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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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er kann überhaupt nichts wirken, wenn er nicht irgend einen Inhalt er-
hält, der niemals in ihm selbst liegt; denn er ist nichts andres als eine
der psychologischen Formen (wie das Sein, das Sollen, das Hoffen
u. s. w.), in denen Inhalte in uns leben, eine der -- wahrscheinlich
in begleitenden Muskel- oder sonstigen Gefühlen psychisch realisierten --
Kategorien, in die wir den an sich bloss ideellen Gehalt der Welt
fassen, damit er für uns eine praktische Bedeutung gewinne. So wenig
also der Wille -- der blosse, zu einer gewissen Selbständigkeit ge-
steigerte Name dieser Form -- von sich aus irgend einen bestimmten
Inhalt erkürt, so wenig geht aus dem blossen Bewusstsein der Welt-
inhalte, also aus der Intellektualität, irgend eine Zwecksetzung hervor.
Vielmehr, zu der völligen Indifferenz derselben und aus ihr selbst
nicht berechenbar tritt an irgend einem Punkte die Betonung des
Willens auf. Ist dies erst einmal geschehen, so findet freilich rein
logisch und durch die theoretische Sachlichkeit bestimmt, die Überleitung
des Willens auf andre, mit jenem ersten kausal verbundne Vorstellungen
statt, die nun als "Mittel" zu jenem Endzweck gelten.

Überall, wo der Intellekt uns führt, sind wir schlechthin abhängig,
denn er führt uns nur durch die sachlichen Zusammenhänge der Dinge, er
ist die Vermittlung, durch die das Wollen sich dem selbständigen Sein
anpasst. Ja, die reine Intelligenz, als Träger der sachlich-logischen
Wahrheiten, schafft uns nur Bedingungen, nur Ideelles, nur Eventuali-
täten; dass mit alledem ein objektiv Wahres gewonnen sei, dass
überhaupt ein erster Ausgangspunkt ergriffen werde, der alles übrige
zu beweisen gestattet -- das kann der blosse Intellekt nicht zu stande
bringen, sondern dazu bedarf es einer Spontaneität, eines unmittelbaren
Gefühles, eines Willens zum Axiom. Mag man das so ausdrücken,
dass alles Wissen sich nur auf einen ursprünglichen Glauben aufbauen
kann, oder dass jedes Fürwahrhalten ein Willensentschluss ist, oder
dass das Bejahen oder Verneinen von Behauptungen schliesslich durch
ein Wertgefühl geschieht, das die eine begleitet und sich der andern
versagt -- so bedeuten alle diese Auslegungen, dass der Intellekt,
seinen reinen Inhalten nach, in der Luft schwebt und die Festigkeit
seines Ausgangspunktes, seiner Bedeutung, seines Zieles von einer
andern seelischen Energie her erwartet. Ihn erfüllt ein Spiel objek-
tiver Erscheinungen und Zusammenhänge, während unser eigentliches
Sein, das auch ihm Bedeutung und Kraft über die blosse Idealität
seiner Inhalte hinaus verleiht, nicht in diesen, sondern in den Funk-
tionen
der Seele, in ihren unmittelbaren Bewegungen und Kraft-
äusserungen lebt. Fassen wir den Begriff der Mittelberechnung in voller
Schärfe, so sind wir, in ihr verweilend, rein theoretische, absolut

er kann überhaupt nichts wirken, wenn er nicht irgend einen Inhalt er-
hält, der niemals in ihm selbst liegt; denn er ist nichts andres als eine
der psychologischen Formen (wie das Sein, das Sollen, das Hoffen
u. s. w.), in denen Inhalte in uns leben, eine der — wahrscheinlich
in begleitenden Muskel- oder sonstigen Gefühlen psychisch realisierten —
Kategorien, in die wir den an sich bloſs ideellen Gehalt der Welt
fassen, damit er für uns eine praktische Bedeutung gewinne. So wenig
also der Wille — der bloſse, zu einer gewissen Selbständigkeit ge-
steigerte Name dieser Form — von sich aus irgend einen bestimmten
Inhalt erkürt, so wenig geht aus dem bloſsen Bewuſstsein der Welt-
inhalte, also aus der Intellektualität, irgend eine Zwecksetzung hervor.
Vielmehr, zu der völligen Indifferenz derselben und aus ihr selbst
nicht berechenbar tritt an irgend einem Punkte die Betonung des
Willens auf. Ist dies erst einmal geschehen, so findet freilich rein
logisch und durch die theoretische Sachlichkeit bestimmt, die Überleitung
des Willens auf andre, mit jenem ersten kausal verbundne Vorstellungen
statt, die nun als „Mittel“ zu jenem Endzweck gelten.

