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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. IV. SECT. X.
und vereinige die zerrüttete gemüther kräfftiglich/ ins künfftige mit einer absicht und
redlicher zusammenhaltung göttliche ehre in dem anvertrauten in seinem seegen
nachtrücklich zu befördern.

SECTIO X.
Einige fragen/ wegen der bestraffuug der sünden/
und wie damit anzuhalten. Das Evangelium
allen zu predigen.

WJe mir dessen werther nahme und ruhm tragenden eiffers vor die ehre
GOttes bereit anderwerts her bekannt worden/ so ist mir das neuliche
freundliche schreiben auch angenehm gewesen/ als ein anfang christli-
cher kund- und freundschafft unter uns: woraus wo durch GOttes seegen zu unser
beyder auffmunterung einige fernere früchten folgen werden/ wird mirs sehr an-
genehm seyn. Was das communicirte anligen anlangt/ sehe ich/ daß es meinem
werthen bruder gehet/ wie auch anderwertlich treue diener des HErrn pflegen
gehandelt zu werden. Wobey aber die kräfftige gnade des H. Geistes anwün-
sche/ und in dem werck des HErren dadurch nicht weich zu werden/ so dann die
himmlische klugheit der gerechten/ was in solcher sache iedes mahl das rathsamste
und verträglichste/ zu erkennen und nachmahl zuthun. So ist nun auff die erste
frage so also lautet: Was hierinnen zuthun meinem gewissen rathsam seye/
da die zuhörer mehrentheils an der vielen/ doch allemahl aus dringender
ursach geschehenen bestraffung der offenbahren sünden und absonderlich
an den so offt maligen erinnerungen/ wie nemlich der jetzige gemeine glau-
be nur eine fleischliche einbildung seye/ wodurch die seligkeit nicht erhal-
ten werden könne/ auch Christi verdienst und GOttes gnade keinen an-
gehen als allein die bußfertige/ die busse aber den menschen verändern müs-
se/ und ohne solche veränderung des gemüths und wandels niemand seiner
seligkeit versichert seyn möge/ und man sich also mit dem glauben/ ver-
dienst Christi und GOttes gnade bey beharrlichen sünden nur vergeblich
tröste/ sich wie wohl ohne einige schuld/ jedoch aber zu ihrer seelen verle-
tzung stossen und ärgeren?
Hierauff zu antworten/ praesupponire ich nothwen-
dig einige stücke. Als 1. daß ich hoffe/ mein geliebter bruder werde in solchen an-
ziehenden bestraffungen in denjenigen schrancken bleiben/ welche die regeln unsers
amts uns selbsten setzen/ daher sie auch auff solche art verrichten/ daß die zuhörer
nicht ursach finden/ da sie nicht vermögen die sache selbs anzugreiffen/ den modum
eines straffbaren excessus zubeschuldigen. 2. daß desselben predigten nicht bloß
allein in lauter straffen bestehen/ sondern auch das Evangelium der gemeinde

vor-

ARTIC. IV. SECT. X.
und vereinige die zerruͤttete gemuͤther kraͤfftiglich/ ins kuͤnfftige mit einer abſicht und
redlicher zuſammenhaltung goͤttliche ehre in dem anvertrauten in ſeinem ſeegen
nachtruͤcklich zu befoͤrdern.

SECTIO X.
Einige fragen/ wegen der beſtraffuug der ſuͤnden/
und wie damit anzuhalten. Das Evangelium
allen zu predigen.

