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Siegmeyer, Johann Gottlieb: Theorie der Tonsetzkunst. Berlin, 1822.

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Treten die Folgestimmen nach Vorschrift einer einzigen Hauptstimme nach-
einander ein, so wird ein solcher Canon ein einfacher genannt. Treten die Folge-
stimmen nach Vorschrift zweier Hauptstimmen ein, so nennt man ihn einen dop-
pelten Canon.

Giebt es drei Hauptstimmen, so erhält er den Namen eines dreifachen etc.

Wenn mehr als eine Hauptstimme vorhanden ist, so versteht es sich von selbst, daß
man sie alle in verschiedenen Systemen über oder untereinander aussetzen muß.

Die canonische Nachahmung kann mit allen Intervallen einer Tonart geschehen,
daraus entstehen 8 Haupt-Gattungen, als:

der Canon im Einklange, in der Ober und Unter-Secunde, Ober und
Unter-Terz, Ober und Unter-Quarte, Ober und Unter-Quinte, Ober
und Unter-Sexte, Ober und Unter-Septime, Ober und Unter-Octave.

Ein Canon ist entweder so beschaffen, daß er vermittelst eines Anhanges zum
Schluße gebracht wird, oder ohne Ende ausgeübt werden kann. Da bei einem Ca-
non der letztern Art die Stimmen immer wieder nacheinander in den Anfang eintreten,
folglich wie im Kreise oder Zirkel zusammenlaufen (weshalb ein solcher Canon auch ein
Zirkel-Canon genannt wird) so sieht man leicht ein, daß er ohne Ende ist.

Bei einem Zirkel Canon kann man, wenn die Stimme wieder in den Anfang ein-
tritt, entweder mit eben und denselben Intervallen, oder mit andern, entweder eine Se-
cunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte oder Septime tiefer oder höher anfangen, und
da derselbe alle 12 halbe Töne seiner Tonart durchläuft, so wird er auch ein Zirkel-
Canon durch die Töne
, oder canon circularis per tonos, genannt.

Man pflegt die Canons auch in eigentliche oder gebundene, und in unei-
gentliche
oder ungebundene einzutheilen. Ein eigentlicher oder gebundener ist der-
jenige, wo die Folgestimme der vorhergehenden alles auf ähnliche Art
nachahmt
; ein uneigentlicher aber ist ein solcher, worinnen dies nicht geschieht, wo
z. B. die Folgestimme die Quarte in die Quinte, oder die Quinte in die Quarte verän-
dert, so wie es mit den Gefährten in der Fuge geschieht. Gewißermaßen gehören alle
endliche Canons zu den uneigentlichen oder ungebundenen. Ahmt die Folgestimme den
Satz der vorhergehenden vergrößert oder vermindert nach, so heißt ein solcher
Canon im ersten Falle ein Canon per augmentationem, im zweiten Falle ein
canon per diminutionem.

Wenn in einem Canon die Folgestimme die vorhergehende in einer unähnlichen
Bewegung
, als: in der verkehrten, rückgängigen oder in der rückgängigen Gegenbe-
wegung nachahmt, so nennt man ihn einen Canon in der widrigen, rückgän-
gigen
oder rückgängig verkehrten Bewegung.

Es war sonst, und ist auch noch Gebrauch, daß man über einen zum Grunde

Treten die Folgeſtimmen nach Vorſchrift einer einzigen Hauptſtimme nach-
einander ein, ſo wird ein ſolcher Canon ein einfacher genannt. Treten die Folge-
ſtimmen nach Vorſchrift zweier Hauptſtimmen ein, ſo nennt man ihn einen dop-
pelten Canon.

Giebt es drei Hauptſtimmen, ſo erhaͤlt er den Namen eines dreifachen ꝛc.

Wenn mehr als eine Hauptſtimme vorhanden iſt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß
man ſie alle in verſchiedenen Syſtemen uͤber oder untereinander ausſetzen muß.

Die canoniſche Nachahmung kann mit allen Intervallen einer Tonart geſchehen,
daraus entſtehen 8 Haupt-Gattungen, als:

der Canon im Einklange, in der Ober und Unter-Secunde, Ober und
Unter-Terz, Ober und Unter-Quarte, Ober und Unter-Quinte, Ober
und Unter-Sexte, Ober und Unter-Septime, Ober und Unter-Octave.

Ein Canon iſt entweder ſo beſchaffen, daß er vermittelſt eines Anhanges zum
Schluße gebracht wird, oder ohne Ende ausgeuͤbt werden kann. Da bei einem Ca-
non der letztern Art die Stimmen immer wieder nacheinander in den Anfang eintreten,
folglich wie im Kreiſe oder Zirkel zuſammenlaufen (weshalb ein ſolcher Canon auch ein
Zirkel-Canon genannt wird) ſo ſieht man leicht ein, daß er ohne Ende iſt.

Bei einem Zirkel Canon kann man, wenn die Stimme wieder in den Anfang ein-
tritt, entweder mit eben und denſelben Intervallen, oder mit andern, entweder eine Se-
cunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte oder Septime tiefer oder hoͤher anfangen, und
da derſelbe alle 12 halbe Toͤne ſeiner Tonart durchlaͤuft, ſo wird er auch ein Zirkel-
Canon durch die Toͤne
, oder canon circularis per tonos, genannt.

