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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. VI. SECT. XII.
welche nicht ohne jene vergeben werden möchte. Ein anders wärs/ wo etwa
die person selbs anfinge scrupulos in ihren gewissen zu bekommen/ und sie also
göttlicher finger dardurch gleichsam selbs zu offenbahrung wiese/ so wäre als-
dann auch darinnen den jenigen zu folgen. Jch sehe auch weniges/ was die-
ser meinung möchte entgegen gesetzet werden/ oder was die Obrigkeit über sol-
cher sache/ wo es verborgen bliebe/ zu kurtz käme. Daß die Obrigkeit eine
sache bekant werden solle/ geschihet darum/ damit sie ihr amt thun möge zu ab-
schaffung bösen exempels und ärgernüsses. Da nun an dieser dirne/ dero mis-
sethat offenbahr/ dieselbe gestrafft wird/ so ists ein so grosses nicht/ daß die
jenige/ welche mit gesündiget/ eben nicht auff gleiche weise gestrafft wird/
nachdem deroselben begangenes nicht bekant worden. Daß sich deßwegen
niemand daran ärgern mag/ weil die schuld verborgen geblieben.
Dieses einige möchte einen schein haben/ daß der Obrigkeit
die straffe oder mulcta so ihr von den übertretern gebührte/ entzogen
würde/ wie aber auch solche straffe wohl das wenigste/ darum die Obrigkeit
da ist/ so kan doch auch damit gerathen/ und diejenige/ welche schuldig sind/
dahin angewiesen werden/ daß dasjenige/ was ihrer übertretung wegen der
Obrigkeit von ihnen gebührte/ derselben auff eine art/ da man ihrer doch nicht
gewahr würde/ deren vielerley seyn konnen/ von ihnen zukäme/ auff daß also
auch in dieser sache nichts übrig bleibe/ was so zu reden eine gegen die Obrigkeit
fortwehrende sünde/ daher nicht anders als mit einem von selbsten neugeschehen-
den anmelden und abermaliger bekänntns/ zuversöhnen wäre: dieses wäre über
den vorgelegten casum meine Christliche meynung/ welche ich meines werthen
bruders eigener beurtheilung/ und wie sie mit dessen gewissen übereinstimme/
billich überlasse: dabey den HErren hertzlich anruffe/ welcher so wohl demsel-
ben selbs wie in allen andern amts-angelegenheiten/ also auch in dieser gegen
wärtigen/ mit dem geist der weißheit erfüllen wolle/ dasjenige zuerkennen/ wo
mit am besten die ehre des HErren und der zuhörer heil befordert werden möchte
als auch diejenige samtlich in dieser sache interessirte personen dahin regiere/ daß
sie in nichts ihr gewissen auffs neue beschwehren/ sondern dessen bereits an sich
tragende wunden heilen lassen/ damit niemand unter ihnen allen verlohren/ viel-
mehr ihre fälle ihnen ein neues aufferstehn und steter antrieb das gantze leben so
viel demüthiger und vorsichtiger vor GOTT/ und erbaulicher
vor den nebenmenschen/ zu führen werden möge.
1682.

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ARTIC. VI. SECT. XII.
welche nicht ohne jene vergeben werden moͤchte. Ein anders waͤrs/ wo etwa
die perſon ſelbs anfinge ſcrupulos in ihren gewiſſen zu bekommen/ und ſie alſo
goͤttlicher finger dardurch gleichſam ſelbs zu offenbahrung wieſe/ ſo waͤre als-
dann auch darinnen den jenigen zu folgen. Jch ſehe auch weniges/ was die-
ſer meinung moͤchte entgegen geſetzet werden/ oder was die Obrigkeit uͤber ſol-
cher ſache/ wo es verborgen bliebe/ zu kurtz kaͤme. Daß die Obrigkeit eine
ſache bekant werden ſolle/ geſchihet darum/ damit ſie ihr amt thun moͤge zu ab-
ſchaffung boͤſen exempels und aͤrgernuͤſſes. Da nun an dieſer dirne/ dero miſ-
ſethat offenbahr/ dieſelbe geſtrafft wird/ ſo iſts ein ſo groſſes nicht/ daß die
jenige/ welche mit geſuͤndiget/ eben nicht auff gleiche weiſe geſtrafft wird/
nachdem deroſelben begangenes nicht bekant worden. Daß ſich deßwegen
niemand daran aͤrgern mag/ weil die ſchuld verborgen geblieben.
