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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO LVII.
andern schrifften etwas desiderirt und zeigt/ daß es verbessert werden könte:
geschihet auch ihm nicht zu schimpff/ sondern aus der macht/ da auch nach
Gottes ordnung die geister der Propheten andern unterthan seyn
sollen.
Dieses ist diejenige meinung/ darinnen ich mich wol gegründet ach-
te/ und davon nimmer werde abbringen lassen/ entweder Lutheri schrifften
zuvergöttern und sie ohne fehl glauben zu seyn/ oder aber anderntheils ihn zu
verachten/ und die theure gabe GOttes so in ihn geleget/ gering zu schätzen.
Wo ich auch nicht solche schrifften hochhielte/ würde ich nimmermehr mich
dieser arbeit unterfangen haben. Wiefern aber etwa Calixtus oder Hor-
nejus
mögen Lutherum verachtet haben oder nicht/ bekümmere ich mich nicht/
der ich auch von solchen leuten mit fleiß wenig gelesen. Jm übrigen daß un-
sere kirchen leider zu dieser zeit in betrübtem und elenden stande stehen/ ligt
gnug vor augen/ daß aber die ursach dessen seye/ daß Lutheri lehr nicht in ge-
bührendem wehrt geachtet worden/ glaube ich nicht. Dem Höchsten seye danck/
wir haben die lehre Lutheri noch auff diese jetzige stunde in der kirche ohn aus-
nahm eines einigen glaubens-articuls: GOtt erhalte sie bey uns noch fer-
ner. Aber der mangel stehet alles daran/ daß bey der reinen lehr Lutheri/
die übrig geblieben ist/ nicht auch der reine und von ihm in allen schrifften rüh-
mende wahre glaube/ bey den meisten übrig/ sondern diese einbildung einge-
schlichen ist/ wo man die wahre und reine lehr Lutheri habe/ habe man schon
aus derselben die seligkeit. Diese sicherheit und unglauben/ der leider bey
der wahren lehr dannoch so gewaltig herrschet/ ist die ursach/ so uns GOttes
zorn auff den halß ziehet/ und wo da nicht geholffen wird/ wol verursachen
mag/ daß uns endlich GOtt auch die rechte lehr/ die wir nicht zu rechtem ende
und nutzen gebrauchen/ aus gerechtem gericht/ entzogen werden/ und das
Pabstthum an vielen orten die obhand wieder bekommen lasse. GOtt gebe
uns hierinnen rechte erkäntnüß des jetzigen zustands dem zukünfftigen zorn
zu entfliehen. 1673.

SECTIO LVIII.
Daß die verderbnüß unsrer kirchen uns von der
Päpstischen nicht vorgeworffen werden könne/ sondern
bey derselben alles ärger seye.

WAs mein hochg. Hr. klaget von der verderbnüß auch unsers ordens/
und wie in demselben bey den meisten uneinigkeit und eigengesuch
herrsche/ ist eben dasjenige/ davon schon längst und offt meine klage
publice ausgeschüttet/ obwol bey vielen wenig danck damit verdienet habe.
Wie ich auch/ wo ich mit aller anwendenden mühe und sorge nur etwas an

der
L l 2

SECTIO LVII.
andern ſchrifften etwas deſiderirt und zeigt/ daß es verbeſſert werden koͤnte:
geſchihet auch ihm nicht zu ſchimpff/ ſondern aus der macht/ da auch nach
Gottes ordnung die geiſter der Propheten andern unterthan ſeyn
ſollen.
Dieſes iſt diejenige meinung/ darinnen ich mich wol gegruͤndet ach-
te/ und davon nimmer werde abbringen laſſen/ entweder Lutheri ſchrifften
zuvergoͤttern und ſie ohne fehl glauben zu ſeyn/ oder aber anderntheils ihn zu
verachten/ und die theure gabe GOttes ſo in ihn geleget/ gering zu ſchaͤtzen.
Wo ich auch nicht ſolche ſchrifften hochhielte/ wuͤrde ich nimmermehr mich
dieſer arbeit unterfangen haben. Wiefern aber etwa Calixtus oder Hor-
nejus
moͤgen Lutherum verachtet haben oder nicht/ bekuͤmmere ich mich nicht/
der ich auch von ſolchen leuten mit fleiß wenig geleſen. Jm uͤbrigen daß un-
ſere kirchen leider zu dieſer zeit in betruͤbtem und elenden ſtande ſtehen/ ligt
gnug vor augen/ daß aber die urſach deſſen ſeye/ daß Lutheri lehr nicht in ge-
buͤhrendem wehꝛt geachtet worden/ glaube ich nicht. Dem Hoͤchſten ſeye danck/
wir haben die lehre Lutheri noch auff dieſe jetzige ſtunde in der kirche ohn aus-
nahm eines einigen glaubens-articuls: GOtt erhalte ſie bey uns noch fer-
ner. Aber der mangel ſtehet alles daran/ daß bey der reinen lehr Lutheri/
die uͤbrig geblieben iſt/ nicht auch der reine und von ihm in allen ſchrifften ruͤh-
mende wahre glaube/ bey den meiſten uͤbrig/ ſondern dieſe einbildung einge-
ſchlichen iſt/ wo man die wahre und reine lehr Lutheri habe/ habe man ſchon
aus derſelben die ſeligkeit. Dieſe ſicherheit und unglauben/ der leider bey
der wahren lehr dannoch ſo gewaltig herrſchet/ iſt die urſach/ ſo uns GOttes
zorn auff den halß ziehet/ und wo da nicht geholffen wird/ wol verurſachen
mag/ daß uns endlich GOtt auch die rechte lehr/ die wir nicht zu rechtem ende
und nutzen gebrauchen/ aus gerechtem gericht/ entzogen werden/ und das
Pabſtthum an vielen orten die obhand wieder bekommen laſſe. GOtt gebe
uns hierinnen rechte erkaͤntnuͤß des jetzigen zuſtands dem zukuͤnfftigen zorn
zu entfliehen. 1673.

SECTIO LVIII.
Daß die verderbnuͤß unſrer kirchen uns von der
Paͤpſtiſchen nicht vorgeworffen werden koͤnne/ ſondern
bey derſelben alles aͤrger ſeye.

WAs mein hochg. Hr. klaget von der verderbnuͤß auch unſers ordens/
und wie in demſelben bey den meiſten uneinigkeit und eigengeſuch
herrſche/ iſt eben dasjenige/ davon ſchon laͤngſt und offt meine klage
publice ausgeſchuͤttet/ obwol bey vielen wenig danck damit verdienet habe.
Wie ich auch/ wo ich mit aller anwendenden muͤhe und ſorge nur etwas an

der
L l 2
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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/283>, abgerufen am 28.03.2024.