Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die un¬
billige Forderung, dass alle Richter als Richter sie ha¬
ben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem
eigenen Rechte: und nun frage ich Dich, ob ein Rich¬
ter dabey etwas zu thun hat? Nur die Partheyen
können und sollen billig seyn. Bey billigen Richtern
wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen
Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirths¬
hause nieder, und legte das Resultat derselben in mein
Taschenbuch über die Billigkeit.

Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn:
Für ihn ist das Gesetz von Eisen,
Und seine Pflichten sind von Stein,
Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen.
Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand
Dem Bruder für die kleine Spende,
Und schlinge freundlicher das Band,
Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände.
Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit
Der göttergleichen Heldentugend,
Die sich der Welt zum Opfer weiht;
Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.
Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,
Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;
Doch Milde nur und Güte bringt
Ins leere Haus den Harrenden die Freude.

auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die un¬
billige Forderung, daſs alle Richter als Richter sie ha¬
ben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem
eigenen Rechte: und nun frage ich Dich, ob ein Rich¬
ter dabey etwas zu thun hat? Nur die Partheyen
können und sollen billig seyn. Bey billigen Richtern
wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen
Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirths¬
hause nieder, und legte das Resultat derselben in mein
Taschenbuch über die Billigkeit.

Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn:
Für ihn ist das Gesetz von Eisen,
Und seine Pflichten sind von Stein,
Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen.
Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand
Dem Bruder für die kleine Spende,
Und schlinge freundlicher das Band,
Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände.
Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit
Der göttergleichen Heldentugend,
Die sich der Welt zum Opfer weiht;
Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.
Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,
Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;
Doch Milde nur und Güte bringt
Ins leere Haus den Harrenden die Freude.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0078" n="52"/>
auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die un¬<lb/>
billige Forderung, da&#x017F;s alle Richter als Richter sie ha¬<lb/>
ben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem<lb/>
eigenen Rechte: und nun frage ich Dich, ob ein Rich¬<lb/>
ter dabey etwas zu thun hat? Nur die Partheyen<lb/>
können und sollen billig seyn. Bey billigen Richtern<lb/>
wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen<lb/>
Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirths¬<lb/>
hause nieder, und legte das Resultat derselben in mein<lb/>
Taschenbuch über die Billigkeit.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l rendition="#et">Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn:</l><lb/>
            <l>Für ihn ist das Gesetz von Eisen,</l><lb/>
            <l>Und seine Pflichten sind von Stein,</l><lb/>
            <l>Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="2">
            <l rendition="#et">Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand</l><lb/>
            <l>Dem Bruder für die kleine Spende,</l><lb/>
            <l>Und schlinge freundlicher das Band,</l><lb/>
            <l>Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l rendition="#et">Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit</l><lb/>
            <l>Der göttergleichen Heldentugend,</l><lb/>
            <l>Die sich der Welt zum Opfer weiht;</l><lb/>
            <l>Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="4">
            <l rendition="#et">Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,</l><lb/>
            <l>Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;</l><lb/>
            <l>Doch Milde nur und Güte bringt</l><lb/>
            <l>Ins leere Haus den Harrenden die Freude.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0078] auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die un¬ billige Forderung, daſs alle Richter als Richter sie ha¬ ben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem eigenen Rechte: und nun frage ich Dich, ob ein Rich¬ ter dabey etwas zu thun hat? Nur die Partheyen können und sollen billig seyn. Bey billigen Richtern wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirths¬ hause nieder, und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch über die Billigkeit. Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn: Für ihn ist das Gesetz von Eisen, Und seine Pflichten sind von Stein, Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen. Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand Dem Bruder für die kleine Spende, Und schlinge freundlicher das Band, Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände. Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit Der göttergleichen Heldentugend, Die sich der Welt zum Opfer weiht; Der erste Blick von unsrer Geistesjugend. Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt, Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude; Doch Milde nur und Güte bringt Ins leere Haus den Harrenden die Freude.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/78
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/78>, abgerufen am 19.04.2024.