Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite
III.

Bevor ich nun aus diesem Begriff des wirtschaftlichen Wertes den
des Geldes als seinen Gipfel und reinsten Ausdruck entwickle, ist es
erforderlich, jenen selbst in ein prinzipiell bestimmtes Weltbild ein-
zustellen, um daran die philosophische Bedeutung des Geldes zu er-
messen. Denn erst wenn die Formel des wirtschaftlichen Wertes einer
Weltformel parallel geht, darf die höchste Verwirklichungsstufe jener
beanspruchen, über ihre unmittelbare Erscheinung hinaus, oder richtiger:
in eben dieser selbst, das Dasein überhaupt deuten zu helfen.

Die physiologische Bedingtheit unserer Existenz enthält einander
entgegengesetzte Forderungen: nur in dem Wechsel zwischen Ruhe
und Bewegung, zwischen Aufnahme und Ausgabe ist das Leben möglich.
Das empfinden wir -- gleichviel ob in blosser Symbolik oder in ur-
sächlichem Zusammenhang -- auch als den Typus unserer geistigen
Bedürfnisse; so dass diese erst dann ganz befriedigt scheinen, wenn
auch das objektive Weltbild in die gleichen Kategorien aufgeht. Denn
damit erhalten unsere Wesensseiten nicht nur ein harmonisches Sich-
Einfügen in das allgemeine Sein, sondern erst so wird dieses uns
gleichsam geniessbar: wir sind ihm gegenüber erst vollständig auf-
nahmefähig, wenn seine Gestalt den Formen unserer eigenen Innerlich-
keit entspricht. Demnach organisieren wir das regellose Nebeneinander
und Durcheinander der ersten Eindrücke, die ein Objekt uns bietet,
indem wir eine bleibende und wesentliche Substanz seiner von seinen
Bewegungen, Färbungen, Schicksalen trennen, deren Kommen und
Gehen die Festigkeit seines Wesens ungeändert lässt. Diese Gliede-
rung der Welt in die bleibenden Kerne verfliessender Erscheinungen
und die zufälligen Bestimmungen beharrender Träger wächst zu dem
Gegensatz des Absoluten und des Relativen auf. Wie wir in uns
selbst ein seelisches Sein zu spüren meinen, dessen Existenz und
Charakter nur in sich selbst ruht, eine letzte, von allem Ausser-
Ihr unabhängige Instanz, und diese genau von jenen unserer Ge-
danken, Erlebnisse und Entwicklungen scheiden, die nur durch Be-

III.

Bevor ich nun aus diesem Begriff des wirtschaftlichen Wertes den
des Geldes als seinen Gipfel und reinsten Ausdruck entwickle, ist es
erforderlich, jenen selbst in ein prinzipiell bestimmtes Weltbild ein-
zustellen, um daran die philosophische Bedeutung des Geldes zu er-
messen. Denn erst wenn die Formel des wirtschaftlichen Wertes einer
Weltformel parallel geht, darf die höchste Verwirklichungsstufe jener
beanspruchen, über ihre unmittelbare Erscheinung hinaus, oder richtiger:
in eben dieser selbst, das Dasein überhaupt deuten zu helfen.

