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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Zweites Kapitel.
Der Substanzwert des Geldes.

I.

Die Diskussion über das Wesen des Geldes wird allenthalben
von der Frage durchzogen: ob das Geld, um seine Dienste des Messens,
Tauschens, Darstellens von Werten zu leisten, selbst ein Wert sei und
sein müsse, oder ob es für diese genüge, wenn es, ohne eigenen Sub-
stanzwert, ein blosses Zeichen und Symbol wäre, wie eine Rechenmarke,
die Werte vertritt, ohne ihnen wesensgleich zu sein. Die ganze sach-
liche und historische Erörterung dieser, in die letzten Tiefen der Geld-
und Wertlehre hinunterreichenden Frage würde sich erübrigen, wenn
ein oft hervorgehobener logischer Grund sie von vornherein entschiede.
Ein Messmittel, so sagt man, muss von derselben Art sein, wie der
Gegenstand, den es misst: ein Mass für Längen muss lang sein, ein
Mass für Gewichte muss schwer sein, ein Mass für Rauminhalte muss
räumlich ausgedehnt sein. Ein Mass für Werte muss deshalb wertvoll
sein. So beziehungslos zwei Dinge, die ich aneinander messe, auch in
allen ihren sonstigen Bestimmungen sein mögen -- in Hinsicht derjenigen
Qualität, in der ich sie vergleiche, müssen sie übereinstimmen. Alle
quantitative und zahlenmässige Gleichheit oder Ungleichheit, die ich
zwischen zwei Objekten aussage, wäre sinnlos, wenn sie nicht die rela-
tiven Quantitäten einer und derselben Qualität beträfe. Ja,
diese Übereinstimmung in der Qualität darf nicht einmal eine allzu
allgemeine sein; man kann z. B. die Schönheit einer Architektur nicht
der Schönheit eines Menschen gleich oder ungleich gross setzen, ob-
gleich in beiden doch die einheitliche Qualität "Schönheit" ist, sondern
nur die speziellen architektonischen oder die speziellen menschlichen
Schönheiten ergeben untereinander die Möglichkeit eines Vergleichs.
Wenn man aber doch eine Vergleichbarkeit, bei völligem Mangel jeder

Zweites Kapitel.
Der Substanzwert des Geldes.

I.

Die Diskussion über das Wesen des Geldes wird allenthalben
von der Frage durchzogen: ob das Geld, um seine Dienste des Messens,
Tauschens, Darstellens von Werten zu leisten, selbst ein Wert sei und
sein müsse, oder ob es für diese genüge, wenn es, ohne eigenen Sub-
stanzwert, ein bloſses Zeichen und Symbol wäre, wie eine Rechenmarke,
die Werte vertritt, ohne ihnen wesensgleich zu sein. Die ganze sach-
liche und historische Erörterung dieser, in die letzten Tiefen der Geld-
und Wertlehre hinunterreichenden Frage würde sich erübrigen, wenn
ein oft hervorgehobener logischer Grund sie von vornherein entschiede.
Ein Meſsmittel, so sagt man, muſs von derselben Art sein, wie der
Gegenstand, den es miſst: ein Maſs für Längen muſs lang sein, ein
Maſs für Gewichte muſs schwer sein, ein Maſs für Rauminhalte muſs
räumlich ausgedehnt sein. Ein Maſs für Werte muſs deshalb wertvoll
sein. So beziehungslos zwei Dinge, die ich aneinander messe, auch in
allen ihren sonstigen Bestimmungen sein mögen — in Hinsicht derjenigen
Qualität, in der ich sie vergleiche, müssen sie übereinstimmen. Alle
quantitative und zahlenmäſsige Gleichheit oder Ungleichheit, die ich
zwischen zwei Objekten aussage, wäre sinnlos, wenn sie nicht die rela-
tiven Quantitäten einer und derselben Qualität beträfe. Ja,
diese Übereinstimmung in der Qualität darf nicht einmal eine allzu
allgemeine sein; man kann z. B. die Schönheit einer Architektur nicht
der Schönheit eines Menschen gleich oder ungleich groſs setzen, ob-
gleich in beiden doch die einheitliche Qualität „Schönheit“ ist, sondern
nur die speziellen architektonischen oder die speziellen menschlichen
Schönheiten ergeben untereinander die Möglichkeit eines Vergleichs.
Wenn man aber doch eine Vergleichbarkeit, bei völligem Mangel jeder

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[[88]/0112] Zweites Kapitel. Der Substanzwert des Geldes. I. Die Diskussion über das Wesen des Geldes wird allenthalben von der Frage durchzogen: ob das Geld, um seine Dienste des Messens, Tauschens, Darstellens von Werten zu leisten, selbst ein Wert sei und sein müsse, oder ob es für diese genüge, wenn es, ohne eigenen Sub- stanzwert, ein bloſses Zeichen und Symbol wäre, wie eine Rechenmarke, die Werte vertritt, ohne ihnen wesensgleich zu sein. Die ganze sach- liche und historische Erörterung dieser, in die letzten Tiefen der Geld- und Wertlehre hinunterreichenden Frage würde sich erübrigen, wenn ein oft hervorgehobener logischer Grund sie von vornherein entschiede. Ein Meſsmittel, so sagt man, muſs von derselben Art sein, wie der Gegenstand, den es miſst: ein Maſs für Längen muſs lang sein, ein Maſs für Gewichte muſs schwer sein, ein Maſs für Rauminhalte muſs räumlich ausgedehnt sein. Ein Maſs für Werte muſs deshalb wertvoll sein. So beziehungslos zwei Dinge, die ich aneinander messe, auch in allen ihren sonstigen Bestimmungen sein mögen — in Hinsicht derjenigen Qualität, in der ich sie vergleiche, müssen sie übereinstimmen. Alle quantitative und zahlenmäſsige Gleichheit oder Ungleichheit, die ich zwischen zwei Objekten aussage, wäre sinnlos, wenn sie nicht die rela- tiven Quantitäten einer und derselben Qualität beträfe. Ja, diese Übereinstimmung in der Qualität darf nicht einmal eine allzu allgemeine sein; man kann z. B. die Schönheit einer Architektur nicht der Schönheit eines Menschen gleich oder ungleich groſs setzen, ob- gleich in beiden doch die einheitliche Qualität „Schönheit“ ist, sondern nur die speziellen architektonischen oder die speziellen menschlichen Schönheiten ergeben untereinander die Möglichkeit eines Vergleichs. Wenn man aber doch eine Vergleichbarkeit, bei völligem Mangel jeder

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [88]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/112>, abgerufen am 28.03.2024.