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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
sind/ aber sie haben sich zu versichern/ wo sie in der furcht GOttes und liebe des
nechsten in den versammlungen/ da ihnen stets viele verstöhrung vorkommt/ ver-
harren/ werde GOtt ihre liebe/ aus der sie sich des nechsten wegen einer meh-
rern erbauung und so den vergnügung begeben/ also segnen/ daß ihr innerer
mensch keinen mangel deswegen leiden solle: hingegen ists göttlicher gerechtig-
keit gemäß/ da sie die versammlungen und darinnen die öffentliche übungen mit
verletzung der liebe verlassen/ dieselbe die krafft des geistes auch ihren besondern
übungen entziehe. 5. Daher jederman mit bitten/ flehen/ vermahnen/ war-
nen und auch ernstlicher bestraffung aus den gründen göttlichen worts an denjeni-
gen zu arbeiten hat/ die mit trennungen schwanger gehen/ sie durch Gottes gna-
de darvon abzuhalten/ als womit sie der kirchen Gottes mehr schadeten/ als sie
mit allen ihrem guten wieder nutzen könten: auch hat man den himmlischen Vater
demüthigst anzuruffen/ seinen zorn über uns nicht also auszugiessen/ daß derglei-
chen zu der kirchen ruin zu werck gerichtet werde.

Die VI. Frage.
Ob die vollkommenheit in diesem leben zu erlangen/ aus
1. Joh. 3/ 3-9. 2. Petr. 1/ 3. 4. 1. Thess. 5/ 23. Phil. 3/ 7-16. 4/ 13. Auch
Paulus solche erlangt habe 2. Tim. 4/ 7. 8. Ferner/ ob einer/ der
die vollkommenheit erlangt/ nicht mehr leiblich sterben dörffe/ noch
einige kranckheit bekomme/ oder da dem leib etwas zustiesse/ die seele
doch in ihren wirckungen so kräfftig seyn würde/ daß er ohne
artzeney gesund würde?

1.

OB eine vollkommenheit erlangt werden könne oder nicht/ hänget alles
an unterschiedlichem verstand des worts/ und also unterschiedlicher de-
roselben art. (1. Jst die gesetzliche vollkommenheit/ daß der mensch
nicht allein aller wircklichen so wol boß-als schwachheit-sünden frey seye/ sondern
auch nichts mehr der erbsünde an sich habe: damit er wider in dem stand seye/
wie er erst in gerechtigkeit und heiligkeit erschaffen worden; welche vollkommen-
heit auch wieder in jenem leben seyn wird. (2. Jst auch eine vollkommenheit der
rechtfertigung bloß aus dem Evangelio/ darinn bestehende/ daß ein glaubiger durch
den glauben die vollkommene gerechtigkeit JEsu Christi erlangt/ und also vollkommen
vor dessen gericht wird. (3. Es giebt aber auch eine Evangelische vollkommenheit nach
der heiligung/ aber wiederum zweyer arten. 1.) Wie alle gläubige vollkom-
men seyn müssen/ da die vollkommenheit in den grundsprachen so viel heißt/ als
auffrichtigkeit/ redlichkeit/ so der heucheley entgegen gesetzet wird/ und das wor

offt

Das andere Capitel.
ſind/ aber ſie haben ſich zu verſichern/ wo ſie in der furcht GOttes und liebe des
nechſten in den verſammlungen/ da ihnen ſtets viele verſtoͤhrung vorkommt/ ver-
harren/ werde GOtt ihre liebe/ aus der ſie ſich des nechſten wegen einer meh-
rern erbauung und ſo den vergnuͤgung begeben/ alſo ſegnen/ daß ihr innerer
menſch keinen mangel deswegen leiden ſolle: hingegen iſts goͤttlicher gerechtig-
keit gemaͤß/ da ſie die verſammlungen und darinnen die oͤffentliche uͤbungen mit
verletzung der liebe verlaſſen/ dieſelbe die krafft des geiſtes auch ihren beſondern
uͤbungen entziehe. 5. Daher jederman mit bitten/ flehen/ vermahnen/ war-
nen und auch ernſtlicher beſtraffung aus den gruͤnden goͤttlichen worts an denjeni-
gen zu arbeiten hat/ die mit trennungen ſchwanger gehen/ ſie durch Gottes gna-
de darvon abzuhalten/ als womit ſie der kirchen Gottes mehr ſchadeten/ als ſie
mit allen ihrem guten wieder nutzen koͤnten: auch hat man den himmliſchen Vater
demuͤthigſt anzuruffen/ ſeinen zorn uͤber uns nicht alſo auszugieſſen/ daß derglei-
chen zu der kirchen ruin zu werck gerichtet werde.

Die VI. Frage.
Ob die vollkommenheit in dieſem leben zu erlangen/ aus
1. Joh. 3/ 3-9. 2. Petr. 1/ 3. 4. 1. Theſſ. 5/ 23. Phil. 3/ 7-16. 4/ 13. Auch
Paulus ſolche erlangt habe 2. Tim. 4/ 7. 8. Ferner/ ob einer/ der
die vollkommenheit erlangt/ nicht mehr leiblich ſterben doͤrffe/ noch
einige kranckheit bekomme/ oder da dem leib etwas zuſtieſſe/ die ſeele
doch in ihren wirckungen ſo kraͤfftig ſeyn wuͤrde/ daß er ohne
artzeney geſund wuͤrde?