Dieſes einige moͤchte einen ſchein haben/ daß der Obrigkeit
die ſtraffe oder mulcta ſo ihr von den uͤbertretern gebuͤhrte/ entzogen
wuͤrde/ wie aber auch ſolche ſtraffe wohl das wenigſte/ darum die Obrigkeit
da iſt/ ſo kan doch auch damit gerathen/ und diejenige/ welche ſchuldig ſind/
dahin angewieſen werden/ daß dasjenige/ was ihrer uͤbertretung wegen der
Obrigkeit von ihnen gebuͤhrte/ derſelben auff eine art/ da man ihrer doch nicht
gewahr wuͤrde/ deren vielerley ſeyn konnen/ von ihnen zukaͤme/ auff daß alſo
auch in dieſer ſache nichts uͤbrig bleibe/ was ſo zu reden eine gegen die Obrigkeit
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den anmelden und abermaliger bekaͤnntns/ zuverſoͤhnen waͤre: dieſes waͤre uͤber
den vorgelegten caſum meine Chriſtliche meynung/ welche ich meines werthen
bruders eigener beurtheilung/ und wie ſie mit deſſen gewiſſen uͤbereinſtimme/
billich uͤberlaſſe: dabey den HErren hertzlich anruffe/ welcher ſo wohl demſel-
ben ſelbs wie in allen andern amts-angelegenheiten/ alſo auch in dieſer gegen
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mit am beſten die ehre des HErren und der zuhoͤrer heil befordert werden moͤchte
als auch diejenige ſamtlich in dieſer ſache intereſſirte perſonen dahin regiere/ daß
ſie in nichts ihr gewiſſen auffs neue beſchwehren/ ſondern deſſen bereits an ſich
tragende wunden heilen laſſen/ damit niemand unter ihnen allen verlohren/ viel-
mehr ihre faͤlle ihnen ein neues aufferſtehn und ſteter antrieb das gantze leben ſo
viel demuͤthiger und vorſichtiger vor GOTT/ und erbaulicher
vor den nebenmenſchen/ zu fuͤhren werden moͤge.
1682.

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[227/1027] ARTIC. VI. SECT. XII. welche nicht ohne jene vergeben werden moͤchte. Ein anders waͤrs/ wo etwa die perſon ſelbs anfinge ſcrupulos in ihren gewiſſen zu bekommen/ und ſie alſo goͤttlicher finger dardurch gleichſam ſelbs zu offenbahrung wieſe/ ſo waͤre als- dann auch darinnen den jenigen zu folgen. Jch ſehe auch weniges/ was die- ſer meinung moͤchte entgegen geſetzet werden/ oder was die Obrigkeit uͤber ſol- cher ſache/ wo es verborgen bliebe/ zu kurtz kaͤme. Daß die Obrigkeit eine ſache bekant werden ſolle/ geſchihet darum/ damit ſie ihr amt thun moͤge zu ab- ſchaffung boͤſen exempels und aͤrgernuͤſſes. Da nun an dieſer dirne/ dero miſ- ſethat offenbahr/ dieſelbe geſtrafft wird/ ſo iſts ein ſo groſſes nicht/ daß die jenige/ welche mit geſuͤndiget/ eben nicht auff gleiche weiſe geſtrafft wird/ nachdem deroſelben begangenes nicht bekant worden. Daß ſich deßwegen niemand daran aͤrgern mag/ weil die ſchuld verborgen geblieben. Dieſes einige moͤchte einen ſchein haben/ daß der Obrigkeit die ſtraffe oder mulcta ſo ihr von den uͤbertretern gebuͤhrte/ entzogen wuͤrde/ wie aber auch ſolche ſtraffe wohl das wenigſte/ darum die Obrigkeit da iſt/ ſo kan doch auch damit gerathen/ und diejenige/ welche ſchuldig ſind/ dahin angewieſen werden/ daß dasjenige/ was ihrer uͤbertretung wegen der Obrigkeit von ihnen gebuͤhrte/ derſelben auff eine art/ da man ihrer doch nicht gewahr wuͤrde/ deren vielerley ſeyn konnen/ von ihnen zukaͤme/ auff daß alſo auch in dieſer ſache nichts uͤbrig bleibe/ was ſo zu reden eine gegen die Obrigkeit fortwehrende ſuͤnde/ daher nicht anders als mit einem von ſelbſten neugeſchehen- den anmelden und abermaliger bekaͤnntns/ zuverſoͤhnen waͤre: dieſes waͤre uͤber den vorgelegten caſum meine Chriſtliche meynung/ welche ich meines werthen bruders eigener beurtheilung/ und wie ſie mit deſſen gewiſſen uͤbereinſtimme/ billich uͤberlaſſe: dabey den HErren hertzlich anruffe/ welcher ſo wohl demſel- ben ſelbs wie in allen andern amts-angelegenheiten/ alſo auch in dieſer gegen waͤrtigen/ mit dem geiſt der weißheit erfuͤllen wolle/ dasjenige zuerkennen/ wo mit am beſten die ehre des HErren und der zuhoͤrer heil befordert werden moͤchte als auch diejenige ſamtlich in dieſer ſache intereſſirte perſonen dahin regiere/ daß ſie in nichts ihr gewiſſen auffs neue beſchwehren/ ſondern deſſen bereits an ſich tragende wunden heilen laſſen/ damit niemand unter ihnen allen verlohren/ viel- mehr ihre faͤlle ihnen ein neues aufferſtehn und ſteter antrieb das gantze leben ſo viel demuͤthiger und vorſichtiger vor GOTT/ und erbaulicher vor den nebenmenſchen/ zu fuͤhren werden moͤge. 1682. SE- f f 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1027>, abgerufen am 25.04.2024.