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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Wider meine Absicht bin ich nun hier in Rom.
Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans
Gewissen, dass es Tollkühnheit gewesen wäre, von
dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und
Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Be¬
schreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause
betete man schon im voraus bey meiner anscheinen¬
den Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele.
Vous aves bien l'air d'etre un peu Francois; et tout
Francois est perdau sans ressource en Abruzzo. Ce sont
des sauvages sans entrailles
; sagte man mir. Das
klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich denke
noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem
Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour Francois,
et on Vous coupera la gorge sans pitie
; hiess es.
Fort bien, sagte ich; ou plautot bien fort. Was war zu
thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto mei¬
nen Besuch, liess meinen Knotenstock von dem Sa¬
kristan zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, be¬
guckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen
Beichtstühle, liess mir für einige Paolo ein halbes Du¬
tzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige
gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu
beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen
getrost der Tiber zu. Freylich gab es auch hier kei¬
nen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen
Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der
Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denk¬


Wider meine Absicht bin ich nun hier in Rom.
Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans
Gewissen, daſs es Tollkühnheit gewesen wäre, von
dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und
Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Be¬
schreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause
betete man schon im voraus bey meiner anscheinen¬
den Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele.
Vous avés bien l'air d'être un peu François; et tout
François est perdû sans ressource en Abruzzo. Ce sont
des sauvages sans entrailles
; sagte man mir. Das
klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich denke
noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem
Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour François,
et on Vous coupera la gorge sans pitié
; hieſs es.
Fort bien, sagte ich; ou plûtot bien fort. Was war zu
thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto mei¬
nen Besuch, lieſs meinen Knotenstock von dem Sa¬
kristan zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, be¬
guckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen
Beichtstühle, lieſs mir für einige Paolo ein halbes Du¬
tzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige
gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu
beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen
getrost der Tiber zu. Freylich gab es auch hier kei¬
nen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen
Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der
Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denk¬

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[[135]/0161] Rom, den 2ten März. Wider meine Absicht bin ich nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans Gewissen, daſs es Tollkühnheit gewesen wäre, von dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Be¬ schreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus bey meiner anscheinen¬ den Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele. Vous avés bien l'air d'être un peu François; et tout François est perdû sans ressource en Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles; sagte man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour François, et on Vous coupera la gorge sans pitié; hieſs es. Fort bien, sagte ich; ou plûtot bien fort. Was war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto mei¬ nen Besuch, lieſs meinen Knotenstock von dem Sa¬ kristan zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, be¬ guckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen Beichtstühle, lieſs mir für einige Paolo ein halbes Du¬ tzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der Tiber zu. Freylich gab es auch hier kei¬ nen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denk¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [135]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/161>, abgerufen am 28.03.2024.