Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite

SECTIO LXIX.
wenig beforderung ihres heils finden würden. Ob wol nicht alles so trocken
heraus gesagt worden/ habe doch gefunden/ daß dieses die meiste knoten sind:
daher glaube gäntzlich/ wann in unsrer Evangelischen kirche eine mehrere bes-
serung sich auffthun solte/ und mehrere prediger sich das werck des HErrn an
ihren gemeinden mit mehr ernst angelegen seyn zu lassen anfingen/ daß sie ei-
ne kräfftige lehr-art und erbauliche anordnung der gemeinden sehen/ so dörff-
ten sie insgesamt oder nach und nach von ihren abwegen und sonderung sich
zu uns verfügen: also daß wir billig die gebrechen unser kirchen auch als eine
ursach/ daß diese sonst gut gesinnte leut sich zu uns zu verfügen nicht ent-
schliessen können/ anzusehen haben. Jndessen begegnen wir ihnen billig mit
liebe/ tragen sie mit gedult/ beten vor sie hertzlich/ hüten uns vor allem gegen
sie/ was ihnen mehr mißtrauen gegen uns machen möchte/ und suchen hinge-
gen mit liebreicher vorstellung unsrer wahrheit ihre gemüther allgemach zu
gewinnen: ob dem HErrn gefallen wolte/ auch ihre seelen weiter mit seinem
liecht und krafft zu rühren/ und unsre kirche mit beyfügung solcher leut/ von
denen ich mich auffs wenigste ihres lebens wegen bey uns keines ärgernüsses
befahren wolte/ zu erfreuen. Ach er lasse sein liecht der wahrheit immer wei-
ter durchbrechen/ und alle finsternüß erleuchten. 1690.

SECTIO LXIX.
Von Antoinette de Bourignon.

DEr Antoinette Bourignon schrifften habe zum theil/ sonderlich la lu-
miere nee dans les tenebres
gantz/ und ein stück des Tembeau de la
fausse Theologie
und etwas weniges weiter/ gelesen. Wo ich mein
Sentiment davon in der forcht des HErrn geben solle. 1. So habe nichts son-
derl. göttliches/ davon sie doch so grossen ruhm machet in ihren sachen finden
können: viel weniger kam mir vor mit Christlicher bescheidenheit und wahr-
heit über ein zukommen/ was sie von sich und ihren schrifften ausgibet/ des
weibes saamen zu seyn/ so der schlange den kopff zutretten solle/ welches
zeugnüß Christi wir billich mit niemand anders getheilt zu werden zu lassen
sollen. 2. Von den glaubens-sachen habe wenig vergnügliches gefunden/ son-
dern sie kam mir auffs gelindeste zu urtheilen/ als eine person vor/ so von
den articuln der wahren Religion selbs keinen begriff habe/ und auch in
wichtigsten stücken schwehre irrthume (wohl etwa aus unwissenheit) führe.
3. Was die practica anlangt/ leugne ich nicht/ daß sie ein und andere nützliche
wahrheiten treibet/ die aber alle insgesamt aus dem spruch Matth. 16/24.
gezogen werden/ und die selbs-verleugnung fast allein angehen. Daher
kam mir die sache also vor/ daß sie eine person mit scharffem verstand von

