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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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begegnet noch zur Zeit der Magna Charta die Behauptung, Ritter,
Baron und Graf verhielten sich zu einander wie Schilling, Mark und
Pfund -- da dies die Proportion ihrer Lehensgefälle sei; eine Vor-
stellung, die um so bezeichnender ist, als die Begründung thatsächlich
ganz ungenau war; denn sie beweist die Tendenz, den Wert des
Menschen auf einen geldmässigen Ausdruck zu bringen, als eine so
kräftige, dass sie sich selbst um den Preis einer sachlichen Unan-
gemessenheit verwirklicht. Von ihr aus wird aber nicht nur das Geld
zum Mass für den Menschen, sondern auch der Mensch zum Mass für
das Geld. Die Summe, die für die Tötung eines Menschen gezahlt
werden muss, begegnet uns hier und da als monetarische Einheit.
Nach Grimm bedeutet das Perfektum skillan soviel wie: ich habe
getötet oder verwundet; daher dann: ich bin busspflichtig geworden.
Nun war thatsächlich der Solidus der einfache Strafsatz, nach dem in
den Volksrechten die Bussen berechnet wurden. Man hat deshalb in
der Konsequenz jener Bedeutung von skillan angenommen, dass das
Wort "Schilling" die Bedeutung von "Strafsimplum" hätte. Der Wert
des Menschen erscheint hier also als Einteilungsgrund des Geldsystems,
als Bestimmungsgrund des Geldwertes. Dieselbe Bedeutung des Geldes
tritt auch da hervor, wo die Geldstrafe nicht nur für Mord, sondern
für Vergehen überhaupt in Frage kommt. Im merovingischen Zeit-
alter wurde der Solidus nicht mehr wie bisher zu 40, sondern nur zu
12 Denaren gerechnet. Und zwar wird als Grund dafür vermutet: es
sollten damals die nach Solidi bestimmten Geldstrafen herabgesetzt
werden, und hierzu sei angeordnet, es sollen überall, wo ein Solidus
bestimmt sei, nicht mehr 40, sondern nur 12 Denare bezahlt werden.
Es habe sich daraus der Strafsolidus zu 12 Denaren gebildet, der
schliesslich der allgemein herrschende geworden sei. Und von den
Palauinseln wird berichtet, dass dort jede Art von Bezahlung schlecht-
hin Strafgeld heisst. Es giebt hier also nicht mehr die Bestimmtheit
der Münze die Skala her, an der die relative Schwere des Vergehens
sich misst; sondern umgekehrt, die Taxierung des Vergehens schafft
einen Massstab für die Festsetzung der Geldwerte.

Dieser Vorstellungsweise -- so weit sie sich auf die Mordsühne
bezieht -- liegt ein Gefühl von prinzipieller Erheblichkeit zum Grunde.
Da das ganze Wesen des Geldes auf der Quantität beruht, Geld an
und für sich ohne Bestimmtheit seines Wieviel ein völlig leerer Begriff
ist, so ist es von grösster Bedeutung und ganz unerlässlich, dass jedes
Geldsystem eine Einheit besitzt, als deren Vielfaches oder deren Teil
sich jeder einzelne Geldwert ergiebt. Diese ursprüngliche Bestimmt-
heit, ohne die es überhaupt zu keinem Geldwesen kommen konnte,

begegnet noch zur Zeit der Magna Charta die Behauptung, Ritter,
Baron und Graf verhielten sich zu einander wie Schilling, Mark und
Pfund — da dies die Proportion ihrer Lehensgefälle sei; eine Vor-
stellung, die um so bezeichnender ist, als die Begründung thatsächlich
ganz ungenau war; denn sie beweist die Tendenz, den Wert des
Menschen auf einen geldmäſsigen Ausdruck zu bringen, als eine so
kräftige, daſs sie sich selbst um den Preis einer sachlichen Unan-
gemessenheit verwirklicht. Von ihr aus wird aber nicht nur das Geld
zum Maſs für den Menschen, sondern auch der Mensch zum Maſs für
das Geld. Die Summe, die für die Tötung eines Menschen gezahlt
werden muſs, begegnet uns hier und da als monetarische Einheit.
Nach Grimm bedeutet das Perfektum skillan soviel wie: ich habe
getötet oder verwundet; daher dann: ich bin buſspflichtig geworden.
Nun war thatsächlich der Solidus der einfache Strafsatz, nach dem in
den Volksrechten die Buſsen berechnet wurden. Man hat deshalb in
der Konsequenz jener Bedeutung von skillan angenommen, daſs das
Wort „Schilling“ die Bedeutung von „Strafsimplum“ hätte. Der Wert
des Menschen erscheint hier also als Einteilungsgrund des Geldsystems,
als Bestimmungsgrund des Geldwertes. Dieselbe Bedeutung des Geldes
tritt auch da hervor, wo die Geldstrafe nicht nur für Mord, sondern
für Vergehen überhaupt in Frage kommt. Im merovingischen Zeit-
alter wurde der Solidus nicht mehr wie bisher zu 40, sondern nur zu
12 Denaren gerechnet. Und zwar wird als Grund dafür vermutet: es
sollten damals die nach Solidi bestimmten Geldstrafen herabgesetzt
werden, und hierzu sei angeordnet, es sollen überall, wo ein Solidus
bestimmt sei, nicht mehr 40, sondern nur 12 Denare bezahlt werden.
Es habe sich daraus der Strafsolidus zu 12 Denaren gebildet, der
schlieſslich der allgemein herrschende geworden sei. Und von den
Palauinseln wird berichtet, daſs dort jede Art von Bezahlung schlecht-
hin Strafgeld heiſst. Es giebt hier also nicht mehr die Bestimmtheit
der Münze die Skala her, an der die relative Schwere des Vergehens
sich miſst; sondern umgekehrt, die Taxierung des Vergehens schafft
einen Maſsstab für die Festsetzung der Geldwerte.