Überall, wo der Intellekt uns führt, sind wir schlechthin abhängig,
denn er führt uns nur durch die sachlichen Zusammenhänge der Dinge, er
ist die Vermittlung, durch die das Wollen sich dem selbständigen Sein
anpaſst. Ja, die reine Intelligenz, als Träger der sachlich-logischen
Wahrheiten, schafft uns nur Bedingungen, nur Ideelles, nur Eventuali-
täten; daſs mit alledem ein objektiv Wahres gewonnen sei, daſs
überhaupt ein erster Ausgangspunkt ergriffen werde, der alles übrige
zu beweisen gestattet — das kann der bloſse Intellekt nicht zu stande
bringen, sondern dazu bedarf es einer Spontaneität, eines unmittelbaren
Gefühles, eines Willens zum Axiom. Mag man das so ausdrücken,
daſs alles Wissen sich nur auf einen ursprünglichen Glauben aufbauen
kann, oder daſs jedes Fürwahrhalten ein Willensentschluſs ist, oder
daſs das Bejahen oder Verneinen von Behauptungen schlieſslich durch
ein Wertgefühl geschieht, das die eine begleitet und sich der andern
versagt — so bedeuten alle diese Auslegungen, daſs der Intellekt,
seinen reinen Inhalten nach, in der Luft schwebt und die Festigkeit
seines Ausgangspunktes, seiner Bedeutung, seines Zieles von einer
andern seelischen Energie her erwartet. Ihn erfüllt ein Spiel objek-
tiver Erscheinungen und Zusammenhänge, während unser eigentliches
Sein, das auch ihm Bedeutung und Kraft über die bloſse Idealität
seiner Inhalte hinaus verleiht, nicht in diesen, sondern in den Funk-
tionen
der Seele, in ihren unmittelbaren Bewegungen und Kraft-
äuſserungen lebt. Fassen wir den Begriff der Mittelberechnung in voller
Schärfe, so sind wir, in ihr verweilend, rein theoretische, absolut

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[456/0480] er kann überhaupt nichts wirken, wenn er nicht irgend einen Inhalt er- hält, der niemals in ihm selbst liegt; denn er ist nichts andres als eine der psychologischen Formen (wie das Sein, das Sollen, das Hoffen u. s. w.), in denen Inhalte in uns leben, eine der — wahrscheinlich in begleitenden Muskel- oder sonstigen Gefühlen psychisch realisierten — Kategorien, in die wir den an sich bloſs ideellen Gehalt der Welt fassen, damit er für uns eine praktische Bedeutung gewinne. So wenig also der Wille — der bloſse, zu einer gewissen Selbständigkeit ge- steigerte Name dieser Form — von sich aus irgend einen bestimmten Inhalt erkürt, so wenig geht aus dem bloſsen Bewuſstsein der Welt- inhalte, also aus der Intellektualität, irgend eine Zwecksetzung hervor. Vielmehr, zu der völligen Indifferenz derselben und aus ihr selbst nicht berechenbar tritt an irgend einem Punkte die Betonung des Willens auf. Ist dies erst einmal geschehen, so findet freilich rein logisch und durch die theoretische Sachlichkeit bestimmt, die Überleitung des Willens auf andre, mit jenem ersten kausal verbundne Vorstellungen statt, die nun als „Mittel“ zu jenem Endzweck gelten. Überall, wo der Intellekt uns führt, sind wir schlechthin abhängig, denn er führt uns nur durch die sachlichen Zusammenhänge der Dinge, er ist die Vermittlung, durch die das Wollen sich dem selbständigen Sein anpaſst. Ja, die reine Intelligenz, als Träger der sachlich-logischen Wahrheiten, schafft uns nur Bedingungen, nur Ideelles, nur Eventuali- täten; daſs mit alledem ein objektiv Wahres gewonnen sei, daſs überhaupt ein erster Ausgangspunkt ergriffen werde, der alles übrige zu beweisen gestattet — das kann der bloſse Intellekt nicht zu stande bringen, sondern dazu bedarf es einer Spontaneität, eines unmittelbaren Gefühles, eines Willens zum Axiom. Mag man das so ausdrücken, daſs alles Wissen sich nur auf einen ursprünglichen Glauben aufbauen kann, oder daſs jedes Fürwahrhalten ein Willensentschluſs ist, oder daſs das Bejahen oder Verneinen von Behauptungen schlieſslich durch ein Wertgefühl geschieht, das die eine begleitet und sich der andern versagt — so bedeuten alle diese Auslegungen, daſs der Intellekt, seinen reinen Inhalten nach, in der Luft schwebt und die Festigkeit seines Ausgangspunktes, seiner Bedeutung, seines Zieles von einer andern seelischen Energie her erwartet. Ihn erfüllt ein Spiel objek- tiver Erscheinungen und Zusammenhänge, während unser eigentliches Sein, das auch ihm Bedeutung und Kraft über die bloſse Idealität seiner Inhalte hinaus verleiht, nicht in diesen, sondern in den Funk- tionen der Seele, in ihren unmittelbaren Bewegungen und Kraft- äuſserungen lebt. Fassen wir den Begriff der Mittelberechnung in voller Schärfe, so sind wir, in ihr verweilend, rein theoretische, absolut

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/480>, abgerufen am 25.04.2024.