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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XIX.
eingibt/ wie leute so nachmals bekehret worden/ manchmal bekennen/ daß
sie lang und offt vorhero einige solche hertzens-rührung/ ohne und mit
absonderlichen veranlassungen/ empfunden/ und zur buß getrieben worden/
ob sie wol lange solches aus dem sinne geschlagen/ daß sie überzeugt worden/
es komme solches nicht von ihnen/ sondern von oben her. Dann obwol Gott
ordentlicher weise die bekehrung der menschen nicht unmittelbar/ sondern ver-
mittels des worts thut; hat er sich dannoch damit die hände nicht gebunden/
den ersten anfang der bekehrung zuweilen also zu machen/ daß etwas unmit-
telbares damit unterläufft/ den menschen zu den ordentlichen mitteln der be-
kehrung zu bringen. Wie mir selbst in meinem amt ein solches exempel vor-
gekommen/ eines alten Juden/ welchen ich getaufft/ und zwahr in einem sol-
chen schwachen zustand/ da er sein ende nahe vor sich sahe/ und also keine heu-
cheley von ihm zu vermuthen gewesen/ welcher bekante/ daß da er sein lebtag
an das Christenthum nicht gedacht/ und durch einen dreymal wiederhohlten
traum dasselbe anzunehmen angetrieben worden seye/ dem er auch endlich
folge geleistet/ und sich ordentlich unterweisen lassen. Daraus folget aber
nicht/ daß GOtt oder CHristus oder sein geist in allen hertzen bereits woh-
ne/ sondern daß er auch bey denen anklopffe/ bey denen er nicht wohnet: wie
etwas dergleichen aus Offenb. 3/ 20. sich verstehen lässet;

Aus allem diesem wird derselbe gnugsam ersehen/ was meine lehre von
dieser materie seye/ wie nemlich freylich etwas innerliches/ unser gewissen/
und wann nachmalen GOtt bereits aus gnaden etwas in uns gewircket hat/
sich befinde/ (wie ich dann ohnedas auf das innerliche aufs ernstlichste treibe)
und dannoch nicht zu lehren seye/ daß Christus wesentlich in allen menschen
wohne. Diese lehre hoffe ich/ werde von allen rechtschaffenen lehrern unsrer
kirchen erkant werden/ und auch Jhr würdiges ministerium dieselbe gleicher
massen führen. Bitte also denselben/ solche in der furcht GOttes und mit
dessen anruffung fleißig zu überlegen/ ob er nicht/ wie ich hoffe/ davon über-
zeuget werde werden. Wann nun solches geschähe (wie ich hingegen nie-
mand rathen könte/ in einigem stück wider das zeugnüß seines gewissens mir
oder einigem menschen zu gefallen etwas zu glauben oder zu thun) so trage
ich das vertrauen/ er werde der wahrheit platz geben/ und alles ärgernüß
vermeiden: wie ich noch schliessend den himmlischen Vater hertzlich anruffe/
so wol sein hertz zu williger auffnehmung und erkäntnüß der wahrheit auch
bewahrung seines gewissens/ als auch aller/ mit denen er umzugehen hat/ zu
Christlichem und sanfftmüthigem tractament und schonung der gewissen
kräfftig zu regieren/ und alles zu gutem und seiner ehren gemässen ende zu
bringen. 1688.

SECTIO
U 2
SECTIO XIX.
eingibt/ wie leute ſo nachmals bekehret worden/ manchmal bekennen/ daß
ſie lang und offt vorhero einige ſolche hertzens-ruͤhrung/ ohne und mit
abſonderlichen veranlaſſungen/ empfunden/ und zur buß getrieben worden/
ob ſie wol lange ſolches aus dem ſinne geſchlagen/ daß ſie uͤberzeugt worden/
es komme ſolches nicht von ihnen/ ſondern von oben her. Dann obwol Gott
ordentlicher weiſe die bekehrung der menſchen nicht unmittelbar/ ſondeꝛn ver-
mittels des worts thut; hat er ſich dannoch damit die haͤnde nicht gebunden/
den erſten anfang der bekehrung zuweilen alſo zu machen/ daß etwas unmit-
telbares damit unterlaͤufft/ den menſchen zu den ordentlichen mitteln der be-
kehrung zu bringen. Wie mir ſelbſt in meinem amt ein ſolches exempel vor-
gekommen/ eines alten Juden/ welchen ich getaufft/ und zwahr in einem ſol-
chen ſchwachen zuſtand/ da er ſein ende nahe vor ſich ſahe/ und alſo keine heu-
cheley von ihm zu vermuthen geweſen/ welcher bekante/ daß da er ſein lebtag
an das Chriſtenthum nicht gedacht/ und durch einen dreymal wiederhohlten
traum daſſelbe anzunehmen angetrieben worden ſeye/ dem er auch endlich
folge geleiſtet/ und ſich ordentlich unterweiſen laſſen. Daraus folget aber
nicht/ daß GOtt oder CHriſtus oder ſein geiſt in allen hertzen bereits woh-
ne/ ſondern daß er auch bey denen anklopffe/ bey denen er nicht wohnet: wie
etwas dergleichen aus Offenb. 3/ 20. ſich verſtehen laͤſſet;

