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Siegmeyer, Johann Gottlieb: Theorie der Tonsetzkunst. Berlin, 1822.

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dung eine Menge Kunststücke entstanden, die in frühern Zeiten jeder wissen mußte, der
irgend einen Anspruch auf Versorgung oder Ehre machen wollte. Jetzt sieht man weni-
ger darauf, weil dergleichen Musikstücke nur noch selten vorkommen und man ihnen we-
nig Geschmack abgewinnen kann. Daß sie aber mit Nutzen angewendet werden können
hat Mozart in Belmonte und Constanze und Kunze im Fest der Winzer hinlänglich dar-
gethan. Da uns nun der Canon noch Vergnügen gewähren kann wenn er gut ist, so
ist es auch nöthig, ihn, wenn auch nur kurz, doch aber mit zu erklären.

Der Canon ist ein Wechselgesang von wenigstens zwei Stimmen, in welchen eine
den Satz der andern wiederholen kann.

a) Von den verschiedenenen Arten des Canons.

Er wird in zwei Arten eingetheilt und zwar, in den offenen oder aufgelößten
und in den geschloßenen.

Ein offener ist derjenige, wo man sowohl den Satz der Hauptstimme als auch
den der Folgestimme über einander (in Partitur) aufschreibt. Der geschloßene aber
ist ein solcher, wenn man nur den Satz der Hauptstimme niederschreibt und die
Sätze der andern Stimmen suchen oder errathen läßt. Der letzte wird daher auch Räth-
sel-Canon
genannt. Unter die zwei Arten gehören alle nachstehende Gattungen.

1. Der Canon im Einklange
2. Der Canon in der Octave
mit verschiedenen Sätzen und Gliedern.
3. Der Canon im Einklange in der Secunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte und
Septime mit einem Satze.
4. Der Cirkel Canon durch die Töne.
5. Der vergrößerte und verkleinerte Canon.
6. Der rückgängige Canon.
7. Der doppelte Canon.
8. Der Canon, der durch den Zusatz einer Terz drei und vierstimmig gemacht
werden kann.
9. Der Canon über oder unter einen festen Gesang.
10. Der Canon mit einer Begleitungsstimme.

Da die vorzüglichste Eigenschaft eines Canons immer nur in der Nachahmung
besteht, und diese theils in Ansehung der Intervalle in welcher die Folgestimme anfan-
gen kann, theils in Ansehung des Tacttheils, der Bewegung, der Größe der Noten etc.
verschieden sind, so giebt es auch verschiedene Arten und Gattungen desselben.

Da ferner ein Canon nicht allein aus zwei, sondern aus drei, vier und meh-
rern Stimmen
bestehen kann, so giebt es auch zwei, drei, vier und mehrstim-
mige
.


dung eine Menge Kunſtſtuͤcke entſtanden, die in fruͤhern Zeiten jeder wiſſen mußte, der
irgend einen Anſpruch auf Verſorgung oder Ehre machen wollte. Jetzt ſieht man weni-
ger darauf, weil dergleichen Muſikſtuͤcke nur noch ſelten vorkommen und man ihnen we-
nig Geſchmack abgewinnen kann. Daß ſie aber mit Nutzen angewendet werden koͤnnen
hat Mozart in Belmonte und Conſtanze und Kunze im Feſt der Winzer hinlaͤnglich dar-
gethan. Da uns nun der Canon noch Vergnuͤgen gewaͤhren kann wenn er gut iſt, ſo
iſt es auch noͤthig, ihn, wenn auch nur kurz, doch aber mit zu erklaͤren.

Der Canon iſt ein Wechſelgeſang von wenigſtens zwei Stimmen, in welchen eine
den Satz der andern wiederholen kann.

a) Von den verſchiedenenen Arten des Canons.

Er wird in zwei Arten eingetheilt und zwar, in den offenen oder aufgeloͤßten
und in den geſchloßenen.

Ein offener iſt derjenige, wo man ſowohl den Satz der Hauptſtimme als auch
den der Folgeſtimme uͤber einander (in Partitur) aufſchreibt. Der geſchloßene aber
iſt ein ſolcher, wenn man nur den Satz der Hauptſtimme niederſchreibt und die
Saͤtze der andern Stimmen ſuchen oder errathen laͤßt. Der letzte wird daher auch Raͤth-
ſel-Canon
genannt. Unter die zwei Arten gehoͤren alle nachſtehende Gattungen.

