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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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wozu sonst noch? Nur die Lieblingsarien werden still
angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens
nicht viel Genuss haben; und die Schauspieler rächen
oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Et¬
was eigenes war mir im Hause, dass das Parterre
überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte
mich hinwenden wo ich wollte.



Die Leute meinten wieder, ich sey nicht gescheidt,
als sie hörten, ich wolle zu Fusse von Triest über die
Berge nach Venedig gehen und sagten, da würde ich
nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber
ich liess mich nicht irre machen und wandelte wieder
den Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen grossen
Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zwey Stun¬
den Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge,
wieder auf die Heerstrasse. Ich besuchte die Höhlen
von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt
verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniss doch
nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die
Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur
sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen
so unsicher, weil sie, wie die genuesischen, der Zu¬
fluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten wa¬
ren. Da ganz Venedig in Oestreichischen Händen ist,
wird es nun der wachsamen Polizey leichter, Ordnung
und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rück¬
sicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem

wozu sonst noch? Nur die Lieblingsarien werden still
angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens
nicht viel Genuſs haben; und die Schauspieler rächen
oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Et¬
was eigenes war mir im Hause, daſs das Parterre
überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte
mich hinwenden wo ich wollte.



Die Leute meinten wieder, ich sey nicht gescheidt,
als sie hörten, ich wolle zu Fuſse von Triest über die
Berge nach Venedig gehen und sagten, da würde ich
nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber
ich lieſs mich nicht irre machen und wandelte wieder
den Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen groſsen
Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zwey Stun¬
den Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge,
wieder auf die Heerstraſse. Ich besuchte die Höhlen
von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt
verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniſs doch
nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die
Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur
sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen
so unsicher, weil sie, wie die genuesischen, der Zu¬
fluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten wa¬
ren. Da ganz Venedig in Oestreichischen Händen ist,
wird es nun der wachsamen Polizey leichter, Ordnung
und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rück¬
sicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem

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[84/0110] wozu sonst noch? Nur die Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens nicht viel Genuſs haben; und die Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Et¬ was eigenes war mir im Hause, daſs das Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte mich hinwenden wo ich wollte. Venedig. Die Leute meinten wieder, ich sey nicht gescheidt, als sie hörten, ich wolle zu Fuſse von Triest über die Berge nach Venedig gehen und sagten, da würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber ich lieſs mich nicht irre machen und wandelte wieder den Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen groſsen Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zwey Stun¬ den Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstraſse. Ich besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniſs doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen so unsicher, weil sie, wie die genuesischen, der Zu¬ fluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten wa¬ ren. Da ganz Venedig in Oestreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen Polizey leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rück¬ sicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/110>, abgerufen am 29.03.2024.