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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XXI.
was ein solcher fehler ist/ der ihn nicht aus göttlicher gnade setzet/ so einem
andern eine todt-sünde ist. So lange der glaube und aus demselben der red-
liche und kräfftige vorsatz des kindlichen gehorsams gegen seinen himmlischen
Vater/ in dem hertzen bleibet/ sinds lauter kindliche schwachheiten/ die be-
gangen werden. Wo aber jene nicht sind/ können keine andere als todt-sün-
den erkant werden. Wo auch einer im guten stand gestanden/ er fället aber
in sicherheit/ und lässet den hertzlichen vorsatz des gehorsams hinfallen/ oder
achtet seiner nicht viel/ ists bald geschehen/ daß dinge/ welche geringe fehler
sonsten scheinen/ wahrhaftig todt-sünden werden. Jnsgesamt muß man in der
materie darauff sehen/ daß weder einer seits der sicherheit pulster unter ge-
leget/ noch anderseits die freudigkeit der wahren kinder GOttes um ihrer
schwachheit willen niedergeschlagen werde: Welche beyderley fehler fast
gleichen schaden thun. Der HErr gebe uns auch darinnen allezeit die wahr-
heit zu erkennen/ und lasse seine kinder weder von seinem gehorsam in sicher-
heit abweichen/ noch aus ängstlicher furcht in dem glauben schwach werden
um Christi willen/ Amen. 1694.

SECTIO XXII.
Von der krafft und wirckung göttlichen worts.

VOn der krafft und wirckung göttlichen worts mache ich diese sätze:

1. Das göttliche wort ist aus GOttes freywilliger gnaden-
ordnung in sich selbst kräfftig/
so wohl den verstand des men-
schen zu erleuchten/ als auch den willen zu bewegen und zu ändern/ folg-
lich das wahrhafftige kräfftige mittel unserer erleuchtung und bekehrung: so
mit recht von unsern Theologis aus Rom. 1/ 16. Joh. 6/ 63. Rom. 10/
17. Joh.
17/ 17. 20. erwiesen wird: Also muß man nicht darvor halten/
daß es bloß ein leidender werckzeug seye/ welches in sich seine krafft nicht habe
sondern nur sowiel alsder jenige/ der es gebraucht/ dißmahl darein thun und
ihm erst krafft geben will; sondern es ist ein solches mittel/ wie der saamen/
aus dem etwas erwachsen solle/ wie die speise und tranck/ die uns nehren
müssen/ wie das aug und andere glieder/ durch die seele sihet/ oder andere
ihre verrichtungen thut/ da wir sagen müssen/ daß wahrhafftig in allen da-
nenselbigen eine eigentliche kraft und tüchtigkeit zu dem jenigen seye/ was da-
durch geschihet. Daher die jenige sehr unrecht thun/ welche die schrifft
oder gottes wort vor einen todten buchstaben oder etwas unkräfftiges
achten.
2. Der Heil. Geist ist allezeit mit/ bey und in dem wort/ durch
dasselbige nach dem 3. artickel zu wircken in denen jenigen/ welche seiner wir-
ckung

SECTIO XXI.
was ein ſolcher fehler iſt/ der ihn nicht aus goͤttlicher gnade ſetzet/ ſo einem
andern eine todt-ſuͤnde iſt. So lange der glaube und aus demſelben der red-
liche und kraͤfftige vorſatz des kindlichen gehorſams gegen ſeinen himmliſchen
Vater/ in dem hertzen bleibet/ ſinds lauter kindliche ſchwachheiten/ die be-
gangen werden. Wo aber jene nicht ſind/ koͤnnen keine andere als todt-ſuͤn-
den erkant werden. Wo auch einer im guten ſtand geſtanden/ er faͤllet aber
in ſicherheit/ und laͤſſet den hertzlichen vorſatz des gehorſams hinfallen/ oder
achtet ſeiner nicht viel/ iſts bald geſchehen/ daß dinge/ welche geringe fehler
ſonſten ſcheinen/ wahrhaftig todt-ſuͤnden werden. Jnsgeſamt muß man in der
materie darauff ſehen/ daß weder einer ſeits der ſicherheit pulſter unter ge-
leget/ noch anderſeits die freudigkeit der wahren kinder GOttes um ihrer
ſchwachheit willen niedergeſchlagen werde: Welche beyderley fehler faſt
gleichen ſchaden thun. Der HErr gebe uns auch darinnen allezeit die wahr-
heit zu erkennen/ und laſſe ſeine kinder weder von ſeinem gehorſam in ſicher-
heit abweichen/ noch aus aͤngſtlicher furcht in dem glauben ſchwach werden
um Chriſti willen/ Amen. 1694.

SECTIO XXII.
Von der krafft und wirckung goͤttlichen worts.