WJe mir deſſen werther nahme und ruhm tragenden eiffers vor die ehre
GOttes bereit anderwerts her bekannt worden/ ſo iſt mir das neuliche
freundliche ſchreiben auch angenehm geweſen/ als ein anfang chriſtli-
cher kund- und freundſchafft unter uns: woraus wo durch GOttes ſeegen zu unſer
beyder auffmunterung einige fernere fruͤchten folgen werden/ wird mirs ſehr an-
genehm ſeyn. Was das communicirte anligen anlangt/ ſehe ich/ daß es meinem
werthen bruder gehet/ wie auch anderwertlich treue diener des HErrn pflegen
gehandelt zu werden. Wobey aber die kraͤfftige gnade des H. Geiſtes anwuͤn-
ſche/ und in dem werck des HErren dadurch nicht weich zu werden/ ſo dann die
himmliſche klugheit der gerechten/ was in ſolcher ſache iedes mahl das rathſamſte
und vertraͤglichſte/ zu erkennen und nachmahl zuthun. So iſt nun auff die erſte
frage ſo alſo lautet: Was hierinnen zuthun meinem gewiſſen rathſam ſeye/
da die zuhoͤrer mehrentheils an der vielen/ doch allemahl aus dringender
urſach geſchehenen beſtraffung der offenbahren ſuͤnden und abſonderlich
an den ſo offt maligen erinnerungen/ wie nemlich der jetzige gemeine glau-
be nur eine fleiſchliche einbildung ſeye/ wodurch die ſeligkeit nicht erhal-
ten werden koͤnne/ auch Chriſti verdienſt und GOttes gnade keinen an-
gehen als allein die bußfertige/ die buſſe aber den menſchen veraͤndern muͤſ-
ſe/ und ohne ſolche veraͤnderung des gemuͤths und wandels niemand ſeiner
ſeligkeit verſichert ſeyn moͤge/ und man ſich alſo mit dem glauben/ ver-
dienſt Chriſti und GOttes gnade bey beharrlichen ſuͤnden nur vergeblich
troͤſte/ ſich wie wohl ohne einige ſchuld/ jedoch aber zu ihrer ſeelen verle-
tzung ſtoſſen und aͤrgeren?
Hierauff zu antworten/ præſupponire ich nothwen-
dig einige ſtuͤcke. Als 1. daß ich hoffe/ mein geliebter bruder werde in ſolchen an-
ziehenden beſtraffungen in denjenigen ſchrancken bleiben/ welche die regeln unſers
amts uns ſelbſten ſetzen/ daher ſie auch auff ſolche art verrichten/ daß die zuhoͤrer
nicht urſach finden/ da ſie nicht vermoͤgen die ſache ſelbs anzugreiffen/ den modum
eines ſtraffbaren exceſsus zubeſchuldigen. 2. daß deſſelben predigten nicht bloß
allein in lauter ſtraffen beſtehen/ ſondern auch das Evangelium der gemeinde

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[39/0839] ARTIC. IV. SECT. X. und vereinige die zerruͤttete gemuͤther kraͤfftiglich/ ins kuͤnfftige mit einer abſicht und redlicher zuſammenhaltung goͤttliche ehre in dem anvertrauten in ſeinem ſeegen nachtruͤcklich zu befoͤrdern. SECTIO X. Einige fragen/ wegen der beſtraffuug der ſuͤnden/ und wie damit anzuhalten. Das Evangelium allen zu predigen. WJe mir deſſen werther nahme und ruhm tragenden eiffers vor die ehre GOttes bereit anderwerts her bekannt worden/ ſo iſt mir das neuliche freundliche ſchreiben auch angenehm geweſen/ als ein anfang chriſtli- cher kund- und freundſchafft unter uns: woraus wo durch GOttes ſeegen zu unſer beyder auffmunterung einige fernere fruͤchten folgen werden/ wird mirs ſehr an- genehm ſeyn. Was das communicirte anligen anlangt/ ſehe ich/ daß es meinem werthen bruder gehet/ wie auch anderwertlich treue diener des HErrn pflegen gehandelt zu werden. Wobey aber die kraͤfftige gnade des H. Geiſtes anwuͤn- ſche/ und in dem werck des HErren dadurch nicht weich zu werden/ ſo dann die himmliſche klugheit der gerechten/ was in ſolcher ſache iedes mahl das rathſamſte und vertraͤglichſte/ zu erkennen und nachmahl zuthun. So iſt nun auff die erſte frage ſo alſo lautet: Was hierinnen zuthun meinem gewiſſen rathſam ſeye/ da die zuhoͤrer mehrentheils an der vielen/ doch allemahl aus dringender urſach geſchehenen beſtraffung der offenbahren ſuͤnden und abſonderlich an den ſo offt maligen erinnerungen/ wie nemlich der jetzige gemeine glau- be nur eine fleiſchliche einbildung ſeye/ wodurch die ſeligkeit nicht erhal- ten werden koͤnne/ auch Chriſti verdienſt und GOttes gnade keinen an- gehen als allein die bußfertige/ die buſſe aber den menſchen veraͤndern muͤſ- ſe/ und ohne ſolche veraͤnderung des gemuͤths und wandels niemand ſeiner ſeligkeit verſichert ſeyn moͤge/ und man ſich alſo mit dem glauben/ ver- dienſt Chriſti und GOttes gnade bey beharrlichen ſuͤnden nur vergeblich troͤſte/ ſich wie wohl ohne einige ſchuld/ jedoch aber zu ihrer ſeelen verle- tzung ſtoſſen und aͤrgeren? Hierauff zu antworten/ præſupponire ich nothwen- dig einige ſtuͤcke. Als 1. daß ich hoffe/ mein geliebter bruder werde in ſolchen an- ziehenden beſtraffungen in denjenigen ſchrancken bleiben/ welche die regeln unſers amts uns ſelbſten ſetzen/ daher ſie auch auff ſolche art verrichten/ daß die zuhoͤrer nicht urſach finden/ da ſie nicht vermoͤgen die ſache ſelbs anzugreiffen/ den modum eines ſtraffbaren exceſsus zubeſchuldigen. 2. daß deſſelben predigten nicht bloß allein in lauter ſtraffen beſtehen/ ſondern auch das Evangelium der gemeinde vor-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/839>, abgerufen am 28.03.2024.