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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der
Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.

Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich
die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hin¬
ab, durch die schönen Thäler weiter und immer
nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herr¬
liche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Re¬
canati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine
solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata
und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre
Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte
mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich
polizeymässig die Freyheit meinen Pass zu beschauen.
Der Mann war übrigens recht höflich und artig und
schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Tho¬
re, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde,
dass mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken
Glauben durch ihre Gutmüthigkeit ausserordentlich
werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von
Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus
dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbar¬
schaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Ge¬
wohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück
ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste
beste Wirthshaus an der Strasse zu halten. Die Ge¬
gend war paradisisch links und rechts; aber zu essen
fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links
nach Abruzzo ab, und ich gerieth in grosse Versuchung
mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen.
Bloss mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück.

diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der
Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.

Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich
die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hin¬
ab, durch die schönen Thäler weiter und immer
nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herr¬
liche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Re¬
canati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine
solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata
und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre
Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte
mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich
polizeymäſsig die Freyheit meinen Paſs zu beschauen.
Der Mann war übrigens recht höflich und artig und
schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Tho¬
re, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde,
daſs mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken
Glauben durch ihre Gutmüthigkeit auſserordentlich
werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von
Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus
dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbar¬
schaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Ge¬
wohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück
ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste
beste Wirthshaus an der Straſse zu halten. Die Ge¬
gend war paradisisch links und rechts; aber zu essen
fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links
nach Abruzzo ab, und ich gerieth in groſse Versuchung
mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen.
Bloſs mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück.

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[138/0164] diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist. Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hin¬ ab, durch die schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herr¬ liche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Re¬ canati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymäſsig die Freyheit meinen Paſs zu beschauen. Der Mann war übrigens recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Tho¬ re, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde, daſs mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit auſserordentlich werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbar¬ schaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Ge¬ wohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste Wirthshaus an der Straſse zu halten. Die Ge¬ gend war paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, und ich gerieth in groſse Versuchung mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen. Bloſs mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück.

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/164>, abgerufen am 29.03.2024.