GOtt
R r 2

SECTIO LXIX.
wenig beforderung ihres heils finden wuͤrden. Ob wol nicht alles ſo trocken
heraus geſagt worden/ habe doch gefunden/ daß dieſes die meiſte knoten ſind:
daher glaube gaͤntzlich/ wann in unſrer Evangeliſchen kirche eine mehrere beſ-
ſerung ſich auffthun ſolte/ und mehrere prediger ſich das werck des HErrn an
ihren gemeinden mit mehr ernſt angelegen ſeyn zu laſſen anfingen/ daß ſie ei-
ne kraͤfftige lehr-art und erbauliche anordnung der gemeinden ſehen/ ſo doͤrff-
ten ſie insgeſamt oder nach und nach von ihren abwegen und ſonderung ſich
zu uns verfuͤgen: alſo daß wir billig die gebrechen unſer kirchen auch als eine
urſach/ daß dieſe ſonſt gut geſinnte leut ſich zu uns zu verfuͤgen nicht ent-
ſchlieſſen koͤnnen/ anzuſehen haben. Jndeſſen begegnen wir ihnen billig mit
liebe/ tragen ſie mit gedult/ beten vor ſie hertzlich/ huͤten uns vor allem gegen
ſie/ was ihnen mehr mißtrauen gegen uns machen moͤchte/ und ſuchen hinge-
gen mit liebreicher vorſtellung unſrer wahrheit ihre gemuͤther allgemach zu
gewinnen: ob dem HErrn gefallen wolte/ auch ihre ſeelen weiter mit ſeinem
liecht und krafft zu ruͤhren/ und unſre kirche mit beyfuͤgung ſolcher leut/ von
denen ich mich auffs wenigſte ihres lebens wegen bey uns keines aͤrgernuͤſſes
befahren wolte/ zu erfreuen. Ach er laſſe ſein liecht der wahrheit immer wei-
ter durchbrechen/ und alle finſternuͤß erleuchten. 1690.

SECTIO LXIX.
Von Antoinette de Bourignon.

DEr Antoinette Bourignon ſchrifften habe zum theil/ ſonderlich la lu-
miere nee dans les tenebres
gantz/ und ein ſtuͤck des Tembeau de la
fauſſe Theologie
und etwas weniges weiter/ geleſen. Wo ich mein
Sentiment davon in der forcht des HErrn geben ſolle. 1. So habe nichts ſon-
derl. goͤttliches/ davon ſie doch ſo groſſen ruhm machet in ihren ſachen finden
koͤnnen: viel weniger kam mir vor mit Chriſtlicher beſcheidenheit und wahr-
heit uͤber ein zukommen/ was ſie von ſich und ihren ſchrifften ausgibet/ des
weibes ſaamen zu ſeyn/ ſo der ſchlange den kopff zutretten ſolle/ welches
zeugnuͤß Chriſti wir billich mit niemand anders getheilt zu werden zu laſſen
ſollen. 2. Von den glaubens-ſachen habe wenig vergnuͤgliches gefunden/ ſon-
dern ſie kam mir auffs gelindeſte zu urtheilen/ als eine perſon vor/ ſo von
den articuln der wahren Religion ſelbs keinen begriff habe/ und auch in
wichtigſten ſtuͤcken ſchwehre irrthume (wohl etwa aus unwiſſenheit) fuͤhre.
3. Was die practica anlangt/ leugne ich nicht/ daß ſie ein und andere nuͤtzliche
wahrheiten treibet/ die aber alle insgeſamt aus dem ſpruch Matth. 16/24.
gezogen werden/ und die ſelbs-verleugnung faſt allein angehen. Daher
kam mir die ſache alſo vor/ daß ſie eine perſon mit ſcharffem verſtand von

