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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
er uns an/ behalten/ aber in der schrifft selbs den Papistischen sinn gantz
deutlich geoffenbahret/ wie er auch nechstens darauff öffentlich zu gegentheil
übergetreten/ oder vielmehr nur damit/ was schon in ihm gewesen/ vor der
welt auch bekant hat. Daher uns was er schreibt/ so wenig graviren kan/
als andere der Papisten eigene schrifften. Jndessen wird unvorsichtigen o-
der doch dieser historie unwissenden leuten ein blauer dunst vor die augen ge-
macht/ als ob er/ als er sein buch geschrieben/ noch ein auffrichtiger Luthera-
ner gewesen/ und möge man ihn mit fug wider uns anziehen. Welches zu
thun sich billig hüten solten/ die von christlichem candore profession machen.
Der HErr HErr steure allen irrthumen/ wehre der macht Babels und hei-
lige uns alle in seiner wahrheit/ sein wort ist die wahrheit Amen.

SECTIO XVI.
Wie die vierdte bitte zu verstehen? Ob GOtt und
die Gottheit unterschieden? Ob die Gottheit in
Christo gelidten?

DJe beyde fragen anlangend: so betraff die erste die vierdte bitte des
Vater unsers/ ob eigentlich der grund-text überwesentliches oder
tägliches brodt nenne: Nun ist nicht ohne/ daß wie das Grichische
wort lautet/ dasselbe wol möchte überwesentlich gegeben werden/ und also
heissen/ wie auch unser liebe Lutherus T. I. Altenb. f. 91. a. erstlich solche deu-
tung sich nicht mißfallen lassen/ sondern sie angenommen hat: indessen mö-
gen wir nicht sagen/ daß das Grichische wort nothwendig überwesent-
lich gedolmetschet werden müsse/ sondern es kan gantz recht heissen täglich
brodt/ das nachfolgende brodt/ oder das brodt des folgenden tages.
Wie in dem grund-text Apost. Gesch. 7/ 26. 16/ 11. 20/ 15. 21/ 18. 23/ 11.
dasjenige wörtlein den folgenden tag anzeiget/ von welchem das hier befind-
liche herstammet. Wann dann nun beyderley verstand dem wort an sich
selbs nicht zu wider ist/ fragt sichs nun/ welchen man gewisser annehmen kön-
te/ da läugne ich nun nicht/ daß ich den verstand versicherter halte/ da es gege-
ben wird unser täglich brodt/ um damit die zeitliche nahrung auszutru-
cken. Meine ursachen sind unter andern diese: wo wir das überwesentliche
brodt Christum/ oder auch sein wort damit verstanden haben wolten/ wür-
den wir die zeitliche nahrung entweder zugleich mit verstehen/ oder sie davon
ausschliessen: das erste lässet sich nicht wol thun/ da wir unter einem wort
des brodts so gantz unterschiedliche dinge/ die in keinem gemeinen verstand
überein kommen/ der sie bequem mit einander einfaste/ begreiffen wolten/

nem-

Das erſte Capitel.
er uns an/ behalten/ aber in der ſchrifft ſelbs den Papiſtiſchen ſinn gantz
deutlich geoffenbahret/ wie er auch nechſtens darauff oͤffentlich zu gegentheil
uͤbergetreten/ oder vielmehr nur damit/ was ſchon in ihm geweſen/ vor der
welt auch bekant hat. Daher uns was er ſchreibt/ ſo wenig graviren kan/
als andere der Papiſten eigene ſchrifften. Jndeſſen wird unvorſichtigen o-
der doch dieſer hiſtorie unwiſſenden leuten ein blauer dunſt vor die augen ge-
macht/ als ob er/ als er ſein buch geſchrieben/ noch ein auffrichtiger Luthera-
ner geweſen/ und moͤge man ihn mit fug wider uns anziehen. Welches zu
thun ſich billig huͤten ſolten/ die von chriſtlichem candore profeſſion machen.
Der HErr HErr ſteure allen irrthumen/ wehre der macht Babels und hei-
lige uns alle in ſeiner wahrheit/ ſein wort iſt die wahrheit Amen.

SECTIO XVI.
Wie die vierdte bitte zu verſtehen? Ob GOtt und
die Gottheit unterſchieden? Ob die Gottheit in
Chriſto gelidten?

