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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der ver¬
schlossenen Stelle vergessen hatte und es unbescheiden
gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit noch ein¬
mahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen.
Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht,
geht der Schall oben an dem Bogen hin und man
hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt hat
man den Ort desswegen verschlossen, weil man auf
diese Weise die Beichtenden belauschte. Der alte
Taufstein, der die Geschichte des Hypolitus hält, ist
aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug, und
ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, dass Dor¬
ville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus ausser¬
ordentlich richtig gezeichnet hat.

Canella gab mir einen Brief an den Marchese
Frangipani in Alikata. Mein Mauleseltreiber kam be¬
ständig und machte den Bedienten und Cicerone. Jo
saggio tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie,

sagte er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider
welche sich eben so wenig einwenden liess, als wider
die Infallibilität des Papstes. Da ich das meiste was
ich sehen wollte schon ziemlich kannte, hatte ich wei¬
ter nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein
Bursche von ungefähr neunzehn Jahren war. Ich hatte
das ganze Wesen der alten Stadt schon aus den Fen¬
stern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den
folgenden Morgen mein Morgenbrot in die Tasche und
ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten der
alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über
die Vergänglichkeit aller weltlichen Grösse helfen? Ich
sah da die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters¬

nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der ver¬
schlossenen Stelle vergessen hatte und es unbescheiden
gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit noch ein¬
mahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen.
Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht,
geht der Schall oben an dem Bogen hin und man
hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt hat
man den Ort deſswegen verschlossen, weil man auf
diese Weise die Beichtenden belauschte. Der alte
Taufstein, der die Geschichte des Hypolitus hält, ist
aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug, und
ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, daſs Dor¬
ville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus auſser¬
ordentlich richtig gezeichnet hat.

Canella gab mir einen Brief an den Marchese
Frangipani in Alikata. Mein Mauleseltreiber kam be¬
ständig und machte den Bedienten und Cicerone. Jo
saggio tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie,

sagte er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider
welche sich eben so wenig einwenden lieſs, als wider
die Infallibilität des Papstes. Da ich das meiste was
ich sehen wollte schon ziemlich kannte, hatte ich wei¬
ter nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein
Bursche von ungefähr neunzehn Jahren war. Ich hatte
das ganze Wesen der alten Stadt schon aus den Fen¬
stern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den
folgenden Morgen mein Morgenbrot in die Tasche und
ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten der
alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über
die Vergänglichkeit aller weltlichen Gröſse helfen? Ich
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[216/0242] nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der ver¬ schlossenen Stelle vergessen hatte und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit noch ein¬ mahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen. Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der Schall oben an dem Bogen hin und man hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort deſswegen verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug, und ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, daſs Dor¬ ville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus auſser¬ ordentlich richtig gezeichnet hat. Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in Alikata. Mein Mauleseltreiber kam be¬ ständig und machte den Bedienten und Cicerone. Jo saggio tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie, sagte er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich eben so wenig einwenden lieſs, als wider die Infallibilität des Papstes. Da ich das meiste was ich sehen wollte schon ziemlich kannte, hatte ich wei¬ ter nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten Stadt schon aus den Fen¬ stern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die Tasche und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die Vergänglichkeit aller weltlichen Gröſse helfen? Ich sah da die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/242>, abgerufen am 28.03.2024.