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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
als trüge der Vogel große, weite Schifferhosen. Von
den bleyfarbenen Zähen stehen 3 vorwärts und der 4te
kürzere hinten hinaus. Will man ihn greifen, so fängt
er ein sehr durchdringendes, zitterndes, lautes, zwit-
scherndes Geschrey an und holt dabey sehr stark Othem.
Er trinkt niemals, verschlingt mit ungemeiner Begierde
Knochen und große Stücke Fleisch. Haare, Federn u.
dgl. m. speyet er den nächsten Tag in Gestalt von Ku-
geln wieder aus, seine Excremente sind dünn, weiß und
fliegen sprützend von ihm.

Der zweyte merkwürdige Vogel ist der Berkut
(Falco Fulvus mong. Bürgut) den ich hier weiter nicht
beschreibe, weil er bekannt genug ist. Dieser und der
Falco Palumbarius (Jastreb oder Sperber) werden
hier zur Jagd abgerichtet. Uebrigens läßt sich hin und
wieder in diesen Wildnissen zuweilen ein Singvogel hö-
ren, die mir aber, weil ich sie nicht zu sehen bekam, un-
bekannt sind: wenigstens halfen sie mir meinen Aufent-
halt angenehm zu machen. Die Mongolen erzählen
viel von einem besondern auf den höchsten Felsen woh-
nenden Thier, Sarrick-tekkä, welches die Größe einer
Wiesel und keinen Schwanz haben soll. Die Mongo-
len verehren es, und schießen es daher nicht. Sie be-
dienen sich seiner Excremente, die man Klumpenweise,
einem schwarzen Harz ähnlich findet als eines allgemei-
nen Medicaments, welches in der thibetischen Sprache
Barruckschen heißt. Die Thierchen werfen ihren Un-
rath gewöhnlich auf unzugänglichen hohen Felsen, auf

einen

Sievers Briefe
als truͤge der Vogel große, weite Schifferhoſen. Von
den bleyfarbenen Zaͤhen ſtehen 3 vorwaͤrts und der 4te
kuͤrzere hinten hinaus. Will man ihn greifen, ſo faͤngt
er ein ſehr durchdringendes, zitterndes, lautes, zwit-
ſcherndes Geſchrey an und holt dabey ſehr ſtark Othem.
Er trinkt niemals, verſchlingt mit ungemeiner Begierde
Knochen und große Stuͤcke Fleiſch. Haare, Federn u.
dgl. m. ſpeyet er den naͤchſten Tag in Geſtalt von Ku-
geln wieder aus, ſeine Excremente ſind duͤnn, weiß und
fliegen ſpruͤtzend von ihm.

Der zweyte merkwuͤrdige Vogel iſt der Berkut
(Falco Fulvus mong. Buͤrgut) den ich hier weiter nicht
beſchreibe, weil er bekannt genug iſt. Dieſer und der
Falco Palumbarius (Jaſtreb oder Sperber) werden
hier zur Jagd abgerichtet. Uebrigens laͤßt ſich hin und
wieder in dieſen Wildniſſen zuweilen ein Singvogel hoͤ-
ren, die mir aber, weil ich ſie nicht zu ſehen bekam, un-
bekannt ſind: wenigſtens halfen ſie mir meinen Aufent-
halt angenehm zu machen. Die Mongolen erzaͤhlen
viel von einem beſondern auf den hoͤchſten Felſen woh-
nenden Thier, Sarrick-tekkaͤ, welches die Groͤße einer
Wieſel und keinen Schwanz haben ſoll. Die Mongo-
len verehren es, und ſchießen es daher nicht. Sie be-
dienen ſich ſeiner Excremente, die man Klumpenweiſe,
einem ſchwarzen Harz aͤhnlich findet als eines allgemei-
nen Medicaments, welches in der thibetiſchen Sprache
Barruckſchen heißt. Die Thierchen werfen ihren Un-
rath gewoͤhnlich auf unzugaͤnglichen hohen Felſen, auf

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[72/0080] Sievers Briefe als truͤge der Vogel große, weite Schifferhoſen. Von den bleyfarbenen Zaͤhen ſtehen 3 vorwaͤrts und der 4te kuͤrzere hinten hinaus. Will man ihn greifen, ſo faͤngt er ein ſehr durchdringendes, zitterndes, lautes, zwit- ſcherndes Geſchrey an und holt dabey ſehr ſtark Othem. Er trinkt niemals, verſchlingt mit ungemeiner Begierde Knochen und große Stuͤcke Fleiſch. Haare, Federn u. dgl. m. ſpeyet er den naͤchſten Tag in Geſtalt von Ku- geln wieder aus, ſeine Excremente ſind duͤnn, weiß und fliegen ſpruͤtzend von ihm. Der zweyte merkwuͤrdige Vogel iſt der Berkut (Falco Fulvus mong. Buͤrgut) den ich hier weiter nicht beſchreibe, weil er bekannt genug iſt. Dieſer und der Falco Palumbarius (Jaſtreb oder Sperber) werden hier zur Jagd abgerichtet. Uebrigens laͤßt ſich hin und wieder in dieſen Wildniſſen zuweilen ein Singvogel hoͤ- ren, die mir aber, weil ich ſie nicht zu ſehen bekam, un- bekannt ſind: wenigſtens halfen ſie mir meinen Aufent- halt angenehm zu machen. Die Mongolen erzaͤhlen viel von einem beſondern auf den hoͤchſten Felſen woh- nenden Thier, Sarrick-tekkaͤ, welches die Groͤße einer Wieſel und keinen Schwanz haben ſoll. Die Mongo- len verehren es, und ſchießen es daher nicht. Sie be- dienen ſich ſeiner Excremente, die man Klumpenweiſe, einem ſchwarzen Harz aͤhnlich findet als eines allgemei- nen Medicaments, welches in der thibetiſchen Sprache Barruckſchen heißt. Die Thierchen werfen ihren Un- rath gewoͤhnlich auf unzugaͤnglichen hohen Felſen, auf einen

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/80>, abgerufen am 19.04.2024.