1.

OB eine vollkommenheit erlangt werden koͤnne oder nicht/ haͤnget alles
an unterſchiedlichem verſtand des worts/ und alſo unterſchiedlicher de-
roſelben art. (1. Jſt die geſetzliche vollkommenheit/ daß der menſch
nicht allein aller wircklichen ſo wol boß-als ſchwachheit-ſuͤnden frey ſeye/ ſondern
auch nichts mehr der erbſuͤnde an ſich habe: damit er wider in dem ſtand ſeye/
wie er erſt in gerechtigkeit und heiligkeit erſchaffen worden; welche vollkommen-
heit auch wieder in jenem leben ſeyn wird. (2. Jſt auch eine vollkommenheit der
rechtfertigung bloß aus dem Evangelio/ darinn beſtehende/ daß ein glaubiger durch
den glauben die vollkom̃ene gerechtigkeit JEſu Chriſti erlangt/ und alſo vollkom̃en
vor deſſen gericht wird. (3. Es giebt abeꝛ auch eine Evangeliſche vollkom̃enheit nach
der heiligung/ aber wiederum zweyer arten. 1.) Wie alle glaͤubige vollkom-
men ſeyn muͤſſen/ da die vollkommenheit in den grundſprachen ſo viel heißt/ als
auffrichtigkeit/ redlichkeit/ ſo der heucheley entgegen geſetzet wird/ und das wor

offt
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[138/0938] Das andere Capitel. ſind/ aber ſie haben ſich zu verſichern/ wo ſie in der furcht GOttes und liebe des nechſten in den verſammlungen/ da ihnen ſtets viele verſtoͤhrung vorkommt/ ver- harren/ werde GOtt ihre liebe/ aus der ſie ſich des nechſten wegen einer meh- rern erbauung und ſo den vergnuͤgung begeben/ alſo ſegnen/ daß ihr innerer menſch keinen mangel deswegen leiden ſolle: hingegen iſts goͤttlicher gerechtig- keit gemaͤß/ da ſie die verſammlungen und darinnen die oͤffentliche uͤbungen mit verletzung der liebe verlaſſen/ dieſelbe die krafft des geiſtes auch ihren beſondern uͤbungen entziehe. 5. Daher jederman mit bitten/ flehen/ vermahnen/ war- nen und auch ernſtlicher beſtraffung aus den gruͤnden goͤttlichen worts an denjeni- gen zu arbeiten hat/ die mit trennungen ſchwanger gehen/ ſie durch Gottes gna- de darvon abzuhalten/ als womit ſie der kirchen Gottes mehr ſchadeten/ als ſie mit allen ihrem guten wieder nutzen koͤnten: auch hat man den himmliſchen Vater demuͤthigſt anzuruffen/ ſeinen zorn uͤber uns nicht alſo auszugieſſen/ daß derglei- chen zu der kirchen ruin zu werck gerichtet werde. Die VI. Frage. Ob die vollkommenheit in dieſem leben zu erlangen/ aus 1. Joh. 3/ 3-9. 2. Petr. 1/ 3. 4. 1. Theſſ. 5/ 23. Phil. 3/ 7-16. 4/ 13. Auch Paulus ſolche erlangt habe 2. Tim. 4/ 7. 8. Ferner/ ob einer/ der die vollkommenheit erlangt/ nicht mehr leiblich ſterben doͤrffe/ noch einige kranckheit bekomme/ oder da dem leib etwas zuſtieſſe/ die ſeele doch in ihren wirckungen ſo kraͤfftig ſeyn wuͤrde/ daß er ohne artzeney geſund wuͤrde? 1. OB eine vollkommenheit erlangt werden koͤnne oder nicht/ haͤnget alles an unterſchiedlichem verſtand des worts/ und alſo unterſchiedlicher de- roſelben art. (1. Jſt die geſetzliche vollkommenheit/ daß der menſch nicht allein aller wircklichen ſo wol boß-als ſchwachheit-ſuͤnden frey ſeye/ ſondern auch nichts mehr der erbſuͤnde an ſich habe: damit er wider in dem ſtand ſeye/ wie er erſt in gerechtigkeit und heiligkeit erſchaffen worden; welche vollkommen- heit auch wieder in jenem leben ſeyn wird. (2. Jſt auch eine vollkommenheit der rechtfertigung bloß aus dem Evangelio/ darinn beſtehende/ daß ein glaubiger durch den glauben die vollkom̃ene gerechtigkeit JEſu Chriſti erlangt/ und alſo vollkom̃en vor deſſen gericht wird. (3. Es giebt abeꝛ auch eine Evangeliſche vollkom̃enheit nach der heiligung/ aber wiederum zweyer arten. 1.) Wie alle glaͤubige vollkom- men ſeyn muͤſſen/ da die vollkommenheit in den grundſprachen ſo viel heißt/ als auffrichtigkeit/ redlichkeit/ ſo der heucheley entgegen geſetzet wird/ und das wor offt

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/938>, abgerufen am 16.04.2024.