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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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dass, was hier das Handelsgeschäft überhaupt für die Präzisierung der
Werte und Ansprüche leistete, durch das Geld in sehr viel schärferer
und exakterer Weise geleistet werden kann. Auch nach dieser Seite
hin darf man vielleicht sagen, dass sich das Geldgeschäft zum Handels-
geschäft überhaupt verhält, wie dieses zu der sonstigen, vor dem Tausch
bestehenden Bestimmtheit oder Verhältnis der Dinge; es drückt sozu-
sagen das reine Geschäft an der geschäftsmässigen Behandlung der
letzteren aus, wie die Kunst den Reiz der reizvollen Dinge darstellt.
Und indem nun das abstrakte Gebilde, das den aus den Dingen
herausgezogenen Wert ihrer ausmacht, die Form arithmetischer Genauig-
keit und damit die unbedingte rationale Bestimmtheit besitzt, muss
dieser Charakter auf die Dinge selbst zurückstrahlen. Wenn es wahr
ist, dass die jeweilige Kunst allmählich die Art bestimmt, wie wir die
Natur sehen, wenn die spontane und subjektive Abstraktion aus der
Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, das scheinbar so unmittelbare
sinnliche Bild derselben für unser Bewusstsein formt -- so wird wohl
der Überbau der Geldrelationen über der qualitativen Wirklichkeit in
noch viel eingreifenderer Weise das innere Bild derselben nach seinen
Formen bestimmen. Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in
das Verhältnis der Lebenselemente eine Präzision, eine Sicherheit in
der Bestimmung von Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzwei-
deutigkeit in Verabredungen und Ausmachungen gekommen -- wie sie
auf äusserlichem Gebiet durch die allgemeine Verbreitung der Taschen-
uhren bewirkt wird. Die Bestimmung der abstrakten Zeit durch die
Uhren wie die des abstrakten Wertes durch das Geld geben ein Schema
feinster und sicherster Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte
des Lebens in sich aufnehmend, diesen wenigstens für die praktisch-
äusserliche Behandlung eine sonst unerreichbare Durchsichtigkeit und
Berechenbarkeit verleiht. Die rechnende Intellektualität, die in diesen
Formen lebt, mag von ihnen wiederum einen Teil der Kräfte beziehen,
mit denen sie das moderne Leben beherrscht. Wie in einen Brenn-
punkt werden alle diese Beziehungen durch die negative Instanz ge-
sammelt, dass der Typus von Geistern, welche der ökonomischen Be-
trachtung und Begründung der menschlichen Dinge am fernsten und
feindlichsten gegenüberstehen würden: Goethe, Carlyle, Nietzsche -- zu-
gleich einerseits prinzipiell anti-intellektualistisch gestimmt sind, und
andrerseits jene rechnerisch-exakte Naturdeutung völlig ablehnen, die
wir als das theoretische Gegenbild des Geldwesens erkannten.


daſs, was hier das Handelsgeschäft überhaupt für die Präzisierung der
Werte und Ansprüche leistete, durch das Geld in sehr viel schärferer
und exakterer Weise geleistet werden kann. Auch nach dieser Seite
hin darf man vielleicht sagen, daſs sich das Geldgeschäft zum Handels-
geschäft überhaupt verhält, wie dieses zu der sonstigen, vor dem Tausch
bestehenden Bestimmtheit oder Verhältnis der Dinge; es drückt sozu-
sagen das reine Geschäft an der geschäftsmäſsigen Behandlung der
letzteren aus, wie die Kunst den Reiz der reizvollen Dinge darstellt.
