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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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lich so gern von dieser materie etwas arbeiten/ als von einiger andern. Daß
sonsten einer der aller nothwendigsten puncten seye/ daß man den wahren
und den todten glauben unterscheiden lerne/ hingegen die unwissenheit oder
mißverstand solches puncten viele tausend verderbe/ bin ich gantz eins mit
demselbigen/ und treibe so sehr darauff/ als auff einigen andern. Jch
meyne aber/ wir können von solchem unterscheid auff zweyerley art reden:
die eine ist/ worinnen der haupt-unterscheid und so zu reden differentia
specifica
bestehe/ die andere woran man denselben erkenne. Jener beste-
het darinne/ daß der wahre glaube ein göttliches liecht des heil. Geistes in einer
bußfertigen seele/ der todte aber eine eigne einbildung des menschlichen unbuß-
fertigen hertzen seye: ob wol beyde in dem übrigen dieses mögen gemein ha-
ben/ daß sie aus einer wissenschafft/ beyfall/ vertrauen/ und also zueignung be-
stehen/ daß sie aus dem buchstaben der schrifft sich herführen/ daß sie mit einer-
ley göttlichen wahrheiten umgehen/ und also fides quae creditur, einerley
seyn kan. Wo aber nun nach der andern frage gefragt wird/ woran man
den unterscheid erkenne/ so bekenne ich gern/ daß solches eben so schwehr ist/ zu
erkennen was ein himmlisch liecht/ als was der glaube seye. Daher wie wir die
meiste formas rerum nicht einsehen können/ und deßwegen die gnorismata
von andern propriis oder von den wirckungen hernehmen müssen/ in denen
doch das wesen der sache nicht bestehet/ so können wir auch den unterscheid des
wahren lebendigen und hinwieder des todten glaubens nicht wol an dem/ was
bereits aus dem innersten dessen gewiesen worden/ erlernen/ sondern wir müs-
sen solche kennzeichen allein aus dessen wirckungen hernehmen/ welche von der
innern und vor unsern augen verborgenen art auff kantliche weise zeugen.
Hierinnen hoffe ich in dem beygehenden tractätlein von natur und gnade/
gottseligen und der versicherung ihres heils begierigen seelen eine nicht unnü-
tze anleitung gegeben zu haben/ da ich ihnen weise/ auff welche kennzeichen sie
bey allen tugenden acht geben müssen/ wahrzunehmen/ ob dieselbe aus GOtt
und dem glauben/ oder nur aus der natur seyen. A er wie die materie von
dem glauben selbs/ also auch von solchem unterscheid der wahren und schein-
tugenden/ so leicht nicht ist/ sondern ein gemüth erfordert/ welches in sich
selbst gehe und sich zu forschen gewohnt seye/ so sorge auch/ daß mein
vortrag davon vielen werde schwehr vorkommen/ nicht daß die art des-
selben durch gesuchte kunst so schwehr gemacht wäre/ sondern weil die
sache in sich also bewandt ist/ daß man sich wenig darzu gewehnet
hat. Jndessen ists gleichwol ein nöthiges werck/ und würdig/ daß man

