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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Aeusserungen etwas lieb gewonnen und vermuthlich
die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben
hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er
mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte mich
wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend
mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich
däucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten,
sie hätten mich dem Minister zum Trotz einstimmig
zu ihrem Deputierten im Parlament gemacht; so sehr
bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen: und ich kann
Dir nicht läugnen, es däuchte mir mit völligem
Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in War¬
schau die alte kommandierende Excellenz unter den
Arm fasste, in dem Zimmer herum führte und mir
in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins
Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige
sehr artige junge Leute, die mich weiter herum be¬
gleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten,
die für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit
der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht
hatten. Der einzige Beweis, dass die Leute doch
noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist,
dass sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude
ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie.
Doch daran bin ich schon gewohnt; man braucht
nicht über den Liris zu gehen, um so ausschweifende
Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An
der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht
man noch die Substruktionen einer alten Brücke, und
nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserlei¬
tung. Der Fluss selbst, der nicht sehr breit ist, muss

Aeuſserungen etwas lieb gewonnen und vermuthlich
die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben
hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er
mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte mich
wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend
mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich
däucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten,
sie hätten mich dem Minister zum Trotz einstimmig
zu ihrem Deputierten im Parlament gemacht; so sehr
bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen: und ich kann
Dir nicht läugnen, es däuchte mir mit völligem
Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in War¬
schau die alte kommandierende Excellenz unter den
Arm faſste, in dem Zimmer herum führte und mir
in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins
Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige
sehr artige junge Leute, die mich weiter herum be¬
gleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten,
die für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit
der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht
hatten. Der einzige Beweis, daſs die Leute doch
noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist,
daſs sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude
ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie.
Doch daran bin ich schon gewohnt; man braucht
nicht über den Liris zu gehen, um so ausschweifende
Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An
der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht
man noch die Substruktionen einer alten Brücke, und
nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserlei¬
tung. Der Fluſs selbst, der nicht sehr breit ist, muſs

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[180/0206] Aeuſserungen etwas lieb gewonnen und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich däucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im Parlament gemacht; so sehr bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen: und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in War¬ schau die alte kommandierende Excellenz unter den Arm faſste, in dem Zimmer herum führte und mir in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die mich weiter herum be¬ gleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten, die für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, daſs die Leute doch noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, daſs sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon gewohnt; man braucht nicht über den Liris zu gehen, um so ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserlei¬ tung. Der Fluſs selbst, der nicht sehr breit ist, muſs

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/206>, abgerufen am 28.03.2024.