GOtt
R r 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0331" n="315"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO LXIX</hi>.</hi></hi></fw><lb/>
wenig beforderung ihres heils finden wu&#x0364;rden. Ob wol nicht alles &#x017F;o trocken<lb/>
heraus ge&#x017F;agt worden/ habe doch gefunden/ daß die&#x017F;es die mei&#x017F;te knoten &#x017F;ind:<lb/>
daher glaube ga&#x0364;ntzlich/ wann in un&#x017F;rer Evangeli&#x017F;chen kirche eine mehrere be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erung &#x017F;ich auffthun &#x017F;olte/ und mehrere prediger &#x017F;ich das werck des HErrn an<lb/>
ihren gemeinden mit mehr ern&#x017F;t angelegen &#x017F;eyn zu la&#x017F;&#x017F;en anfingen/ daß &#x017F;ie ei-<lb/>
ne kra&#x0364;fftige lehr-art und erbauliche anordnung der gemeinden &#x017F;ehen/ &#x017F;o do&#x0364;rff-<lb/>
ten &#x017F;ie insge&#x017F;amt oder nach und nach von ihren abwegen und &#x017F;onderung &#x017F;ich<lb/>
zu uns verfu&#x0364;gen: al&#x017F;o daß wir billig die gebrechen un&#x017F;er kirchen auch als eine<lb/>
ur&#x017F;ach/ daß die&#x017F;e &#x017F;on&#x017F;t gut ge&#x017F;innte leut &#x017F;ich zu uns zu verfu&#x0364;gen nicht ent-<lb/>
&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen/ anzu&#x017F;ehen haben. Jnde&#x017F;&#x017F;en begegnen wir ihnen billig mit<lb/>
liebe/ tragen &#x017F;ie mit gedult/ beten vor &#x017F;ie hertzlich/ hu&#x0364;ten uns vor allem gegen<lb/>
&#x017F;ie/ was ihnen mehr mißtrauen gegen uns machen mo&#x0364;chte/ und &#x017F;uchen hinge-<lb/>
gen mit liebreicher vor&#x017F;tellung un&#x017F;rer wahrheit ihre gemu&#x0364;ther allgemach zu<lb/>
gewinnen: ob dem HErrn gefallen wolte/ auch ihre &#x017F;eelen weiter mit &#x017F;einem<lb/>
liecht und krafft zu ru&#x0364;hren/ und un&#x017F;re kirche mit beyfu&#x0364;gung &#x017F;olcher leut/ von<lb/>
denen ich mich auffs wenig&#x017F;te ihres lebens wegen bey uns keines a&#x0364;rgernu&#x0364;&#x017F;&#x017F;es<lb/>
befahren wolte/ zu erfreuen. Ach er la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ein liecht der wahrheit immer wei-<lb/>
ter durchbrechen/ und alle fin&#x017F;ternu&#x0364;ß erleuchten. 1690.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO LXIX</hi>.</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#fr">Von</hi> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">Antoinette de Bourignon.</hi> </hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>Er <hi rendition="#aq">Antoinette Bourignon</hi> &#x017F;chrifften habe zum theil/ &#x017F;onderlich <hi rendition="#aq">la lu-<lb/>
miere nee dans les tenebres</hi> gantz/ und ein &#x017F;tu&#x0364;ck des <hi rendition="#aq">Tembeau de la<lb/>
fau&#x017F;&#x017F;e Theologie</hi> und etwas weniges weiter/ gele&#x017F;en. Wo ich mein<lb/><hi rendition="#aq">Sentiment</hi> davon in der forcht des HErrn geben &#x017F;olle. 1. So habe nichts &#x017F;on-<lb/>
derl. go&#x0364;ttliches/ davon &#x017F;ie doch &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;en ruhm machet in ihren &#x017F;achen finden<lb/>
ko&#x0364;nnen: viel weniger kam mir vor mit Chri&#x017F;tlicher be&#x017F;cheidenheit und wahr-<lb/>
heit u&#x0364;ber ein zukommen/ was &#x017F;ie von &#x017F;ich und ihren &#x017F;chrifften ausgibet/ des<lb/>
weibes &#x017F;aamen zu &#x017F;eyn/ &#x017F;o der &#x017F;chlange den kopff zutretten &#x017F;olle/ welches<lb/>
zeugnu&#x0364;ß Chri&#x017F;ti wir billich mit niemand anders getheilt zu werden zu la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollen. 2. Von den glaubens-&#x017F;achen habe wenig vergnu&#x0364;gliches gefunden/ &#x017F;on-<lb/>
dern &#x017F;ie kam mir auffs gelinde&#x017F;te zu urtheilen/ als eine per&#x017F;on vor/ &#x017F;o von<lb/>
