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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger
Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten
uns herein gebracht. Nun machte ich in drey Minu¬
ten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone
und wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoli¬
veto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand.
Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar kein Freund
von Veränderung. Mein alter Genuese war bey einem
andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag kei¬
nen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte,
dass ich viel zu Fusse herum lief und laufen wollte,
ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als ge¬
wöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Be¬
quemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anek¬
doten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen;
dann wollte ich keinen haben.

Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe
auf nach Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegwei¬
sern, und ich wurde gleich beym Eingange in Beschlag
genommen. Ich liess mir gern gefallen mich in dem
Meerbusen von Bajä herum zu rudern und da die al¬
ten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus an¬
dern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschrei¬
bung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des
Serapistempels anatomierte, wir würden desswegen in
unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich
aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll,
weiss ich nicht: die Meinung der Antiquare, dass es


Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger
Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten
uns herein gebracht. Nun machte ich in drey Minu¬
ten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone
und wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoli¬
veto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand.
Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar kein Freund
von Veränderung. Mein alter Genuese war bey einem
andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag kei¬
nen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte,
daſs ich viel zu Fuſse herum lief und laufen wollte,
ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als ge¬
wöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Be¬
quemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anek¬
doten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen;
dann wollte ich keinen haben.

Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe
auf nach Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegwei¬
sern, und ich wurde gleich beym Eingange in Beschlag
genommen. Ich lieſs mir gern gefallen mich in dem
Meerbusen von Bajä herum zu rudern und da die al¬
ten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus an¬
dern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschrei¬
bung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des
Serapistempels anatomierte, wir würden deſswegen in
unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich
aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll,
weiſs ich nicht: die Meinung der Antiquare, daſs es

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[[332]/0358] Neapel. Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten uns herein gebracht. Nun machte ich in drey Minu¬ ten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoli¬ veto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein alter Genuese war bey einem andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag kei¬ nen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte, daſs ich viel zu Fuſse herum lief und laufen wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als ge¬ wöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Be¬ quemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anek¬ doten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte ich keinen haben. Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegwei¬ sern, und ich wurde gleich beym Eingange in Beschlag genommen. Ich lieſs mir gern gefallen mich in dem Meerbusen von Bajä herum zu rudern und da die al¬ ten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus an¬ dern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschrei¬ bung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels anatomierte, wir würden deſswegen in unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll, weiſs ich nicht: die Meinung der Antiquare, daſs es

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [332]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/358>, abgerufen am 28.03.2024.