Dieser Vorstellungsweise — so weit sie sich auf die Mordsühne
bezieht — liegt ein Gefühl von prinzipieller Erheblichkeit zum Grunde.
Da das ganze Wesen des Geldes auf der Quantität beruht, Geld an
und für sich ohne Bestimmtheit seines Wieviel ein völlig leerer Begriff
ist, so ist es von gröſster Bedeutung und ganz unerläſslich, daſs jedes
Geldsystem eine Einheit besitzt, als deren Vielfaches oder deren Teil
sich jeder einzelne Geldwert ergiebt. Diese ursprüngliche Bestimmt-
heit, ohne die es überhaupt zu keinem Geldwesen kommen konnte,

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[366/0390] begegnet noch zur Zeit der Magna Charta die Behauptung, Ritter, Baron und Graf verhielten sich zu einander wie Schilling, Mark und Pfund — da dies die Proportion ihrer Lehensgefälle sei; eine Vor- stellung, die um so bezeichnender ist, als die Begründung thatsächlich ganz ungenau war; denn sie beweist die Tendenz, den Wert des Menschen auf einen geldmäſsigen Ausdruck zu bringen, als eine so kräftige, daſs sie sich selbst um den Preis einer sachlichen Unan- gemessenheit verwirklicht. Von ihr aus wird aber nicht nur das Geld zum Maſs für den Menschen, sondern auch der Mensch zum Maſs für das Geld. Die Summe, die für die Tötung eines Menschen gezahlt werden muſs, begegnet uns hier und da als monetarische Einheit. Nach Grimm bedeutet das Perfektum skillan soviel wie: ich habe getötet oder verwundet; daher dann: ich bin buſspflichtig geworden. Nun war thatsächlich der Solidus der einfache Strafsatz, nach dem in den Volksrechten die Buſsen berechnet wurden. Man hat deshalb in der Konsequenz jener Bedeutung von skillan angenommen, daſs das Wort „Schilling“ die Bedeutung von „Strafsimplum“ hätte. Der Wert des Menschen erscheint hier also als Einteilungsgrund des Geldsystems, als Bestimmungsgrund des Geldwertes. Dieselbe Bedeutung des Geldes tritt auch da hervor, wo die Geldstrafe nicht nur für Mord, sondern für Vergehen überhaupt in Frage kommt. Im merovingischen Zeit- alter wurde der Solidus nicht mehr wie bisher zu 40, sondern nur zu 12 Denaren gerechnet. Und zwar wird als Grund dafür vermutet: es sollten damals die nach Solidi bestimmten Geldstrafen herabgesetzt werden, und hierzu sei angeordnet, es sollen überall, wo ein Solidus bestimmt sei, nicht mehr 40, sondern nur 12 Denare bezahlt werden. Es habe sich daraus der Strafsolidus zu 12 Denaren gebildet, der schlieſslich der allgemein herrschende geworden sei. Und von den Palauinseln wird berichtet, daſs dort jede Art von Bezahlung schlecht- hin Strafgeld heiſst. Es giebt hier also nicht mehr die Bestimmtheit der Münze die Skala her, an der die relative Schwere des Vergehens sich miſst; sondern umgekehrt, die Taxierung des Vergehens schafft einen Maſsstab für die Festsetzung der Geldwerte. Dieser Vorstellungsweise — so weit sie sich auf die Mordsühne bezieht — liegt ein Gefühl von prinzipieller Erheblichkeit zum Grunde. Da das ganze Wesen des Geldes auf der Quantität beruht, Geld an und für sich ohne Bestimmtheit seines Wieviel ein völlig leerer Begriff ist, so ist es von gröſster Bedeutung und ganz unerläſslich, daſs jedes Geldsystem eine Einheit besitzt, als deren Vielfaches oder deren Teil sich jeder einzelne Geldwert ergiebt. Diese ursprüngliche Bestimmt- heit, ohne die es überhaupt zu keinem Geldwesen kommen konnte,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/390>, abgerufen am 24.04.2024.