Aus allem dieſem wird derſelbe gnugſam erſehen/ was meine lehre von
dieſer materie ſeye/ wie nemlich freylich etwas innerliches/ unſer gewiſſen/
und wann nachmalen GOtt bereits aus gnaden etwas in uns gewircket hat/
ſich befinde/ (wie ich dann ohnedas auf das innerliche aufs ernſtlichſte treibe)
und dannoch nicht zu lehren ſeye/ daß Chriſtus weſentlich in allen menſchen
wohne. Dieſe lehre hoffe ich/ werde von allen rechtſchaffenen lehrern unſrer
kirchen erkant werden/ und auch Jhr wuͤrdiges miniſterium dieſelbe gleicher
maſſen fuͤhren. Bitte alſo denſelben/ ſolche in der furcht GOttes und mit
deſſen anruffung fleißig zu uͤberlegen/ ob er nicht/ wie ich hoffe/ davon uͤber-
zeuget werde werden. Wann nun ſolches geſchaͤhe (wie ich hingegen nie-
mand rathen koͤnte/ in einigem ſtuͤck wider das zeugnuͤß ſeines gewiſſens mir
oder einigem menſchen zu gefallen etwas zu glauben oder zu thun) ſo trage
ich das vertrauen/ er werde der wahrheit platz geben/ und alles aͤrgernuͤß
vermeiden: wie ich noch ſchlieſſend den himmliſchen Vater hertzlich anruffe/
ſo wol ſein hertz zu williger auffnehmung und erkaͤntnuͤß der wahrheit auch
bewahrung ſeines gewiſſens/ als auch aller/ mit denen er umzugehen hat/ zu
Chriſtlichem und ſanfftmuͤthigem tractament und ſchonung der gewiſſen
kraͤfftig zu regieren/ und alles zu gutem und ſeiner ehren gemaͤſſen ende zu
bringen. 1688.

SECTIO
U 2
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[155/0171] SECTIO XIX. eingibt/ wie leute ſo nachmals bekehret worden/ manchmal bekennen/ daß ſie lang und offt vorhero einige ſolche hertzens-ruͤhrung/ ohne und mit abſonderlichen veranlaſſungen/ empfunden/ und zur buß getrieben worden/ ob ſie wol lange ſolches aus dem ſinne geſchlagen/ daß ſie uͤberzeugt worden/ es komme ſolches nicht von ihnen/ ſondern von oben her. Dann obwol Gott ordentlicher weiſe die bekehrung der menſchen nicht unmittelbar/ ſondeꝛn ver- mittels des worts thut; hat er ſich dannoch damit die haͤnde nicht gebunden/ den erſten anfang der bekehrung zuweilen alſo zu machen/ daß etwas unmit- telbares damit unterlaͤufft/ den menſchen zu den ordentlichen mitteln der be- kehrung zu bringen. Wie mir ſelbſt in meinem amt ein ſolches exempel vor- gekommen/ eines alten Juden/ welchen ich getaufft/ und zwahr in einem ſol- chen ſchwachen zuſtand/ da er ſein ende nahe vor ſich ſahe/ und alſo keine heu- cheley von ihm zu vermuthen geweſen/ welcher bekante/ daß da er ſein lebtag an das Chriſtenthum nicht gedacht/ und durch einen dreymal wiederhohlten traum daſſelbe anzunehmen angetrieben worden ſeye/ dem er auch endlich folge geleiſtet/ und ſich ordentlich unterweiſen laſſen. Daraus folget aber nicht/ daß GOtt oder CHriſtus oder ſein geiſt in allen hertzen bereits woh- ne/ ſondern daß er auch bey denen anklopffe/ bey denen er nicht wohnet: wie etwas dergleichen aus Offenb. 3/ 20. ſich verſtehen laͤſſet; Aus allem dieſem wird derſelbe gnugſam erſehen/ was meine lehre von dieſer materie ſeye/ wie nemlich freylich etwas innerliches/ unſer gewiſſen/ und wann nachmalen GOtt bereits aus gnaden etwas in uns gewircket hat/ ſich befinde/ (wie ich dann ohnedas auf das innerliche aufs ernſtlichſte treibe) und dannoch nicht zu lehren ſeye/ daß Chriſtus weſentlich in allen menſchen wohne. Dieſe lehre hoffe ich/ werde von allen rechtſchaffenen lehrern unſrer kirchen erkant werden/ und auch Jhr wuͤrdiges miniſterium dieſelbe gleicher maſſen fuͤhren. Bitte alſo denſelben/ ſolche in der furcht GOttes und mit deſſen anruffung fleißig zu uͤberlegen/ ob er nicht/ wie ich hoffe/ davon uͤber- zeuget werde werden. Wann nun ſolches geſchaͤhe (wie ich hingegen nie- mand rathen koͤnte/ in einigem ſtuͤck wider das zeugnuͤß ſeines gewiſſens mir oder einigem menſchen zu gefallen etwas zu glauben oder zu thun) ſo trage ich das vertrauen/ er werde der wahrheit platz geben/ und alles aͤrgernuͤß vermeiden: wie ich noch ſchlieſſend den himmliſchen Vater hertzlich anruffe/ ſo wol ſein hertz zu williger auffnehmung und erkaͤntnuͤß der wahrheit auch bewahrung ſeines gewiſſens/ als auch aller/ mit denen er umzugehen hat/ zu Chriſtlichem und ſanfftmuͤthigem tractament und ſchonung der gewiſſen kraͤfftig zu regieren/ und alles zu gutem und ſeiner ehren gemaͤſſen ende zu bringen. 1688. SECTIO U 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/171>, abgerufen am 19.04.2024.