Und indem nun das abstrakte Gebilde, das den aus den Dingen
herausgezogenen Wert ihrer ausmacht, die Form arithmetischer Genauig-
keit und damit die unbedingte rationale Bestimmtheit besitzt, muſs
dieser Charakter auf die Dinge selbst zurückstrahlen. Wenn es wahr
ist, daſs die jeweilige Kunst allmählich die Art bestimmt, wie wir die
Natur sehen, wenn die spontane und subjektive Abstraktion aus der
Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, das scheinbar so unmittelbare
sinnliche Bild derselben für unser Bewuſstsein formt — so wird wohl
der Überbau der Geldrelationen über der qualitativen Wirklichkeit in
noch viel eingreifenderer Weise das innere Bild derselben nach seinen
Formen bestimmen. Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in
das Verhältnis der Lebenselemente eine Präzision, eine Sicherheit in
der Bestimmung von Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzwei-
deutigkeit in Verabredungen und Ausmachungen gekommen — wie sie
auf äuſserlichem Gebiet durch die allgemeine Verbreitung der Taschen-
uhren bewirkt wird. Die Bestimmung der abstrakten Zeit durch die
Uhren wie die des abstrakten Wertes durch das Geld geben ein Schema
feinster und sicherster Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte
des Lebens in sich aufnehmend, diesen wenigstens für die praktisch-
äuſserliche Behandlung eine sonst unerreichbare Durchsichtigkeit und
Berechenbarkeit verleiht. Die rechnende Intellektualität, die in diesen
Formen lebt, mag von ihnen wiederum einen Teil der Kräfte beziehen,
mit denen sie das moderne Leben beherrscht. Wie in einen Brenn-
punkt werden alle diese Beziehungen durch die negative Instanz ge-
sammelt, daſs der Typus von Geistern, welche der ökonomischen Be-
trachtung und Begründung der menschlichen Dinge am fernsten und
feindlichsten gegenüberstehen würden: Goethe, Carlyle, Nietzsche — zu-
gleich einerseits prinzipiell anti-intellektualistisch gestimmt sind, und
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[474/0498] daſs, was hier das Handelsgeschäft überhaupt für die Präzisierung der Werte und Ansprüche leistete, durch das Geld in sehr viel schärferer und exakterer Weise geleistet werden kann. Auch nach dieser Seite hin darf man vielleicht sagen, daſs sich das Geldgeschäft zum Handels- geschäft überhaupt verhält, wie dieses zu der sonstigen, vor dem Tausch bestehenden Bestimmtheit oder Verhältnis der Dinge; es drückt sozu- sagen das reine Geschäft an der geschäftsmäſsigen Behandlung der letzteren aus, wie die Kunst den Reiz der reizvollen Dinge darstellt. Und indem nun das abstrakte Gebilde, das den aus den Dingen herausgezogenen Wert ihrer ausmacht, die Form arithmetischer Genauig- keit und damit die unbedingte rationale Bestimmtheit besitzt, muſs dieser Charakter auf die Dinge selbst zurückstrahlen. Wenn es wahr ist, daſs die jeweilige Kunst allmählich die Art bestimmt, wie wir die Natur sehen, wenn die spontane und subjektive Abstraktion aus der Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, das scheinbar so unmittelbare sinnliche Bild derselben für unser Bewuſstsein formt — so wird wohl der Überbau der Geldrelationen über der qualitativen Wirklichkeit in noch viel eingreifenderer Weise das innere Bild derselben nach seinen Formen bestimmen. Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in das Verhältnis der Lebenselemente eine Präzision, eine Sicherheit in der Bestimmung von Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzwei- deutigkeit in Verabredungen und Ausmachungen gekommen — wie sie auf äuſserlichem Gebiet durch die allgemeine Verbreitung der Taschen- uhren bewirkt wird. Die Bestimmung der abstrakten Zeit durch die Uhren wie die des abstrakten Wertes durch das Geld geben ein Schema feinster und sicherster Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte des Lebens in sich aufnehmend, diesen wenigstens für die praktisch- äuſserliche Behandlung eine sonst unerreichbare Durchsichtigkeit und Berechenbarkeit verleiht. Die rechnende Intellektualität, die in diesen Formen lebt, mag von ihnen wiederum einen Teil der Kräfte beziehen, mit denen sie das moderne Leben beherrscht. Wie in einen Brenn- punkt werden alle diese Beziehungen durch die negative Instanz ge- sammelt, daſs der Typus von Geistern, welche der ökonomischen Be- trachtung und Begründung der menschlichen Dinge am fernsten und feindlichsten gegenüberstehen würden: Goethe, Carlyle, Nietzsche — zu- gleich einerseits prinzipiell anti-intellektualistisch gestimmt sind, und andrerseits jene rechnerisch-exakte Naturdeutung völlig ablehnen, die wir als das theoretische Gegenbild des Geldwesens erkannten.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/498>, abgerufen am 29.03.2024.