hingegen Protogenem mit ſeinem Punct dem Apelli
vorziehen/ vnd jhme den Preiß geben: Dann mit was vielfaͤltiger Betrach-
tung/ ſubtiligen nach ſinnen/ tieffen Verſtand vnnd ſchaͤrffe deß Geſichts/
ja mit was gewißheit der Hand/ hat Protogenes eben den rechten Punct/
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[127/0141] Ander Theil der Erquickſtunden. Die I. Auffgab. Ob ſchwerer ſey einen Circkel von freyer Hand zu machen/ oder ſo der Circkel geriſſen/ das Centrum von freyer Hand darein zu verzeichnen? Wir machen billich vom Punct vnnd Circkel den anfang/ weil der Punct eines Geometræ erſtes principium, der Circkel aber vnter allen flachen Figuren die vollkommeneſte: Von dieſer Frag aber fuͤhret der Fran- tzoͤſiſche Author folgenden diſcurs: Ob nun nicht ein ſchwer ding ſey/ ein vollkommenen juſten Circkelriß von freyer Hand zu machen/ vnd noch ſchwerer das centrum darein zu ſtellen/ gibt eine ſchoͤne diſputation Man ſagt Apelles der allerkuͤnſtlichſte Mahler/ habe es ſo weit gebracht/ daß er einen Circkel von freyer Hand geriſſen: Dann er keinen Tag voruͤber ge- laſſen/ an welchem er nicht ſich exerciret, biß ers endlich in eine uͤbung ge- bracht/ daher das Sprichwort erwachſen: Nulla dies ſine linea, oder Nulla dies abit, quin linea ducta ſuperſit. Kein Tag Apelles hingehn ließ. Daran er nicht ein Lini riß. Nun geſetzt Protogenes der auch uͤber auß beruͤhmte Griechiſche Mah- ler/ haͤtte zu deß Apellis Circkel das centrum gefunden/ ſo were nun wol di- ſputirlich/ welcher vnter beedẽ das groͤſte Werck gethan? Es ſcheinet Apel- les hab mehr geleiſtet als Protogenes: Dañ ein Circkel Lini zu beſchreibẽ/ hat Apelles vil ja vnendlich vil Punct/ ſo alle in gleicher weite vom centro, betrachten vnd in acht nemen muͤſſen; Protogenes hingegen/ hat nur einen Punct geſetzt; Zum andern/ Apelles hat eine gantze Figur geriſſen/ vñ zwar die allervollkommeneſte/ hingegen Protogenes nur einen Punct geſetzt. Es moͤchte aber einer hingegen Protogenem mit ſeinem Punct dem Apelli vorziehen/ vnd jhme den Preiß geben: Dann mit was vielfaͤltiger Betrach- tung/ ſubtiligen nach ſinnen/ tieffen Verſtand vnnd ſchaͤrffe deß Geſichts/ ja mit was gewißheit der Hand/ hat Protogenes eben den rechten Punct/ vnter ſo viel tauſenden/ ja vnzehlichẽ/ geſunden/ welcher auch von vnzehlich viel

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Zitationshilfe: Schwenter, Daniel: Deliciae physico-mathematicae oder mathematische und philosophische Erquickstunden. Nürnberg, 1636, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwenter_deliciae_1636/141>, abgerufen am 25.04.2024.