den <hi rendition="#aq">articu</hi>ln der wahren Religion &#x017F;elbs keinen begriff habe/ und auch in<lb/>
wichtig&#x017F;ten &#x017F;tu&#x0364;cken &#x017F;chwehre irrthume (wohl etwa aus unwi&#x017F;&#x017F;enheit) fu&#x0364;hre.<lb/>
3. Was die <hi rendition="#aq">practica</hi> anlangt/ leugne ich nicht/ daß &#x017F;ie ein und andere nu&#x0364;tzliche<lb/>
wahrheiten treibet/ die aber alle insge&#x017F;amt aus dem &#x017F;pruch <hi rendition="#fr">Matth.</hi> 16/24.<lb/>
gezogen werden/ und die <hi rendition="#fr">&#x017F;elbs-verleugnung</hi> fa&#x017F;t allein angehen. Daher<lb/>
kam mir die &#x017F;ache al&#x017F;o vor/ daß &#x017F;ie eine per&#x017F;on mit &#x017F;charffem ver&#x017F;tand von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R r 2</fw><fw place="bottom" type="catch">GOtt</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[315/0331] SECTIO LXIX. wenig beforderung ihres heils finden wuͤrden. Ob wol nicht alles ſo trocken heraus geſagt worden/ habe doch gefunden/ daß dieſes die meiſte knoten ſind: daher glaube gaͤntzlich/ wann in unſrer Evangeliſchen kirche eine mehrere beſ- ſerung ſich auffthun ſolte/ und mehrere prediger ſich das werck des HErrn an ihren gemeinden mit mehr ernſt angelegen ſeyn zu laſſen anfingen/ daß ſie ei- ne kraͤfftige lehr-art und erbauliche anordnung der gemeinden ſehen/ ſo doͤrff- ten ſie insgeſamt oder nach und nach von ihren abwegen und ſonderung ſich zu uns verfuͤgen: alſo daß wir billig die gebrechen unſer kirchen auch als eine urſach/ daß dieſe ſonſt gut geſinnte leut ſich zu uns zu verfuͤgen nicht ent- ſchlieſſen koͤnnen/ anzuſehen haben. Jndeſſen begegnen wir ihnen billig mit liebe/ tragen ſie mit gedult/ beten vor ſie hertzlich/ huͤten uns vor allem gegen ſie/ was ihnen mehr mißtrauen gegen uns machen moͤchte/ und ſuchen hinge- gen mit liebreicher vorſtellung unſrer wahrheit ihre gemuͤther allgemach zu gewinnen: ob dem HErrn gefallen wolte/ auch ihre ſeelen weiter mit ſeinem liecht und krafft zu ruͤhren/ und unſre kirche mit beyfuͤgung ſolcher leut/ von denen ich mich auffs wenigſte ihres lebens wegen bey uns keines aͤrgernuͤſſes befahren wolte/ zu erfreuen. Ach er laſſe ſein liecht der wahrheit immer wei- ter durchbrechen/ und alle finſternuͤß erleuchten. 1690. SECTIO LXIX. Von Antoinette de Bourignon. DEr Antoinette Bourignon ſchrifften habe zum theil/ ſonderlich la lu- miere nee dans les tenebres gantz/ und ein ſtuͤck des Tembeau de la fauſſe Theologie und etwas weniges weiter/ geleſen. Wo ich mein Sentiment davon in der forcht des HErrn geben ſolle. 1. So habe nichts ſon- derl. goͤttliches/ davon ſie doch ſo groſſen ruhm machet in ihren ſachen finden koͤnnen: viel weniger kam mir vor mit Chriſtlicher beſcheidenheit und wahr- heit uͤber ein zukommen/ was ſie von ſich und ihren ſchrifften ausgibet/ des weibes ſaamen zu ſeyn/ ſo der ſchlange den kopff zutretten ſolle/ welches zeugnuͤß Chriſti wir billich mit niemand anders getheilt zu werden zu laſſen ſollen. 2. Von den glaubens-ſachen habe wenig vergnuͤgliches gefunden/ ſon- dern ſie kam mir auffs gelindeſte zu urtheilen/ als eine perſon vor/ ſo von den articuln der wahren Religion ſelbs keinen begriff habe/ und auch in wichtigſten ſtuͤcken ſchwehre irrthume (wohl etwa aus unwiſſenheit) fuͤhre. 3. Was die practica anlangt/ leugne ich nicht/ daß ſie ein und andere nuͤtzliche wahrheiten treibet/ die aber alle insgeſamt aus dem ſpruch Matth. 16/24. gezogen werden/ und die ſelbs-verleugnung faſt allein angehen. Daher kam mir die ſache alſo vor/ daß ſie eine perſon mit ſcharffem verſtand von GOtt R r 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/331
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/331>, abgerufen am 19.04.2024.