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[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

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bey mir habe, als es wehrt ist. Jch werde damit meinem
Leben eine gewisse Festigkeit und Einförmigkeit geben, und
mir selbst immer gleich seyn. Jch werde die Tage dieser
Zeitlichkeit mit Zufriedenheit zubringen und mit Freudigkeit
endigen. Jch bin alsdann absonderlich auch zu diesem letz-
tern Schritt beständig gefaßt. Jch werde an meinen Abtritt
von diesem Schauplatze des Lebens als an eine Sache geden-
ken, dazu ich dieselbige Stunde aufgefordert werden kann;
und ich werde bey diesem sonst so fürchterlichen Gedanken
nichts verlieren. Es ist ohne Zweifel ein jämmerlicher Zu-
stand, in welchem sich die Menschen befinden, denen diese
grosse und unvermeidliche Veränderung nie einfällt, ohne sie
zittern zu machen. Jch finde es meiner größten Sorge
wehrt, mich auch über dieses Elend zu erheben; und ich
werde darüber erhaben seyn, wenn ich nur unverrückt der
Bahn folge, die mir die ewige Wahrheit vorschreibt. Da ist
dann meine ganze Einrichtung einmal so gemacht, daß alle
meine Vergnügungen sich mit der Vorstellung vom Tobe voll-
kommen wol vertragen. Diese Vorstellung kann meine
Ruhe und Freude nimmer stören, da er selbst, der Tod, an
meiner Glückseligkeit nichts zu zerstören finden wird, sondern
sie vielmehr nach allen ihren wesentlichen Theilen nothwendig
vermehren muß.

Ein so edler und wichtiger Einfluß von dieser grossen Ansicht
meiner künftigen Bestimmung in die ganze Verfassung mei-
ner Sele und meines Verhaltens würde verursachen, daß es
mich aufs äußerste schmerzen würde, sie falsch zu finden, wenn
sie es auch seyn könnte. Es ist mir zu viel daran gelegen,
daß sie wahr sey. Jch will also mein ganzes Gemüth immer
mehr mit der trostvollen Vorstellung erfüllen, daß ich noch in
einem andern Zustande zu leben habe, worin ich nach der Na-
tur der Dinge, und nach der gütigen Regierung der höchsten
Weisheit, nichts als gutes erwarten darf; daß ich also einmal,
nach einer völligen Besreyung von den Thorheiten sowol, als

den
D



bey mir habe, als es wehrt iſt. Jch werde damit meinem
Leben eine gewiſſe Feſtigkeit und Einfoͤrmigkeit geben, und
mir ſelbſt immer gleich ſeyn. Jch werde die Tage dieſer
Zeitlichkeit mit Zufriedenheit zubringen und mit Freudigkeit
endigen. Jch bin alsdann abſonderlich auch zu dieſem letz-
tern Schritt beſtaͤndig gefaßt. Jch werde an meinen Abtritt
von dieſem Schauplatze des Lebens als an eine Sache geden-
ken, dazu ich dieſelbige Stunde aufgefordert werden kann;
und ich werde bey dieſem ſonſt ſo fuͤrchterlichen Gedanken
nichts verlieren. Es iſt ohne Zweifel ein jaͤmmerlicher Zu-
ſtand, in welchem ſich die Menſchen befinden, denen dieſe
groſſe und unvermeidliche Veraͤnderung nie einfaͤllt, ohne ſie
zittern zu machen. Jch finde es meiner groͤßten Sorge
wehrt, mich auch uͤber dieſes Elend zu erheben; und ich
werde daruͤber erhaben ſeyn, wenn ich nur unverruͤckt der
Bahn folge, die mir die ewige Wahrheit vorſchreibt. Da iſt
dann meine ganze Einrichtung einmal ſo gemacht, daß alle
meine Vergnuͤgungen ſich mit der Vorſtellung vom Tobe voll-
kommen wol vertragen. Dieſe Vorſtellung kann meine
Ruhe und Freude nimmer ſtoͤren, da er ſelbſt, der Tod, an
meiner Gluͤckſeligkeit nichts zu zerſtoͤren finden wird, ſondern
ſie vielmehr nach allen ihren weſentlichen Theilen nothwendig
vermehren muß.