Die physiologische Bedingtheit unserer Existenz enthält einander
entgegengesetzte Forderungen: nur in dem Wechsel zwischen Ruhe
und Bewegung, zwischen Aufnahme und Ausgabe ist das Leben möglich.
Das empfinden wir — gleichviel ob in bloſser Symbolik oder in ur-
sächlichem Zusammenhang — auch als den Typus unserer geistigen
Bedürfnisse; so daſs diese erst dann ganz befriedigt scheinen, wenn
auch das objektive Weltbild in die gleichen Kategorien aufgeht. Denn
damit erhalten unsere Wesensseiten nicht nur ein harmonisches Sich-
Einfügen in das allgemeine Sein, sondern erst so wird dieses uns
gleichsam genieſsbar: wir sind ihm gegenüber erst vollständig auf-
nahmefähig, wenn seine Gestalt den Formen unserer eigenen Innerlich-
keit entspricht. Demnach organisieren wir das regellose Nebeneinander
und Durcheinander der ersten Eindrücke, die ein Objekt uns bietet,
indem wir eine bleibende und wesentliche Substanz seiner von seinen
Bewegungen, Färbungen, Schicksalen trennen, deren Kommen und
Gehen die Festigkeit seines Wesens ungeändert läſst. Diese Gliede-
rung der Welt in die bleibenden Kerne verflieſsender Erscheinungen
und die zufälligen Bestimmungen beharrender Träger wächst zu dem
Gegensatz des Absoluten und des Relativen auf. Wie wir in uns
selbst ein seelisches Sein zu spüren meinen, dessen Existenz und
Charakter nur in sich selbst ruht, eine letzte, von allem Auſser-
Ihr unabhängige Instanz, und diese genau von jenen unserer Ge-
danken, Erlebnisse und Entwicklungen scheiden, die nur durch Be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0082" n="[58]"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">III.</hi> </head><lb/>
            <p>Bevor ich nun aus diesem Begriff des wirtschaftlichen Wertes den<lb/>
des Geldes als seinen Gipfel und reinsten Ausdruck entwickle, ist es<lb/>
erforderlich, jenen selbst in ein prinzipiell bestimmtes Weltbild ein-<lb/>
zustellen, um daran die philosophische Bedeutung des Geldes zu er-<lb/>
messen. Denn erst wenn die Formel des wirtschaftlichen Wertes einer<lb/>
Weltformel parallel geht, darf die höchste Verwirklichungsstufe jener<lb/>
beanspruchen, über ihre unmittelbare Erscheinung hinaus, oder richtiger:<lb/>
in eben dieser selbst, das Dasein überhaupt deuten zu helfen.</p><lb/>
            <p>Die physiologische Bedingtheit unserer Existenz enthält einander<lb/>
entgegengesetzte Forderungen: nur in dem Wechsel zwischen Ruhe<lb/>
und Bewegung, zwischen Aufnahme und Ausgabe ist das Leben möglich.<lb/>
Das empfinden wir &#x2014; gleichviel ob in blo&#x017F;ser Symbolik oder in ur-<lb/>
sächlichem Zusammenhang &#x2014; auch als den Typus unserer geistigen<lb/>
Bedürfnisse; so da&#x017F;s diese erst dann ganz befriedigt scheinen, wenn<lb/>
auch das objektive Weltbild in die gleichen Kategorien aufgeht. Denn<lb/>
damit erhalten unsere Wesensseiten nicht nur ein harmonisches Sich-<lb/>
Einfügen in das allgemeine Sein, sondern erst so wird dieses uns<lb/>
gleichsam genie&#x017F;sbar: wir sind ihm gegenüber erst vollständig auf-<lb/>
nahmefähig, wenn seine Gestalt den Formen unserer eigenen Innerlich-<lb/>
keit entspricht. Demnach organisieren wir das regellose Nebeneinander<lb/>
und Durcheinander der ersten Eindrücke, die ein Objekt uns bietet,<lb/>
indem wir eine bleibende und wesentliche Substanz seiner von seinen<lb/>
Bewegungen, Färbungen, Schicksalen trennen, deren Kommen und<lb/>
Gehen die Festigkeit seines Wesens ungeändert lä&#x017F;st. Diese Gliede-<lb/>
rung der Welt in die bleibenden Kerne verflie&#x017F;sender Erscheinungen<lb/>
und die zufälligen Bestimmungen beharrender Träger wächst zu dem<lb/>
Gegensatz des Absoluten und des Relativen auf. Wie wir in uns<lb/>
selbst ein seelisches Sein zu spüren meinen, dessen Existenz und<lb/>
Charakter nur in sich selbst ruht, eine letzte, von allem Au&#x017F;ser-<lb/>
Ihr unabhängige Instanz, und diese genau von jenen unserer Ge-<lb/>
danken, Erlebnisse und Entwicklungen scheiden, die nur durch Be-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[58]/0082] III. Bevor ich nun aus diesem Begriff des wirtschaftlichen Wertes den des Geldes als seinen Gipfel und reinsten Ausdruck entwickle, ist es erforderlich, jenen selbst in ein prinzipiell bestimmtes Weltbild ein- zustellen, um daran die philosophische Bedeutung des Geldes zu er- messen. Denn erst wenn die Formel des wirtschaftlichen Wertes einer Weltformel parallel geht, darf die höchste Verwirklichungsstufe jener beanspruchen, über ihre unmittelbare Erscheinung hinaus, oder richtiger: in eben dieser selbst, das Dasein überhaupt deuten zu helfen. Die physiologische Bedingtheit unserer Existenz enthält einander entgegengesetzte Forderungen: nur in dem Wechsel zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Aufnahme und Ausgabe ist das Leben möglich. Das empfinden wir — gleichviel ob in bloſser Symbolik oder in ur- sächlichem Zusammenhang — auch als den Typus unserer geistigen Bedürfnisse; so daſs diese erst dann ganz befriedigt scheinen, wenn auch das objektive Weltbild in die gleichen Kategorien aufgeht. Denn damit erhalten unsere Wesensseiten nicht nur ein harmonisches Sich- Einfügen in das allgemeine Sein, sondern erst so wird dieses uns gleichsam genieſsbar: wir sind ihm gegenüber erst vollständig auf- nahmefähig, wenn seine Gestalt den Formen unserer eigenen Innerlich- keit entspricht. Demnach organisieren wir das regellose Nebeneinander und Durcheinander der ersten Eindrücke, die ein Objekt uns bietet, indem wir eine bleibende und wesentliche Substanz seiner von seinen Bewegungen, Färbungen, Schicksalen trennen, deren Kommen und Gehen die Festigkeit seines Wesens ungeändert läſst. Diese Gliede- rung der Welt in die bleibenden Kerne verflieſsender Erscheinungen und die zufälligen Bestimmungen beharrender Träger wächst zu dem Gegensatz des Absoluten und des Relativen auf. Wie wir in uns selbst ein seelisches Sein zu spüren meinen, dessen Existenz und Charakter nur in sich selbst ruht, eine letzte, von allem Auſser- Ihr unabhängige Instanz, und diese genau von jenen unserer Ge- danken, Erlebnisse und Entwicklungen scheiden, die nur durch Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/82
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [58]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/82>, abgerufen am 28.03.2024.