DJe beyde fragen anlangend: ſo betraff die erſte die vierdte bitte des
Vater unſers/ ob eigentlich der grund-text uͤberweſentliches oder
taͤgliches brodt nenne: Nun iſt nicht ohne/ daß wie das Grichiſche
wort lautet/ daſſelbe wol moͤchte uͤberweſentlich gegeben werden/ und alſo
heiſſen/ wie auch unſer liebe Lutherus T. I. Altenb. f. 91. a. erſtlich ſolche deu-
tung ſich nicht mißfallen laſſen/ ſondern ſie angenommen hat: indeſſen moͤ-
gen wir nicht ſagen/ daß das Grichiſche wort nothwendig uͤberweſent-
lich gedolmetſchet werden muͤſſe/ ſondern es kan gantz recht heiſſen taͤglich
brodt/ das nachfolgende brodt/ oder das brodt des folgenden tages.
Wie in dem grund-text Apoſt. Geſch. 7/ 26. 16/ 11. 20/ 15. 21/ 18. 23/ 11.
dasjenige woͤrtlein den folgenden tag anzeiget/ von welchem das hier befind-
liche herſtammet. Wann dann nun beyderley verſtand dem wort an ſich
ſelbs nicht zu wider iſt/ fragt ſichs nun/ welchen man gewiſſer annehmen koͤn-
te/ da laͤugne ich nun nicht/ daß ich den verſtand verſicherter halte/ da es gege-
ben wird unſer taͤglich brodt/ um damit die zeitliche nahrung auszutru-
cken. Meine urſachen ſind unter andern dieſe: wo wir das uͤberweſentliche
brodt Chriſtum/ oder auch ſein wort damit verſtanden haben wolten/ wuͤr-
den wir die zeitliche nahrung entweder zugleich mit verſtehen/ oder ſie davon
ausſchlieſſen: das erſte laͤſſet ſich nicht wol thun/ da wir unter einem wort
des brodts ſo gantz unterſchiedliche dinge/ die in keinem gemeinen verſtand
uͤberein kommen/ der ſie bequem mit einander einfaſte/ begreiffen wolten/

nem-
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[144/0160] Das erſte Capitel. er uns an/ behalten/ aber in der ſchrifft ſelbs den Papiſtiſchen ſinn gantz deutlich geoffenbahret/ wie er auch nechſtens darauff oͤffentlich zu gegentheil uͤbergetreten/ oder vielmehr nur damit/ was ſchon in ihm geweſen/ vor der welt auch bekant hat. Daher uns was er ſchreibt/ ſo wenig graviren kan/ als andere der Papiſten eigene ſchrifften. Jndeſſen wird unvorſichtigen o- der doch dieſer hiſtorie unwiſſenden leuten ein blauer dunſt vor die augen ge- macht/ als ob er/ als er ſein buch geſchrieben/ noch ein auffrichtiger Luthera- ner geweſen/ und moͤge man ihn mit fug wider uns anziehen. Welches zu thun ſich billig huͤten ſolten/ die von chriſtlichem candore profeſſion machen. Der HErr HErr ſteure allen irrthumen/ wehre der macht Babels und hei- lige uns alle in ſeiner wahrheit/ ſein wort iſt die wahrheit Amen. SECTIO XVI. Wie die vierdte bitte zu verſtehen? Ob GOtt und die Gottheit unterſchieden? Ob die Gottheit in Chriſto gelidten? DJe beyde fragen anlangend: ſo betraff die erſte die vierdte bitte des Vater unſers/ ob eigentlich der grund-text uͤberweſentliches oder taͤgliches brodt nenne: Nun iſt nicht ohne/ daß wie das Grichiſche wort lautet/ daſſelbe wol moͤchte uͤberweſentlich gegeben werden/ und alſo heiſſen/ wie auch unſer liebe Lutherus T. I. Altenb. f. 91. a. erſtlich ſolche deu- tung ſich nicht mißfallen laſſen/ ſondern ſie angenommen hat: indeſſen moͤ- gen wir nicht ſagen/ daß das Grichiſche wort nothwendig uͤberweſent- lich gedolmetſchet werden muͤſſe/ ſondern es kan gantz recht heiſſen taͤglich brodt/ das nachfolgende brodt/ oder das brodt des folgenden tages. Wie in dem grund-text Apoſt. Geſch. 7/ 26. 16/ 11. 20/ 15. 21/ 18. 23/ 11. dasjenige woͤrtlein den folgenden tag anzeiget/ von welchem das hier befind- liche herſtammet. Wann dann nun beyderley verſtand dem wort an ſich ſelbs nicht zu wider iſt/ fragt ſichs nun/ welchen man gewiſſer annehmen koͤn- te/ da laͤugne ich nun nicht/ daß ich den verſtand verſicherter halte/ da es gege- ben wird unſer taͤglich brodt/ um damit die zeitliche nahrung auszutru- cken. Meine urſachen ſind unter andern dieſe: wo wir das uͤberweſentliche brodt Chriſtum/ oder auch ſein wort damit verſtanden haben wolten/ wuͤr- den wir die zeitliche nahrung entweder zugleich mit verſtehen/ oder ſie davon ausſchlieſſen: das erſte laͤſſet ſich nicht wol thun/ da wir unter einem wort des brodts ſo gantz unterſchiedliche dinge/ die in keinem gemeinen verſtand uͤberein kommen/ der ſie bequem mit einander einfaſte/ begreiffen wolten/ nem-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/160>, abgerufen am 29.03.2024.