sich

Das andere Capitel.
lich ſo gern von dieſer materie etwas arbeiten/ als von einiger andern. Daß
ſonſten einer der aller nothwendigſten puncten ſeye/ daß man den wahren
und den todten glauben unterſcheiden lerne/ hingegen die unwiſſenheit oder
mißverſtand ſolches puncten viele tauſend verderbe/ bin ich gantz eins mit
demſelbigen/ und treibe ſo ſehr darauff/ als auff einigen andern. Jch
meyne aber/ wir koͤnnen von ſolchem unterſcheid auff zweyerley art reden:
die eine iſt/ worinnen der haupt-unterſcheid und ſo zu reden differentia
ſpecifica
beſtehe/ die andere woran man denſelben erkenne. Jener beſte-
het darinne/ daß der wahre glaube ein goͤttliches liecht des heil. Geiſtes in einer
bußfertigen ſeele/ der todte aber eine eigne einbildung des menſchlichen unbuß-
fertigen hertzen ſeye: ob wol beyde in dem uͤbrigen dieſes moͤgen gemein ha-
ben/ daß ſie aus einer wiſſenſchafft/ beyfall/ vertrauen/ und alſo zueignung be-
ſtehen/ daß ſie aus dem buchſtaben der ſchrifft ſich herfuͤhren/ daß ſie mit einer-
ley goͤttlichen wahrheiten umgehen/ und alſo fides quæ creditur, einerley
ſeyn kan. Wo aber nun nach der andern frage gefragt wird/ woran man
den unterſcheid erkenne/ ſo bekenne ich gern/ daß ſolches eben ſo ſchwehr iſt/ zu
erkennen was ein him̃liſch liecht/ als was der glaube ſeye. Daher wie wir die
meiſte formas rerum nicht einſehen koͤnnen/ und deßwegen die gnorismata
von andern propriis oder von den wirckungen hernehmen muͤſſen/ in denen
doch das weſen der ſache nicht beſtehet/ ſo koͤnnen wir auch den unterſcheid des
wahren lebendigen und hinwieder des todten glaubens nicht wol an dem/ was
bereits aus dem innerſten deſſen gewieſen worden/ erlernen/ ſondern wir muͤſ-
ſen ſolche kennzeichen allein aus deſſen wirckungen hernehmen/ welche von der
innern und vor unſern augen verborgenen art auff kantliche weiſe zeugen.
Hierinnen hoffe ich in dem beygehenden tractaͤtlein von natur und gnade/
gottſeligen und der verſicherung ihres heils begierigen ſeelen eine nicht unnuͤ-
tze anleitung gegeben zu haben/ da ich ihnen weiſe/ auff welche kennzeichen ſie
bey allen tugenden acht geben muͤſſen/ wahrzunehmen/ ob dieſelbe aus GOtt
und dem glauben/ oder nur aus der natur ſeyen. A er wie die materie von
dem glauben ſelbs/ alſo auch von ſolchem unterſcheid der wahren und ſchein-
tugenden/ ſo leicht nicht iſt/ ſondern ein gemuͤth erfordert/ welches in ſich
ſelbſt gehe und ſich zu forſchen gewohnt ſeye/ ſo ſorge auch/ daß mein
vortrag davon vielen werde ſchwehr vorkommen/ nicht daß die art deſ-
ſelben durch geſuchte kunſt ſo ſchwehr gemacht waͤre/ ſondern weil die
ſache in ſich alſo bewandt iſt/ daß man ſich wenig darzu gewehnet
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[732/0748] Das andere Capitel. lich ſo gern von dieſer materie etwas arbeiten/ als von einiger andern. Daß ſonſten einer der aller nothwendigſten puncten ſeye/ daß man den wahren und den todten glauben unterſcheiden lerne/ hingegen die unwiſſenheit oder mißverſtand ſolches puncten viele tauſend verderbe/ bin ich gantz eins mit demſelbigen/ und treibe ſo ſehr darauff/ als auff einigen andern. Jch meyne aber/ wir koͤnnen von ſolchem unterſcheid auff zweyerley art reden: die eine iſt/ worinnen der haupt-unterſcheid und ſo zu reden differentia ſpecifica beſtehe/ die andere woran man denſelben erkenne. Jener beſte- het darinne/ daß der wahre glaube ein goͤttliches liecht des heil. Geiſtes in einer bußfertigen ſeele/ der todte aber eine eigne einbildung des menſchlichen unbuß- fertigen hertzen ſeye: ob wol beyde in dem uͤbrigen dieſes moͤgen gemein ha- ben/ daß ſie aus einer wiſſenſchafft/ beyfall/ vertrauen/ und alſo zueignung be- ſtehen/ daß ſie aus dem buchſtaben der ſchrifft ſich herfuͤhren/ daß ſie mit einer- ley goͤttlichen wahrheiten umgehen/ und alſo fides quæ creditur, einerley ſeyn kan. Wo aber nun nach der andern frage gefragt wird/ woran man den unterſcheid erkenne/ ſo bekenne ich gern/ daß ſolches eben ſo ſchwehr iſt/ zu erkennen was ein him̃liſch liecht/ als was der glaube ſeye. Daher wie wir die meiſte formas rerum nicht einſehen koͤnnen/ und deßwegen die gnorismata von andern propriis oder von den wirckungen hernehmen muͤſſen/ in denen doch das weſen der ſache nicht beſtehet/ ſo koͤnnen wir auch den unterſcheid des wahren lebendigen und hinwieder des todten glaubens nicht wol an dem/ was bereits aus dem innerſten deſſen gewieſen worden/ erlernen/ ſondern wir muͤſ- ſen ſolche kennzeichen allein aus deſſen wirckungen hernehmen/ welche von der innern und vor unſern augen verborgenen art auff kantliche weiſe zeugen. Hierinnen hoffe ich in dem beygehenden tractaͤtlein von natur und gnade/ gottſeligen und der verſicherung ihres heils begierigen ſeelen eine nicht unnuͤ- tze anleitung gegeben zu haben/ da ich ihnen weiſe/ auff welche kennzeichen ſie bey allen tugenden acht geben muͤſſen/ wahrzunehmen/ ob dieſelbe aus GOtt und dem glauben/ oder nur aus der natur ſeyen. A er wie die materie von dem glauben ſelbs/ alſo auch von ſolchem unterſcheid der wahren und ſchein- tugenden/ ſo leicht nicht iſt/ ſondern ein gemuͤth erfordert/ welches in ſich ſelbſt gehe und ſich zu forſchen gewohnt ſeye/ ſo ſorge auch/ daß mein vortrag davon vielen werde ſchwehr vorkommen/ nicht daß die art deſ- ſelben durch geſuchte kunſt ſo ſchwehr gemacht waͤre/ ſondern weil die ſache in ſich alſo bewandt iſt/ daß man ſich wenig darzu gewehnet hat. Jndeſſen iſts gleichwol ein noͤthiges werck/ und wuͤrdig/ daß man ſich

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 732. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/748>, abgerufen am 28.03.2024.