1. Der Canon im Einklange
2. Der Canon in der Octave
mit verſchiedenen Saͤtzen und Gliedern.
3. Der Canon im Einklange in der Secunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte und
Septime mit einem Satze.
4. Der Cirkel Canon durch die Toͤne.
5. Der vergroͤßerte und verkleinerte Canon.
6. Der ruͤckgaͤngige Canon.
7. Der doppelte Canon.
8. Der Canon, der durch den Zuſatz einer Terz drei und vierſtimmig gemacht
werden kann.
9. Der Canon uͤber oder unter einen feſten Geſang.
10. Der Canon mit einer Begleitungsſtimme.

Da die vorzuͤglichſte Eigenſchaft eines Canons immer nur in der Nachahmung
beſteht, und dieſe theils in Anſehung der Intervalle in welcher die Folgeſtimme anfan-
gen kann, theils in Anſehung des Tacttheils, der Bewegung, der Groͤße der Noten ꝛc.
verſchieden ſind, ſo giebt es auch verſchiedene Arten und Gattungen deſſelben.

Da ferner ein Canon nicht allein aus zwei, ſondern aus drei, vier und meh-
rern Stimmen
beſtehen kann, ſo giebt es auch zwei, drei, vier und mehrſtim-
mige
.


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[237/0255] dung eine Menge Kunſtſtuͤcke entſtanden, die in fruͤhern Zeiten jeder wiſſen mußte, der irgend einen Anſpruch auf Verſorgung oder Ehre machen wollte. Jetzt ſieht man weni- ger darauf, weil dergleichen Muſikſtuͤcke nur noch ſelten vorkommen und man ihnen we- nig Geſchmack abgewinnen kann. Daß ſie aber mit Nutzen angewendet werden koͤnnen hat Mozart in Belmonte und Conſtanze und Kunze im Feſt der Winzer hinlaͤnglich dar- gethan. Da uns nun der Canon noch Vergnuͤgen gewaͤhren kann wenn er gut iſt, ſo iſt es auch noͤthig, ihn, wenn auch nur kurz, doch aber mit zu erklaͤren. Der Canon iſt ein Wechſelgeſang von wenigſtens zwei Stimmen, in welchen eine den Satz der andern wiederholen kann. a) Von den verſchiedenenen Arten des Canons. Er wird in zwei Arten eingetheilt und zwar, in den offenen oder aufgeloͤßten und in den geſchloßenen. Ein offener iſt derjenige, wo man ſowohl den Satz der Hauptſtimme als auch den der Folgeſtimme uͤber einander (in Partitur) aufſchreibt. Der geſchloßene aber iſt ein ſolcher, wenn man nur den Satz der Hauptſtimme niederſchreibt und die Saͤtze der andern Stimmen ſuchen oder errathen laͤßt. Der letzte wird daher auch Raͤth- ſel-Canon genannt. Unter die zwei Arten gehoͤren alle nachſtehende Gattungen. 1. Der Canon im Einklange 2. Der Canon in der Octave mit verſchiedenen Saͤtzen und Gliedern. 3. Der Canon im Einklange in der Secunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte und Septime mit einem Satze. 4. Der Cirkel Canon durch die Toͤne. 5. Der vergroͤßerte und verkleinerte Canon. 6. Der ruͤckgaͤngige Canon. 7. Der doppelte Canon. 8. Der Canon, der durch den Zuſatz einer Terz drei und vierſtimmig gemacht werden kann. 9. Der Canon uͤber oder unter einen feſten Geſang. 10. Der Canon mit einer Begleitungsſtimme. Da die vorzuͤglichſte Eigenſchaft eines Canons immer nur in der Nachahmung beſteht, und dieſe theils in Anſehung der Intervalle in welcher die Folgeſtimme anfan- gen kann, theils in Anſehung des Tacttheils, der Bewegung, der Groͤße der Noten ꝛc. verſchieden ſind, ſo giebt es auch verſchiedene Arten und Gattungen deſſelben. Da ferner ein Canon nicht allein aus zwei, ſondern aus drei, vier und meh- rern Stimmen beſtehen kann, ſo giebt es auch zwei, drei, vier und mehrſtim- mige.

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Zitationshilfe: Siegmeyer, Johann Gottlieb: Theorie der Tonsetzkunst. Berlin, 1822, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegmeyer_tonsetzkunst_1822/255>, abgerufen am 19.04.2024.