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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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aber die von Dr. Semmelweis mit allem Scharfsinn eines vor-
urtheilfreien Forschers in der Gebäranstalt zu Wien ermittelte
Ursache eine derselben ist, daran kann wohl kein Unbefan-
gener zweifeln." Die alleinige Ursache des Kindbettfiebers ist
ein zersetzter Stoff, der Quellen des zersetzten Stoffes gibt
es drei. eine derselben ist die Leiche.

Nachdem Liebig diese mir günstige Bemerkung in der
zweiten Auflage seiner chemischen Briefe wegliess, erlaubte
ich mir deshalb, mich brieflich anzufragen, und benützte zu-
gleich die Gelegenheit, obwohl nicht ohne Furcht, eine Ant-
wort voll Verwunderung über die Naivität meiner Frage zu
erhalten, Liebig's Ansicht über die Desinfectionskraft des
Chlorkalkes zu erfahren. Hierauf verpflichtete mich Liebig
mit folgender Antwort:


Euer Wohlgeboren!

Beehre ich mich auf Ihr Schreiben zu erwiedern, dass
die Hinweglassung Ihrer Beobachtung über das Kindbett-
fieber aus der neuen Auflage meiner chemischen Briefe nicht
den Grund hat, dass ich die Wichtigkeit Ihrer Erfahrung
nicht wie früher anerkenne, sondern weil sie jetzt so be-
kannt und verbreitet ist, dass ihre Beibehaltung in meinem
Buche zwecklos erscheint, in einem eigentlichen Zusammen-
hange damit steht sie nicht. Es ist dies mit anderen Nachträ-
gen ebenfalls geschehen.

Der Chlorkalk besitzt unzweifelhaft eine desinficirende
Eigenschaft.

Ergebenst hochachtungsvoll der Ihrige
Gustav Liebig.

Bernard Seyfert
hat ergänzende Bemerkungen zu dem früher beurtheilten Auf-
satze Scanzoni's geliefert.

Der Leser erinnert sich, dass Scanzoni die Absicht hatte,
während einer herrschenden Puerperalepidemie im Gebärhause
Versuche an Thieren zu machen, der Leser erinnert sich, dass
wir die Ansicht ausgesprochen, dass Versuche an Thieren

aber die von Dr. Semmelweis mit allem Scharfsinn eines vor-
urtheilfreien Forschers in der Gebäranstalt zu Wien ermittelte
Ursache eine derselben ist, daran kann wohl kein Unbefan-
gener zweifeln.« Die alleinige Ursache des Kindbettfiebers ist
ein zersetzter Stoff, der Quellen des zersetzten Stoffes gibt
es drei. eine derselben ist die Leiche.

Nachdem Liebig diese mir günstige Bemerkung in der
zweiten Auflage seiner chemischen Briefe wegliess, erlaubte
ich mir deshalb, mich brieflich anzufragen, und benützte zu-
gleich die Gelegenheit, obwohl nicht ohne Furcht, eine Ant-
wort voll Verwunderung über die Naivität meiner Frage zu
erhalten, Liebig’s Ansicht über die Desinfectionskraft des
Chlorkalkes zu erfahren. Hierauf verpflichtete mich Liebig
mit folgender Antwort:


Euer Wohlgeboren!

Beehre ich mich auf Ihr Schreiben zu erwiedern, dass
die Hinweglassung Ihrer Beobachtung über das Kindbett-
fieber aus der neuen Auflage meiner chemischen Briefe nicht
den Grund hat, dass ich die Wichtigkeit Ihrer Erfahrung
nicht wie früher anerkenne, sondern weil sie jetzt so be-
kannt und verbreitet ist, dass ihre Beibehaltung in meinem
Buche zwecklos erscheint, in einem eigentlichen Zusammen-
hange damit steht sie nicht. Es ist dies mit anderen Nachträ-
gen ebenfalls geschehen.

Der Chlorkalk besitzt unzweifelhaft eine desinficirende
Eigenschaft.

Ergebenst hochachtungsvoll der Ihrige
Gustav Liebig.

Bernard Seyfert
hat ergänzende Bemerkungen zu dem früher beurtheilten Auf-
satze Scanzoni’s geliefert.

Der Leser erinnert sich, dass Scanzoni die Absicht hatte,
während einer herrschenden Puerperalepidemie im Gebärhause
Versuche an Thieren zu machen, der Leser erinnert sich, dass
wir die Ansicht ausgesprochen, dass Versuche an Thieren

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[423/0435] aber die von Dr. Semmelweis mit allem Scharfsinn eines vor- urtheilfreien Forschers in der Gebäranstalt zu Wien ermittelte Ursache eine derselben ist, daran kann wohl kein Unbefan- gener zweifeln.« Die alleinige Ursache des Kindbettfiebers ist ein zersetzter Stoff, der Quellen des zersetzten Stoffes gibt es drei. eine derselben ist die Leiche. Nachdem Liebig diese mir günstige Bemerkung in der zweiten Auflage seiner chemischen Briefe wegliess, erlaubte ich mir deshalb, mich brieflich anzufragen, und benützte zu- gleich die Gelegenheit, obwohl nicht ohne Furcht, eine Ant- wort voll Verwunderung über die Naivität meiner Frage zu erhalten, Liebig’s Ansicht über die Desinfectionskraft des Chlorkalkes zu erfahren. Hierauf verpflichtete mich Liebig mit folgender Antwort: München, 21. März 1859. Euer Wohlgeboren! Beehre ich mich auf Ihr Schreiben zu erwiedern, dass die Hinweglassung Ihrer Beobachtung über das Kindbett- fieber aus der neuen Auflage meiner chemischen Briefe nicht den Grund hat, dass ich die Wichtigkeit Ihrer Erfahrung nicht wie früher anerkenne, sondern weil sie jetzt so be- kannt und verbreitet ist, dass ihre Beibehaltung in meinem Buche zwecklos erscheint, in einem eigentlichen Zusammen- hange damit steht sie nicht. Es ist dies mit anderen Nachträ- gen ebenfalls geschehen. Der Chlorkalk besitzt unzweifelhaft eine desinficirende Eigenschaft. Ergebenst hochachtungsvoll der Ihrige Gustav Liebig. Bernard Seyfert hat ergänzende Bemerkungen zu dem früher beurtheilten Auf- satze Scanzoni’s geliefert. Der Leser erinnert sich, dass Scanzoni die Absicht hatte, während einer herrschenden Puerperalepidemie im Gebärhause Versuche an Thieren zu machen, der Leser erinnert sich, dass wir die Ansicht ausgesprochen, dass Versuche an Thieren

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/435>, abgerufen am 28.03.2024.