VOn der krafft und wirckung goͤttlichen worts mache ich dieſe ſaͤtze:

1. Das goͤttliche wort iſt aus GOttes freywilliger gnaden-
ordnung in ſich ſelbſt kraͤfftig/
ſo wohl den verſtand des men-
ſchen zu erleuchten/ als auch den willen zu bewegen und zu aͤndern/ folg-
lich das wahrhafftige kraͤfftige mittel unſerer erleuchtung und bekehrung: ſo
mit recht von unſern Theologis aus Rom. 1/ 16. Joh. 6/ 63. Rom. 10/
17. Joh.
17/ 17. 20. erwieſen wird: Alſo muß man nicht darvor halten/
daß es bloß ein leidender werckzeug ſeye/ welches in ſich ſeine krafft nicht habe
ſondern nur ſowiel alsder jenige/ der es gebraucht/ dißmahl darein thun und
ihm erſt krafft geben will; ſondern es iſt ein ſolches mittel/ wie der ſaamen/
aus dem etwas erwachſen ſolle/ wie die ſpeiſe und tranck/ die uns nehren
muͤſſen/ wie das aug und andere glieder/ durch die ſeele ſihet/ oder andere
ihre verrichtungen thut/ da wir ſagen muͤſſen/ daß wahrhafftig in allen da-
nenſelbigen eine eigentliche kraft und tuͤchtigkeit zu dem jenigen ſeye/ was da-
durch geſchihet. Daher die jenige ſehr unrecht thun/ welche die ſchrifft
oder gottes wort vor einen todten buchſtaben oder etwas unkraͤfftiges
achten.
2. Der Heil. Geiſt iſt allezeit mit/ bey und in dem wort/ durch
daſſelbige nach dem 3. artickel zu wircken in denen jenigen/ welche ſeiner wir-
ckung
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[159/0175] SECTIO XXI. was ein ſolcher fehler iſt/ der ihn nicht aus goͤttlicher gnade ſetzet/ ſo einem andern eine todt-ſuͤnde iſt. So lange der glaube und aus demſelben der red- liche und kraͤfftige vorſatz des kindlichen gehorſams gegen ſeinen himmliſchen Vater/ in dem hertzen bleibet/ ſinds lauter kindliche ſchwachheiten/ die be- gangen werden. Wo aber jene nicht ſind/ koͤnnen keine andere als todt-ſuͤn- den erkant werden. Wo auch einer im guten ſtand geſtanden/ er faͤllet aber in ſicherheit/ und laͤſſet den hertzlichen vorſatz des gehorſams hinfallen/ oder achtet ſeiner nicht viel/ iſts bald geſchehen/ daß dinge/ welche geringe fehler ſonſten ſcheinen/ wahrhaftig todt-ſuͤnden werden. Jnsgeſamt muß man in der materie darauff ſehen/ daß weder einer ſeits der ſicherheit pulſter unter ge- leget/ noch anderſeits die freudigkeit der wahren kinder GOttes um ihrer ſchwachheit willen niedergeſchlagen werde: Welche beyderley fehler faſt gleichen ſchaden thun. Der HErr gebe uns auch darinnen allezeit die wahr- heit zu erkennen/ und laſſe ſeine kinder weder von ſeinem gehorſam in ſicher- heit abweichen/ noch aus aͤngſtlicher furcht in dem glauben ſchwach werden um Chriſti willen/ Amen. 1694. SECTIO XXII. Von der krafft und wirckung goͤttlichen worts. VOn der krafft und wirckung goͤttlichen worts mache ich dieſe ſaͤtze: 1. Das goͤttliche wort iſt aus GOttes freywilliger gnaden- ordnung in ſich ſelbſt kraͤfftig/ ſo wohl den verſtand des men- ſchen zu erleuchten/ als auch den willen zu bewegen und zu aͤndern/ folg- lich das wahrhafftige kraͤfftige mittel unſerer erleuchtung und bekehrung: ſo mit recht von unſern Theologis aus Rom. 1/ 16. Joh. 6/ 63. Rom. 10/ 17. Joh. 17/ 17. 20. erwieſen wird: Alſo muß man nicht darvor halten/ daß es bloß ein leidender werckzeug ſeye/ welches in ſich ſeine krafft nicht habe ſondern nur ſowiel alsder jenige/ der es gebraucht/ dißmahl darein thun und ihm erſt krafft geben will; ſondern es iſt ein ſolches mittel/ wie der ſaamen/ aus dem etwas erwachſen ſolle/ wie die ſpeiſe und tranck/ die uns nehren muͤſſen/ wie das aug und andere glieder/ durch die ſeele ſihet/ oder andere ihre verrichtungen thut/ da wir ſagen muͤſſen/ daß wahrhafftig in allen da- nenſelbigen eine eigentliche kraft und tuͤchtigkeit zu dem jenigen ſeye/ was da- durch geſchihet. Daher die jenige ſehr unrecht thun/ welche die ſchrifft oder gottes wort vor einen todten buchſtaben oder etwas unkraͤfftiges achten. 2. Der Heil. Geiſt iſt allezeit mit/ bey und in dem wort/ durch daſſelbige nach dem 3. artickel zu wircken in denen jenigen/ welche ſeiner wir- ckung

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/175>, abgerufen am 29.03.2024.