Man pflegt die Canons auch in eigentliche oder gebundene, und in unei-
gentliche
oder ungebundene einzutheilen. Ein eigentlicher oder gebundener iſt der-
jenige, wo die Folgeſtimme der vorhergehenden alles auf aͤhnliche Art
nachahmt
; ein uneigentlicher aber iſt ein ſolcher, worinnen dies nicht geſchieht, wo
z. B. die Folgeſtimme die Quarte in die Quinte, oder die Quinte in die Quarte veraͤn-
dert, ſo wie es mit den Gefaͤhrten in der Fuge geſchieht. Gewißermaßen gehoͤren alle
endliche Canons zu den uneigentlichen oder ungebundenen. Ahmt die Folgeſtimme den
Satz der vorhergehenden vergroͤßert oder vermindert nach, ſo heißt ein ſolcher
Canon im erſten Falle ein Canon per augmentationem, im zweiten Falle ein
canon per diminutionem.

Wenn in einem Canon die Folgeſtimme die vorhergehende in einer unaͤhnlichen
Bewegung
, als: in der verkehrten, ruͤckgaͤngigen oder in der ruͤckgaͤngigen Gegenbe-
wegung nachahmt, ſo nennt man ihn einen Canon in der widrigen, ruͤckgaͤn-
gigen
oder ruͤckgaͤngig verkehrten Bewegung.

Es war ſonſt, und iſt auch noch Gebrauch, daß man uͤber einen zum Grunde

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[238/0256] Treten die Folgeſtimmen nach Vorſchrift einer einzigen Hauptſtimme nach- einander ein, ſo wird ein ſolcher Canon ein einfacher genannt. Treten die Folge- ſtimmen nach Vorſchrift zweier Hauptſtimmen ein, ſo nennt man ihn einen dop- pelten Canon. Giebt es drei Hauptſtimmen, ſo erhaͤlt er den Namen eines dreifachen ꝛc. Wenn mehr als eine Hauptſtimme vorhanden iſt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß man ſie alle in verſchiedenen Syſtemen uͤber oder untereinander ausſetzen muß. Die canoniſche Nachahmung kann mit allen Intervallen einer Tonart geſchehen, daraus entſtehen 8 Haupt-Gattungen, als: der Canon im Einklange, in der Ober und Unter-Secunde, Ober und Unter-Terz, Ober und Unter-Quarte, Ober und Unter-Quinte, Ober und Unter-Sexte, Ober und Unter-Septime, Ober und Unter-Octave. Ein Canon iſt entweder ſo beſchaffen, daß er vermittelſt eines Anhanges zum Schluße gebracht wird, oder ohne Ende ausgeuͤbt werden kann. Da bei einem Ca- non der letztern Art die Stimmen immer wieder nacheinander in den Anfang eintreten, folglich wie im Kreiſe oder Zirkel zuſammenlaufen (weshalb ein ſolcher Canon auch ein Zirkel-Canon genannt wird) ſo ſieht man leicht ein, daß er ohne Ende iſt. Bei einem Zirkel Canon kann man, wenn die Stimme wieder in den Anfang ein- tritt, entweder mit eben und denſelben Intervallen, oder mit andern, entweder eine Se- cunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte oder Septime tiefer oder hoͤher anfangen, und da derſelbe alle 12 halbe Toͤne ſeiner Tonart durchlaͤuft, ſo wird er auch ein Zirkel- Canon durch die Toͤne, oder canon circularis per tonos, genannt. Man pflegt die Canons auch in eigentliche oder gebundene, und in unei- gentliche oder ungebundene einzutheilen. Ein eigentlicher oder gebundener iſt der- jenige, wo die Folgeſtimme der vorhergehenden alles auf aͤhnliche Art nachahmt; ein uneigentlicher aber iſt ein ſolcher, worinnen dies nicht geſchieht, wo z. B. die Folgeſtimme die Quarte in die Quinte, oder die Quinte in die Quarte veraͤn- dert, ſo wie es mit den Gefaͤhrten in der Fuge geſchieht. Gewißermaßen gehoͤren alle endliche Canons zu den uneigentlichen oder ungebundenen. Ahmt die Folgeſtimme den Satz der vorhergehenden vergroͤßert oder vermindert nach, ſo heißt ein ſolcher Canon im erſten Falle ein Canon per augmentationem, im zweiten Falle ein canon per diminutionem. Wenn in einem Canon die Folgeſtimme die vorhergehende in einer unaͤhnlichen Bewegung, als: in der verkehrten, ruͤckgaͤngigen oder in der ruͤckgaͤngigen Gegenbe- wegung nachahmt, ſo nennt man ihn einen Canon in der widrigen, ruͤckgaͤn- gigen oder ruͤckgaͤngig verkehrten Bewegung. Es war ſonſt, und iſt auch noch Gebrauch, daß man uͤber einen zum Grunde

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Zitationshilfe: Siegmeyer, Johann Gottlieb: Theorie der Tonsetzkunst. Berlin, 1822, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegmeyer_tonsetzkunst_1822/256>, abgerufen am 19.04.2024.