Ein ſo edler und wichtiger Einfluß von dieſer groſſen Anſicht
meiner kuͤnftigen Beſtimmung in die ganze Verfaſſung mei-
ner Sele und meines Verhaltens wuͤrde verurſachen, daß es
mich aufs aͤußerſte ſchmerzen wuͤrde, ſie falſch zu finden, wenn
ſie es auch ſeyn koͤnnte. Es iſt mir zu viel daran gelegen,
daß ſie wahr ſey. Jch will alſo mein ganzes Gemuͤth immer
mehr mit der troſtvollen Vorſtellung erfuͤllen, daß ich noch in
einem andern Zuſtande zu leben habe, worin ich nach der Na-
tur der Dinge, und nach der guͤtigen Regierung der hoͤchſten
Weisheit, nichts als gutes erwarten darf; daß ich alſo einmal,
nach einer voͤlligen Beſreyung von den Thorheiten ſowol, als

den
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[25/0035] bey mir habe, als es wehrt iſt. Jch werde damit meinem Leben eine gewiſſe Feſtigkeit und Einfoͤrmigkeit geben, und mir ſelbſt immer gleich ſeyn. Jch werde die Tage dieſer Zeitlichkeit mit Zufriedenheit zubringen und mit Freudigkeit endigen. Jch bin alsdann abſonderlich auch zu dieſem letz- tern Schritt beſtaͤndig gefaßt. Jch werde an meinen Abtritt von dieſem Schauplatze des Lebens als an eine Sache geden- ken, dazu ich dieſelbige Stunde aufgefordert werden kann; und ich werde bey dieſem ſonſt ſo fuͤrchterlichen Gedanken nichts verlieren. Es iſt ohne Zweifel ein jaͤmmerlicher Zu- ſtand, in welchem ſich die Menſchen befinden, denen dieſe groſſe und unvermeidliche Veraͤnderung nie einfaͤllt, ohne ſie zittern zu machen. Jch finde es meiner groͤßten Sorge wehrt, mich auch uͤber dieſes Elend zu erheben; und ich werde daruͤber erhaben ſeyn, wenn ich nur unverruͤckt der Bahn folge, die mir die ewige Wahrheit vorſchreibt. Da iſt dann meine ganze Einrichtung einmal ſo gemacht, daß alle meine Vergnuͤgungen ſich mit der Vorſtellung vom Tobe voll- kommen wol vertragen. Dieſe Vorſtellung kann meine Ruhe und Freude nimmer ſtoͤren, da er ſelbſt, der Tod, an meiner Gluͤckſeligkeit nichts zu zerſtoͤren finden wird, ſondern ſie vielmehr nach allen ihren weſentlichen Theilen nothwendig vermehren muß. Ein ſo edler und wichtiger Einfluß von dieſer groſſen Anſicht meiner kuͤnftigen Beſtimmung in die ganze Verfaſſung mei- ner Sele und meines Verhaltens wuͤrde verurſachen, daß es mich aufs aͤußerſte ſchmerzen wuͤrde, ſie falſch zu finden, wenn ſie es auch ſeyn koͤnnte. Es iſt mir zu viel daran gelegen, daß ſie wahr ſey. Jch will alſo mein ganzes Gemuͤth immer mehr mit der troſtvollen Vorſtellung erfuͤllen, daß ich noch in einem andern Zuſtande zu leben habe, worin ich nach der Na- tur der Dinge, und nach der guͤtigen Regierung der hoͤchſten Weisheit, nichts als gutes erwarten darf; daß ich alſo einmal, nach einer voͤlligen Beſreyung von den Thorheiten ſowol, als den D

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Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/35>, abgerufen am 18.04.2024.